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Die Betrachtung eines chaotischen Systems

18.10.2014 - 17:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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Annapurna Pictures
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Wie wir Filme bewerten, ist wahrscheinlich so individuell wie jeder von uns selbst. Obwohl Moviepilot uns ein System vorgibt, sind die Einflussfaktoren und Kriterien jedes einzelnen unzählbar in ihrer Vielfältigkeit. Unter Kommentaren und Artikeln entstehen immer wieder Debatten darüber, wie man einen Film als gut oder schlecht bewerten kann und ob es erstrebenswert ist, objektiv sein zu wollen. Also, ihr Moviepiloten, was ist euer Bewertungssystem?

Ich habe es mir von Anfang an leicht gemacht und habe das vorgegebene Bewertungssystem von Moviepilot eins zu eins übernommen. Das bedeutet:
0 mit Totenkopf: Hassfilm
0 und 1: Schmerzhaft
2: Ärgerlich
3: Schwach
4: Uninteressant
5: Geht so
6: Ganz gut
7: Sehenswert
8: Ausgezeichnet
9 und 10: Herausragend
10 mit Herz: Lieblingsfilm

Wenn ich einen Film gesehen habe, gehen mir genau diese Worte durch den Kopf. Für mich funktioniert dieses System reibungslos. Andere hadern allerdings schon bei der Definition der Begriffe. Zum Beispiel kann einem ein Film nur „ganz gut“ gefallen, aber er ist stilistisch (oder sonst was) in seinem Genre herausragend. Klar, die Definitionsfrage muss man sich vorher stellen. Ich habe fest gelegt, dass „Herausragend“ bedeutet, dass er von allen Filmen, die ich bisher gesehen habe, in seiner Gesamtheit herausragend ist. An meinen oft genauen Vorhersagen sehe ich, dass das wunderbar klappt. Aber so einfach ist das Ganze dann doch nicht. 

Einflussfaktoren
Auch wenn jemand dieses System genauso benutzt wie ich, heißt das noch lange nicht, dass wir gleiche Filme auch gleich bewerten. Denn warum wir einem Film eine bestimmte Punktzahl geben, hängt von Einflussfaktoren ab, die so zahlreich sind wie die Sterne am Nachthimmel. An welchen Themen bin ich interessiert? Mit welchen Personen kann ich mich identifizieren? Stehe ich mehr auf Optik oder Inhalt? Mag ich es realistisch oder wirklichkeitsfremd? Und bei diesen Fragen kratzt man nicht mal an der Oberfläche. Schon allein das, was unsere Interessen bestimmt, könnte ein ganzes Semester an psychologiegeprägten Vorlesungen füllen. Das fängt dabei an, wie wir aufgewachsen sind, was wir alles erlebt haben, wie wir emotional ticken, wie unsere Freizeitgestaltung aussieht, was wir uns wünschen und wovon wir träumen, wie wir zu den unendlichen Themen des Lebens stehen (zum Beispiel Religion, Politik, Geschichte, Finanzwirtschaft etc.) und vor allem was wir dabei mit uns selbst verbinden. Ich finde, sobald wir auch nur ein Fitzelchen von uns selbst mit einem Film verbinden können, besteht schon mal ein Grundinteresse, das sich in alle Richtungen weiter ausbauen kann. Unsere Persönlichkeit bestimmt also unseren Geschmack. Wie könnten wir da also ernsthaft den Filmgeschmack eines anderen diskreditieren?
Von ihm auf die Persönlichkeit Rückschlüsse zu ziehen, ist allerdings auch nicht so einfach. Wenn ich über meine Interessen und Vorlieben nachdenke, frage ich mich: Was sagt das über mich aus? Ich könnte spekulieren, aber Ahnung habe ich eh keine.

Ach, und wenn jemand z.B. in der Filmbranche arbeitet, betrachtet er einzelne Werke natürlich aus einer ganz anderen Perspektive, achtet vielleicht mehr auf eine handwerklich gute Umsetzung. Genauso achtet ein Historiker vielleicht ganz genau auf die Richtigkeit von geschichtlichen Details. Dann kommt es auch immer drauf an, in welcher Stimmung ich gerade bin und vielleicht auch warum ich in dieser Stimmung bin. Ich bin der Meinung, dass der Zustand, in dem man sich während einer Filmsichtung befindet und auch in welcher Umgebung, einen wesentlichen Einfluss hat. Und man könnte wohl noch hunderte weitere Faktoren benennen, wie der eigene Wissensstand, ansteckende Begeisterung vom Sitznachbarn, selbst erdachte Kriterien… ach ja, die Kriterien!

