Beste Regisseure aller Zeiten - Platz 9: Spike Jonze

23.05.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Beste Regisseure aller Zeiten - Platz 9: Spike Jonze
Warner Bros. Pictures
Beste Regisseure aller Zeiten - Platz 9: Spike Jonze
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Was Spike Jonzes Arbeit ausmacht, sind seine Ideen. Sie prägen seine Musikvideos, Werbe-Spots, Kurzfilme und Dokumentationen. Hier kommt Platz 9 der besten Regisseure aller Zeiten.

Der Knotenpunkt in Spike Jonzes so unterschiedlichen Werken ist die Idee. Am besten lässt sich das anhand seiner Engagements als Regisseur von Musikvideos illustrieren. Kleinformate wie Musikvideos bieten wenig Spielraum für groß angelegte Handlung, dafür ist die Zeit zu kurz bemessen. Jonzes Herangehensweise zu ihnen ist deshalb so treffend, weil seine Arbeit sich darauf konzentriert, eine Idee zu formulieren.

Ein Beispiel: Sein Video zu Wax' Lied California besteht ausschließlich aus dem langen Sprint eines Mannes, dessen Kleidung in Flammen steht. In Zeitlupe zoomt Jonze immer weiter aus der Ursprungseinstellung heraus, bis der brennende Mann, dann sein Sprint, dann der Straßenzug und dann die Zeugen sichtbar werden. Als die Zuschauer endlich das volle Bild haben und sehen, dass der Mann gerade seinen Bus verpasst hat, ist das Lied auch schon zu Ende.

Brennender Mann in California

Von der Idee zur glaubhaften Umsetzung

Spike Jonzes Fähigkeit, Ideen zu entwickeln und sie in Bilder zu fassen, macht ihn zu einem wertvollen Kollaborateur. Charlie Kaufmans Drehbücher zu Being John Malkovich (Community-Wertung: 7,453) und Adaption (Community-Wertung: 7,273) beruhten auf einer ganzen Reihe ausgefallener Einfälle. Jonze ist es durch seine Arbeit an Musikvideos gewohnt, diese Einfälle visuell umzusetzen.

Die besondere Anziehungskraft von Being John Malkovich liegt aber vor allem darin, dass er die verschrobene Welt, welche die Figuren bevölkern, glaubhaft über die Dauer des Films vermitteln kann. Der Film funktioniert deshalb so gut, weil sich die Zuschauer darauf einlassen können, dass es wirklich möglich ist, in den Kopf von John Malkovich zu steigen.

Mit der Kraft der eigenen Fantasie: der springende Punkt

Nach der Ausarbeitung eines zentralen Gedankens erschafft Spike Jonze eine Welt, die sich an den Regeln dieses Gedankens orientiert und mit ihnen funktioniert. Sein Film Her, der auf der Prämisse basiert, dass ein einsamer Mann sich mit der KI seines sprechenden Betriebssystems anfreundet, könnte ein kurzes Musikvideo sein. Für einen Spielfilm reicht das aber noch nicht.

Bei Her ist trotzdem ein großartiger Film entstanden (von der Community als sein bester mit 7,981 bewertet), weil Spike Jonzes Fantasie ihn über den Sujet der Freundschaft zwischen KI-Stimme und Mensch hinausträgt. Er bebildert diese Idee, indem er der Freundschaft intime Momente befügt, wie beispielsweise eine Sexszene zwischen Nutzer und KI. Dann aber lässt er der Idee ihr Eigenleben, denkt sie weiter und baut drumherum einen Kosmos: Eine sprechende KI kann irgendwann nicht mehr von der Interaktion mit einem fehlerbehafteten menschlichen Intellekt zufriedengestellt werden. Joaquin Phoenix‘ Charakter darf darüber hinaus kaum der einzige Mensch sein, der dieses Produkt gekauft hat. Aus der Idee wird somit eine Geschichte und die Handlung beginnt. Spike Jonze schafft es, sich seiner Fantasie zu bemächtigen, sie für sich nutzbar zu machen, sie in die rechten Bahnen zu lenken. Das heißt nicht, dass er sie erstickt, sondern dass er sie als treibende Kraft einsetzen kann.

Figuren, die in einer glaubhaften Umgebung auftreten

Viele Charaktere, die Spike Jonzes Spielfilme bevölkern, sind bei genauer Überlegung nicht sonderlich sympathisch. John Cusacks Craig Schwartz in Being John Malkovich ist zerfressen von Geltungssucht, während Theodore Twombly in Her ein Jammerlappen ist, der sich weder um seine Mitmenschen, noch um sich selbst wirklich bemüht. Trotzdem nimmt das Publikum Anteil an deren Schicksal, investiert Geduld und Mitgefühl in deren persönlichen Schmerz.

