Der Weiße Hai - Ein großer Klassiker mit viel Biss

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Der Weiße Hai
Universal Pictures/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Der Weiße Hai
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Ihr habt uns einige Texte zur Aktion Lieblingsfilm eingeschickt. Diese mit viel Verve verfassten Werke sollt ihr natürlich auch zu lesen bekommen. Heute präsentieren wir euch einen Text über Spielbergs Meisterwerk Der Weiße Hai.

Matt Hooper: “Das hier ist kein Bootsunfall. Das war keine Schiffsschraube. Schon gar nicht ein Korallenriff. Und es war auch nicht Jack the Ripper. Es war ein Hai.”

Inszenatorische Wunder beim traditionellem Filmemachen gibt es ja nicht allzu oft zu bestaunen. Manchmal kann es aber durchaus vorkommen, dass aus einem schlichten, archaisch anmutenden B-Movie Stoff etwas richtig Großes entstehen kann. Dazu gehören eine große Portion Glück, Unverfrorenheit, Raffinesse, der richtige Umgang mit der Materie, außerordentliche Fähigkeiten in Punkto Regiekünsten, richtige Darsteller und das Gespür für wahre Dramatik und Suspense. Der weiße Hai ist einer dieser kalkulierten Glücksfälle der Vergangenheit, indem all diese Zutaten zu etwas außerordentlichen und heute immer noch starkem bis sehenswertem zusammengefügt wurden, trotz seiner im Grunde genommen nicht von der Hand zu weisenden Banalität der vorgetragenen Geschichte. Ein großer weißer Hai tummelt sich in den Küstengewässern des Badeortes Amity Island und knöpft sich ein Opfer nach dem anderen vor. Nur drei mutige Männer stellen sich dem Ungetüm bzw. nehmen den Kampf auf.

Was sich in wenigen Sätzen ziemlich anödend anhört, wird in Spielbergs Händen zu einem der besten Filme der Filmgeschichte. Denn Der weiße Hai ist vielmehr als nur der Kampf des Menschen gegen die Auswüchse der Natur, er ist ein Paradebeispiel dafür, dass gute Filme und Suspense in der Regel beim Betrachter im Kopf entstehen. Alfred Hitchcock lebte diesen Umstand bereits zur Genüge vor, Steven Spielberg führte diesen weiter und kannte beim inszenieren keine Gnade. Der weiße Hai wirkt beinahe schon unbarmherzig im weiterem Verlauf. Spielbergs Schaffen ist auf der einen Seite der gnadenlose, psychologische Horror für den Verstand, welcher sich aus heutigen Gesichtspunkten selbstverständlich etwas abgenutzt hat, auf der anderen Seite ist dieser heutige Kultstreifen eine clevere Reflektion über a) die Verdrängungsmechanismen des schlimmsten amerikanischen Traumas, des Vietnamkriegs, über b) die Auseinandersetzung, die Annahme, das Bestehen dieses Kampfes und die persönliche Befreiung aus diesem Trauma. Sehr oft wurde Der weiße Hai in der Vergangenheit in seiner Intention als “reiner” Creature Horror missverstanden, was teilweise schon zur Ausrottung dieser bewundernswerten Spezies führte und Spielbergs Meisterwerk bis heute mehr und mehr einen schlechten Ruf einbrachte.

Völlig zu Unrecht, möchte man meinen. Denn an der Ausrottung einer Spezies ist Steven Spielberg weiß Gott nicht gelegen. Denn mit Roy Scheider, Richard Dreyfuss und Robert Shaw wählte Spielberg für sein wahres Thema drei auf ihre Weise nahezu perfekte Darsteller aus, die es auch heute noch schaffen, den Betrachter zu überzeugen. Alle drei Darsteller sind in Der weiße Hai der Umwelt zunächst nicht wohl gesonnen, wirken befremdlich und machen auf die Gesellschaft keinen besonders überzeugenden Eindruck. Das Script versteckt eine heimliche Parabel auf die amerikanischen Heimkehrer aus Vietnam und suggeriert unterschwellig, mal sarkastisch, mal ein wenig boshaftig, Kritik an der Gesellschaft und auch an der „Nicht-Aufnahme“ der amerikanischen Heimkehrer des Vietnamkrieges in die Mitte der Gesellschaft. Aus dieser Paranoia heraus stellen sich die drei „Helden“ des Filmes der wachsenden Bedrohung. Und nicht alle von ihnen werden die Schlacht im Film mit dem fleischgewordenen psychologischem Trauma in den Köpfen der Menschen am Ende überleben.

