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Der Western als Ausdruck menschlicher Urinstinkte

13.11.2016 - 20:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Kaum ein anderes Genre ist derart limitiert und vielleicht deshalb so faszinierend wie die Zeitlosigkeit, die wir in diesem Genre vorfinden. Der Western hatte seine Hochphase in den 50er und 60er Jahren. Was als Filmdokument über die Landnahme der Siedler und der daraus resultierenden Konflikte begann, hat spätestens mit dem Italowestern seinen Kern verloren. Die Neowestern wie "Django Unchained", "True Grit", aber auch "Bone Tomahawk" zeigen jedoch, dass das Genre sich noch längst nicht überholt hat. Das könnte damit zusammenhängen, dass es eigentlich gar nicht um den Wilden Westen geht, sondern um ein psychologisches Setting.

Der erste Western der Geschichte dauert 12 Minuten, stammt von 1903 und hat einen Eisenbahnraub des Banditen Butch Cassidy zum Thema, der um 1900 stattfand. Damit gehört das Genre auch schon zu den ältesten überhaupt. Verwunderlich ist das natürlich nicht, wenn man bedenkt, dass der Film zu Zeiten des Wilden Westens zwar in Europa erfunden wurde, aber in den USA eben mit Porters "Der große Eisenbahnraub" seine erste erzählerische Komponente erhielt. Obwohl der "Western" als ureigenes amerikanisches Filmvermächtnis gilt, löste er sich im Laufe der Jahrzehnte von den amerikanischen Mythen und wurde zu einer völlig eigenständigen Kunstform, die zwar nachwievor auf Pferde, Banditen und Revolver innerhalb eines bestimmten Zeitraums (der Pionierzeit, grob eingeteilt zwischen 1850 - 1900) in einem geographisch bestimmten Gebiet (nämlich hauptsächlich westlich vom Mississippi) zu verorten ist, allerdings - und das ist von Bedeutung - in einem phantastischen Kosmos spielt, der nicht immer (oder auch gar nicht) als solcher wahrgenommen wird, weil die Übergänge vom Mythos zur Phantastik fließend verlaufen. Nun ist es ziemlich platt, zu behaupten, ein Film sei ein Konstrukt der Fantasie. Hier aber geht es nicht um Fantasie, sondern um Phantastik in einem sehr eng gesteckten Rahmen (denn außer in einigen Crossover-Filmen tauchen dort keine übersinnlichen Wesen auf).

Anders wie im Mittelalter- oder Historienfilm (und manche Western der Hochphase wollen genau das sein) hat sich das Western-Setting erfolgreich bis in unsere Zeit hinein getragen, gerade weil der Fabulierlust hier keine Grenzen gesetzt sind. Ganz im Gegenteil kann die Bildästhetik des Genres so manche banale Story ersetzen. Gleiches gilt für die Filmmusik, die hier eine ganz andere Rolle übernimmt, als nur mit Psychoakkustik zu arbeiten, wie das etwa in Dramen, Thrillern und Horrorfilmen der Fall ist.

Der Kern des Westerns jedoch ist so etwas wie eine Individuation. Er wurde im Laufe seiner Existenz zu etwas Ganzem. Das kann weder das Drama noch der Actionfilm von sich behaupten. Und das hat sowohl etwas mit Ästhetik als auch mit psychologischen Urformen zu tun, mit der Metaphysik und der Grenzerfahrung eines noch unerschlossenen Kontinents und der individuellen Werdung. Ob es sich nun um Rache, Heldenmut, Gerechtigkeit usw. als Triebfeder handelt, im Western treffen wir auf die Archetypen der menschlichen Beweggründe, selbst im zynischen Italowestern. Wenn es also ein Genre gibt, das als Romantisch überhaupt gelten kann, dann ist es der Western.

Trotzdem soll hier nicht verschwiegen werden, dass das Genre in seiner Hauptproduktionszeit einem nationalen Mythos diente, den man mögen kann oder nicht. Das allein würde der Entwicklung und der Faszination des Genres kaum gerecht, denn es gibt genügend Beispiele, an denen sich ablesen lässt, wie sich stets wiederkehrende Stereotypen überholen und dann auseinanderfallen. Sieht man sich gerade die jüngsten Perlen The Revenant - Der Rückkehrer oder The Hateful 8 (und selbst Bone Tomahawk) an, erkennt man eine völlig zeitgemäße Herangehensweise, fast schon eine Frischzellenkur, was die erzählerischen Elemente betrifft. Vielleicht ist das alles nur ein Strohfeuer, aber ich selbst glaube nicht an das Ende des Westerns, ganz einfach deshalb, weil uns die Idee fasziniert, was unter der eigentlichen Limitation schlummert.

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