Seine Kurz-Dokumentationen What’s Up Fatlip? und Amarillo by Morning zeigen Jonzes Interesse an seinen Figuren. In beiden Projekten trifft er auf Menschen, die mit großen Schwierigkeiten in ihrem Leben konfrontiert sind. Erstere behandelt den Abstieg des Rappers Fatlip, für deren vormalige Band The Pharcyde Spike Jonze einst ein Video drehte. Nachdem er aus der Band geschmissen wurde, erzählt Fatlip von seinem Abstieg in die Drogenabhängigkeit und die für ihn erniedrigende Begegnung mit einem Transvestiten. Amarillo By Morning dokumentiert einen Tag im Leben einer Handvoll Texas-Teenager, deren größter Wunsch es ist, professionelle Rodeo-Reiter zu werden. Sie teilen ihre privaten Missgeschicke und Sorgen mit ihm, weil er ihnen mit unverhohlenem Interesse begegnet. Ein Interesse, das hier in Zuneigung übergeht und die Zuschauer erreicht.

Teenager aus Texas proben Rodeo-Reiten auf einer Blechtonne

Wenn diese Menschen bereit sind, ihm soweit zu vertrauen, dass sie über ihre ganz persönlichen Träume, ihre Leidenschaft, ihre dunkelsten Momente mit ihm vor der Kamera sprechen, dann schafft das Authentizität. Das Umfeld, so seltsam, so künstlich oder unwirklich es sein mag, wird dadurch glaubhaft. Nichts wirkt unecht, wenn vier 16-jährige auf einer verrosteten Blechtonne Rodeo-Wettbewerbe austragen und für ihre große Karriere trainieren. Die Nähe zum Innenleben seiner Charaktere erlaubt es Spike Jonze sein Publikum so zu fesseln, dass es während der Dauer des Spielfilms nicht damit beschäftigt ist, die Seltsamkeit der Ereignisse zu hinterfragen.

Rapper Fatlip im Clowns-Kostüm auf dem Klo

In dieser Hinsicht hat Jonze mit Wo die wilden Kerle wohnen (trotz der vergleichsweise geringen Community-Wertung von 6,848) wohl sein Meisterstück abgelegt. In seinen Händen wird das Bilderbuch für Kinder zu einem Spielfilm über die Konflikte der Kindheit. Eine Reise in die Gedanken und die Emotionen eines 8-jährigen Jungen, für den seine Umgebung - gebaut von Erwachsenen - einen permanenten Zustand der Überforderung darstellt. Die Welt der Wilden Kerle aber, die er selbst seinen Vorstellungen entsprechend gebaut hat, die versteht er. Wenn Spike Jonze die Zuschauer dorthin entführt, dann fühlen wir uns gemeinsam mit Max (Max Records) wohler, wo die Wilden Kerle wohnen, als im Haus bei seiner Mutter und Schwester.

Es entstehen Geschichten mit einem ganz persönlichen Kern

Alle Werke, an denen Spike Jonze in seiner Karriere gearbeitet hat, haben ihren ganz eigenen, persönlichen Kern. Als Individuen bevölkern sie den Film-Kosmos. So steht jeder seiner Filme und jeder seiner Kurzfilme für sich und doch sind sie alle verbunden über die menschlichen Fähigkeiten der Fantasie, der Neugier und der Empathie. Das heißt nicht, dass dies nur möglich ist, weil er alles allein macht oder nur mit kleinem Budget und ohne Vorgaben arbeitet. Im Gegenteil. Spike Jonzes Werke sind verwurzelt im Willen zur Kollaboration. Sie sind Gemeinschaftsarbeiten, die seine individuelle Handschrift tragen. So entstand unter seiner Führung eine der menschlichsten und verblüffendsten Filmographien, die es zu finden gibt.

Wer nach diesem Text Lust bekommen hat, sich mit der Arbeit von Spike Jonze zu beschäftigen, dem sei die DVD The Work of Director Spike Jonze ans Herz gelegt. Dort finden sich viele seiner Musikvideos mit wertvollen Audiokommentaren. Darüber hinaus die beiden angesprochenen Kurz-Dokumentationen What’s Up Fatlip? und Amarillo in the Morning.

Welche Filme von Spike Jonze sprechen euch besonders an?

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