Cyrus - Wenn Indie-Filme zu murmeln beginnen

24.11.2010 - 08:50 Uhr
Cyrus
20th Century Fox
Cyrus
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Mit Cyrus kommt eine Tragik-Komödie der besonderen Art in unsere Kinos. Besetzt mit einem hochkarätigen Cast bedient sie sich der Stilistik der Mumblecore-Szene. Mumblecore goes Mainstream sozusagen. Aber was ist Mumblecore überhaupt?

Die Ursprünge der Mumblecore-Bewegung gründen sich auf ähnlichen Motiven, wie die der Dogma 95-Szene. Auch Mumblecore lehnt jegliche dramaturgischen Vorhersehbarkeiten und Stereotypen ab, reduziert technische Manipulationen auf ein Minimum und will stattdessen ein Abbild des Lebens einfangen. Technische Unvollkommenheiten oder schauspielerische Stolpersteine werden dabei nur zu gerne in Kauf genommen, um möglichst schlichte, aber menschliche Geschichten einzufangen. Die Filme entstehen zu einem Großteil aus der Improvisation der Schauspieler und der Regisseure heraus. Durch die überschaubare Größe der Mumblecore-Szene greifen sich deren Mitglieder öfters gegenseitig unter die Arme, wodurch der Zuschauer regelmäßig auf die gleichen Namen in unterschiedlicher Besetzung stößt. Ausgereifte Scripts liegen in den seltensten Fällen vor, Mumblecore-Anhänger begnügen sich mit einer Ausgangsidee oder einem groben Konzept und überlassen den Rest der gemeinsamen Teamarbeit und dem Zufall selbst.

Murmelnde Stilmerkmale
Mumblecore kann an folgenden Merkmalen festgemacht werden: Absolutes Low-Budget, keine Förderung oder Finanziers, kein fertiges Script, keine filmischen Verzerrungen in Form von aufwändigen Nachbearbeitungen, keine Hollywood-Konventionen, -Dramaturgien oder -Klischees. Nur eine grobe, ungeschönte, digitale Videoästhetik, murmelnde und improvisierende Schauspieler, die stets irgendwelche Mittdreißiger verkörpern und maximale Authentizität mit dem Ziel, die Belanglosigkeit des Alltags zu zelebrieren.

Wenn Indie zu Kommerz verkommt
Die Mumblecore-Szene ist eine Bewegung innerhalb der amerikanischen Independent-Szene, die sich wiederum in den letzten Jahren zusehends dem selbst erklärten Feind – Studiosystem Hollywoods – angenähert hat. Jedes der großen Hollywood-Studios betreibt mittlerweile einen eigenen Independent-Zweig, der sich auf prestigeträchtige Indie-Filme spezialisiert hat, die anschließend ins alljährliche Oscarrennen geschickt werden.

Eine kleine Übersicht über Mumblecore- und Mumblecore-nahe Filme
- Napoleon Dynamite (2004)
- The Puffy Chair (2005)
- Quiet City (2007)
- Baghead (2008)
- Medicine for Melancholy (2008)
- Humpday (2009)
- Beeswax (2009)
- The Exploding Girl (2009)
- Greenberg (2010)
- Cyrus (2010)

Mit The Exploding Girl schaffte es am 06. Mai 2010 übrigens der erste richtige Mumblecore-Vertreter in die deutschen Kinos.

Cyrus – Worum geht es?
Sieben Jahre nach seiner Scheidung hat John (John C. Reilly) sein Leben immer noch nicht richtig im Griff. Zu allem Überfluss überbringt ihm seine Ex-Frau Jamie (Catherine Keener) auch noch die Nachricht, dass sie in Kürze erneut heiraten will. Da sich die beiden trotz allem gut verstehen, lässt sich John, zunächst noch widerwillig, dazu überreden, zu ihrer Party zu kommen. Trotz seines verzweifelten Auftretens lernt er jemanden kennen, die warmherzige Molly (Marisa Tomei). Die beiden Singles verstehen sich auf Anhieb, gehen schließlich öfter gemeinsam aus und alles könnte perfekt sein, wäre da nicht ein Problem: Mollys Sohn Cyrus (Jonah Hill).

Cyrus – ein Hollywood-Mumblecore-Hybrid
Cyrus stellt ähnlich wie Greenberg, der ebenfalls in diesem Jahr in die deutschen Kinos kam, eine Mischung aus Hollywood- und Mumblecore-Stilelementen dar. Ein fertiges Drehbuch existierte nicht und wurde von den Schauspielern direkt am Set improvisiert. Dies ist insofern beachtenswert, da es sich bei John C. Reilly Marisa Tomei und Jonah Hill um bekannte Hollywood Schauspieler handelt, die bis dato noch keine Mumblecore-Erfahrungen vorzuweisen hatten und die sich an diese Arbeitsweise erst gewöhnen mussten. Auch die Handkamera-Inszenierung und das ständige Spiel mit dem Kamerazoom zeugen vom Einfluss der Independent-Bewegung.

Auf der anderen Seite enthält der Film klassische Hollywoodelemente, wie die namhafte Besetzung vor und hinter der Kamera. Das Gebrüdergespann Ridley Scott und Tony Scott produzierten Cyrus mit ihrer Produktionsfirma Scott Free. Die drei Hauptdarsteller sind außerdem alles andere als kleine Indie-Schauspieler, auch wenn Marisa Tomei und John C. Reilly bereits in kleineren Produktionen zu sehen waren. Zudem kostete der Film sieben Millionen Dollar, was für einen reinen Mumblecore-Film eine exorbitante Summe darstellen würde. Auch die konventionelle Dramaturgie mit dem versöhnlichem Ende und die teils klischeebeladenen Charaktere – so gut sie sich auch in den Film einfügen – sprechen die alt bekannte Studiosprache Hollywoods.

Cyrus – Klein aber (rundlich)-fein
Cyrus ist eine sympathische Beziehungskomödie mit ernsten Untertönen, die weder besonders lustig noch besonders dramatisch sein will. Sie will einfach – ganz im Sinne der Mumblecorefilme – ein Stück Realität einfangen. Die bezaubernde, ewig junge Marisa Tomei versüßt einem den Film zusätzlich und selbst der ansonsten ständig kalauernde Jonah Hill hält sich vornehm zurück und fügt sich dem Ensemble unter.

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