Die Filmjury, die keine Filme schaut

18.02.2012 - 08:50 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
Die Filmjury, die keine Filme schaut
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Die Filmjury, die keine Filme schaut
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Es ist ein offenes Geheimnis, dass die wenigsten Mitglieder der Academy alle Filme gucken, über die sie später abstimmen. Warum das so ist und welche Maßnahmen diese Situation in Zukunft verbessern könnten, erfahrt ihr hier.

Unter den Academy-Mitgliedern beim Oscar wird offen darüber geredet, aber es wird selten an die Öffentlichkeit getragen. Sie gucken sich bei weitem nicht alle Filme an, die für die Verleihung nominiert werden, geschweige denn jedes Werk, was überhaupt für eine Nominierung in Frage käme. Das geht so weit, dass manche Stimmberechtigte nicht ein einziges Mal den Weg ins Kino auf sich genommen haben und nach Gutdünken ihre Kreuzchen auf dem Stimmzettel setzen. Dabei verlassen sie sich auf die Reputation, die beispielsweise eine bestimmte Rolle einem Schauspieler eingebracht hat, oder auf das Ausmaß der Werbekampagnen der großen Studios. Die Logik dahinter ist simpel. Es bedeutet weniger Aufwand für die Juroren und das, was die Experten der Gilden und die Kritiker für preisverdächtig halten, kann ja im Großen und Ganzen nicht völlig verkehrt sein. Dass darunter allerdings die Glaubwürdigkeit der Oscar-Verleihung leidet, ist nicht von der Hand zu weisen.

Tempus fugit
Allerdings ist es auch völlig nachvollziehbar, dass nicht jedes Mitglied der Academy alle Filme eines Jahres gesehen haben kann und somit auf eine gewisse Vorauswahl angewiesen ist. Die meisten von ihnen sind schwer beschäftigte Filmschaffende, die abends zu ihren Familien nach Hause kommen und im besten Fall noch Muße für eine seichte Komödie finden oder mit ihren Kindern einen Trickfilm gucken. Wer von euch könnte schon von sich behaupten, allein alle Werke gesehen zu haben, die dieses Jahr als bester Film nominiert worden sind? Sollen die Oscars weiterhin ein repräsentatives Meinungsbild derer darstellen, die in der Industrie tätig sind, und nicht etwa von einer zwölfköpfigen, eigens dafür angestellten Jury auserkoren werden, müssen Lösungen für dieses Problem gefunden werden.

Erlesene Privatvorstellungen
Einen guten Ansatz bildet die Maßnahme, welche für die Wahl der Nominierungen Anwendung findet. Nur die Experten ihres Handwerks dürfen auch Filme für die entsprechende Kategorie nominieren. So sind zum Beispiel für die Auszeichnung des besten Szenenbilds nur die Set Designer wahlberechtigt. Da der Academy weniger als 6000 Mitglieder angehören, ist die Schnittmenge von Spezialisten der einzelnen Kategorien manchmal so gering, dass sie allesamt in einen Kinosaal passen. Die entscheidenden Szenen für die Einschätzung der Qualität des Bühnenbilds werden den Mitgliedern dann in einer Montage präsentiert, womit zumindest sichergestellt wird, dass die Nominierungen mit der nötigen Vertrautheit mit den zu bewertenden Filmen vonstatten gehen. Allerdings existiert auch eine unschöne Anekdote zu diesem Prozess. Als die Dokumentarfilmer über eine Nominierung von Hoop Dreams, welcher heute als eines der besten nicht-fiktiven Werke der USA gilt, abstimmten, entschieden sie sich nach 15 Minuten, die Vorstellung abzubrechen, um zum nächsten Kandidaten zu springen. Sicherlich hätten die folgenden zweieinhalb Stunden ein positiveren Eindruck bei den Juroren hinterlassen.

Video on Demand
Eine andere bewährte Möglichkeit, die Academy-Mitglieder zum Sehen der Filme zu animieren, ist es, ihnen extra für sie vorab gepresste DVDs zuzusenden, damit sie sich ohne jeglichen Aufwand einen Eindruck verschaffen können. Wie wichtig dieser mittlerweile als Usus angesehene Prozess ist, zeigt die Ära vor der Erfindung der Videokassetten. Kleinere Studios konnten ihre Filme nicht bewerben, da lediglich teure, gemietete Theatersäle die Möglichkeit boten, den Stimmberechtigten ihre Werke vorzuführen. Seit der Einführung der VHS und der Idee, diese den Mitgliedern nach Hause zu schicken, können sich Independent-Streifen wesentlich mehr Hoffnungen auf die begehrten Goldjungen machen. Im digitalen Zeitalter bürgt dies jedoch die Gefahr, dass die DVDs von Filmen, welche noch nicht im Laden erhältlich sind, schon lange vor ihrer Zweitverwertung fürs Home Entertainment im Internet landen. Deswegen wird derzeit der Versuch unternommen, per zeitlich limitiertem Stream die nominierten Filme den Wahlberechtigten ins Haus zu liefern. Allerdings kann sich die in allen Fragen eher konservative Academy derzeit noch nicht mit dieser Idee anfreunden.

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