Kriterien
Es gibt sicher eine Menge Aspekte, die man an einem Film bewerten könnte. Doch nicht für alle sind die gleichen Kriterien von Bedeutung. Und auch die Priorität dieser ist unterschiedlich gewichtet. Auf meiner Rangliste ist der Unterhaltungswert ganz oben. Genau das ist, was ich von einem Film erwarte. Ich will zudem eine interessante Geschichte, so wenige Längen wie möglich, eine zumindest gute schauspielerische Leistung, Charaktere mit denen ich mich in irgendeiner Weise identifizieren kann und eine passende Atmosphäre, die in mir die richtigen Emotionen auslöst. Dazu kommen weitere Pluspunkte für einen schönen Soundtrack (Musik ist ja auch wieder Geschmackssache), Farben, Stil, Kamera, künstlerische Motive, natürlich für Intentionen und Botschaften. Wichtig ist für mich auch, wie sich der Film über die Zeit bewährt. Dann gibt es zudem noch den individuellen Nostalgie-Bonus, Regisseur-Bonus, Schauspieler-Bonus, Zeit-Bonus usw.. Eine schier unendliche Liste könnte man da aufrollen. Wobei sich der ein oder andere vielleicht nur denkt: „Muss eben gefallen.“. Tatsächlich geht hier alles. Es ist wie mit zwischenmenschlicher Chemie. Entweder man ist sich sympathisch oder nicht. Manchmal kann man die Gründe dafür bestimmen, manchmal ist es ein Rätsel. Unsere Psyche hat uns fest im Griff und ist immer noch ein großes Mysterium. Jede Meinung ist ein Cocktail aus unendlich vielen unterbewussten Gefühlen und Gedanken. Es ist leichter sie einfach zu akzeptieren, als sie zu analysieren.

Objektivität und Subjektivität
Wo fängt Subjektivität an und wo hört Objektivität auf? Gibt es Objektivität überhaupt? Ein sehr beliebtes und demnach auch sehr interessantes Diskussionsthema. Hier mal eine leicht gekürzte Definition unserer Lieblingsenzyklopädie  zum Thema Objektivität:

Objektivität bezeichnet die Unabhängigkeit der Beurteilung oder Beschreibung einer Sache. Die Möglichkeit eines neutralen Standpunktes, der Objektivität ermöglicht, wird verneint. Objektivität ist ein Ideal der Philosophie und der Wissenschaften. Da man davon ausgeht, dass jede Sichtweise subjektiv ist, werden wissenschaftlich verwertbare Ergebnisse an bestimmten, anerkannten Methoden und Standards des Forschens gemessen.

Demnach ist Objektivität nur ein irreales Modell zur Bewertung. Jeder Mensch ist ein Subjekt und seine Meinung IMMER subjektiv. Das einzige, was wir uns als allgemeingültig ableiten können, besteht aus hohen Wahrscheinlichkeiten und mehrheitlichen Meinungen. Das ist nichts weiter als Statistik. Möchte man ein Filmerlebnis wirklich auf so etwas beschränken? Ich nicht! Filme bedeuten Spaß und Emotionen. Sie geben uns Träume, Hoffnungen, Thrill und Lebensfreude. Jeder hat eine andere Vorstellung davon. Dafür Verständnis bei anderen aufzubringen, kann doch nicht sonderlich schwer sein?

Meine Bewertung spiegelt mein Filmerlebnis
Fakten und Trivia gibt es auf jeder Filmseite und jedem Filmlexikon. Um sowas wiederzugeben, bin ich nicht hier auf Moviepilot. Ich möchte mit euch teilen, was sich in meinen Gedanken abgespielt hat und wie ich den Film gesehen habe. Dabei freue ich mich über Zustimmungen genauso wie über andere Meinungen. Nichts ist anregender für den Geist als eine anständige Diskussion. Mit der Zeit kann man seinen Freunden zuverlässige Empfehlungen aussprechen und selbst welche einholen. Das geht aber nur, wenn man ehrlich zu seinen Vorlieben steht und sich nicht von der Meinung anderer beeinflussen lässt. Nur weil ein Regisseur immer in den Himmel gelobt wird, muss man nicht all seine Filme mögen. Nur weil ein Film eine gute Intention hat, muss er noch lange nicht unterhaltsam sein. Und auch der Oscargewinner vollbringt nicht immer schauspielerische Wunder. Wenn ein Film einen Community-Schnitt von 8,5 hat, bekommt er trotzdem seine 2 Punkte, wenn ich ihn doof finde. Was ich abschließend eigentlich nur sagen will, ist: Steht zu eurer Meinung! Seid offen für die Meinung anderer! Und lasst uns alle daran teilhaben! 


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