Auf Grund der damals vorherrschenden Probleme am Set wie Attrappenschäden und weiteren Dingen kann man regelrecht froh darüber sein, dass man den Gegner des Filmes in der ersten Hälfte des Filmes kaum zu Gesicht bekommt. Denn in der ersten Hälfte des Filmes trumpft Spielberg gnadenlos auf. Das, was er in die Köpfe der Betrachter einhämmert, ist einfach nur unerreicht bis heute. Steven Spielberg spielt geschickt mit den Urängsten des Menschen, lässt den Gegner unerkannt mittels der eingesetzten Perspektive unter Wasser angreifen und im Kopfe des Betrachters das real werden, was bei einem wirklichem Angriff eines großen Haies passieren würde. John Williams legendärer Score sorgt für die richtige Stimmung und genügend Paranoia, damit der reine psychologische Horror sich entfalten kann. Die zweite Hälfte des Filmes erreicht zwar nicht mehr ganz diesen gnadenlosen Horror, ist dafür aber mordsspannend gestrickt. Der Auseinandersetzung des Menschen mit dem eigenen fleischgewordenen Trauma und dem Auswuchs der Natur wird als knallharter Überlebenskampf inszeniert, welcher mit einem hartem und blutigem Finale abschließt. Die Überlebenden brauchen vor der Gesellschaft keine Angst mehr zu haben, sie werden nach Bezwingen des Hais auf Grund ihrer Taten akzeptiert und haben so oder so ihr inneres Trauma überwunden. Natürlich muss, damit Der weiße Hai am Ende gelingen kann, schauspielerisch natürlich alles funktionieren.

Aus zeitgenössischer Perspektive betrachtet verkörpern die drei Helden des Filmes nicht nur unterschiedliche Typen, sondern unterschwellig bzw. klammheimlich die politischen Standpunkte der damaligen Zeit, die beim Aufbegehren gegen die Gesellschaft eine zentrale Rolle spielen. Ist Roy Scheider in seiner Rolle noch der Durchschnittsamerikaner, dem die Aufnahme in der Mitte der Gesellschaft im konventionellen Sinne zunächst verwehrt bleibt und der sich am Schluss durchsetzt, sind Robert Shaw und Richard Dreyfuss mit ihren Frotzeleien, Reibungsflächen und Auseinandersetzungen schon wesentlich interessanter. Robert Shaw verkörpert in der Rolle des Seebären Quint einen reaktionären, an Selbstjustiz vorgehenden Kriegsheld, welcher sein persönliches Trauma nie ganz überwinden konnte (dazu werden immer wieder Erzählungen der Vergangenheit eingeflochten) und der in letzter Konsequenz auch an diesem scheitern wird.

Als politisch Konservativer, der den Kampf, genau wie der Rest der Protagonisten, gegen die Skrupellosigkeit und Unmoral der im Film etwas bieder und formelhaft gezeichneten politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse aufnimmt, steht er auf verlorenem Posten. Richard Dreyfuss hingegen ist so etwas wie das Abziehbild von Steven Spielberg, er verkörpert einen von der Mehrheit unterdrückten, hochintelligenten und politisch links motivierten Menschen, der, wenn es wirklich zur Sache geht, sich gegen die anderen durchzusetzen bzw. zu behaupten weiß. Aber auch im richtigen Moment wird er genau wie Robert Shaw in seiner Rolle am wahr gewordenen Trauma und Alptraum scheitern, weil er zu passiv agiert und nur noch zum Betrachter wird. Diesen astreinen Charakterzeichnungen ist es auch zu verdanken, dass Der weiße Hai letztendlich doch etwas komplexer wird und die eigentliche simple Geschichte nicht negativ erscheinen lässt.

Fazit: Der weiße Hai gehört definitiv zu Steven Spielbergs fünf besten Filmen und ist einfach nur el fenómeno, klasse gespielt und vorbildlich im Spannungsaufbau inszeniert worden. Schade ist, dass er, wie erwähnt, schon einiges an Wirkung eingebüßt hat, weil man ihn mittlerweile zu oft betrachtet hat. Daher sollte man den Film nur in unregelmäßigen Abständen wieder schauen. Es lohnt sich. Der weiße Hai ist nach wie vor ein starker Film. Und auch die oft zitierten Nachfolger konnten an diesen „Klassiker“ nicht mehr anknüpfen. Wirklich schade.


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