Axolotl Overkill - Jugendfilme bringen uns an einen seltsamen Ort zurück

29.06.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Axolotl Overkill mit Jasna Fritzi BauerConstantin Film
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Alle Menschen müssen aufwachsen. Hinterher ist es aber oft schwer, zurückzublicken und zu erklären, was eigentlich passiert ist. Für Filmemacher eine ganz spezielle Herausforderung.

Ich habe überlebt. So wie die meisten Menschen, habe auch ich irgendwann zwei Füße auf den Boden bekommen. Mittlerweile liegen die Konflikte der Jugend schon eine Weile zurück und ich gestehe, dass ich da auch nicht wieder hin muss. Im Nachhinein hat dieser Ort etwas Surreales. Als wäre er irgendwie unecht und hätte nie wirklich existiert. So vieles ist darin geschehen und nur wenig davon habe ich ganz bewusst wahrgenommen. Oft passierten Dinge einfach mit mir und erst später begriff ich, was genau geschah.

Wenn ich mich erinnern möchte, was in dieser Zeit eigentlich ablief und wie es sich angefühlt hat, dann freue ich mich über die Kraft der Jugendfilme und ihre Fähigkeit, mich an der Hand zu nehmen.

Nur von außen betrachtet, ist diese Welt nicht zu verstehen

Denn am stärksten ist ein Jugendfilm, wenn er genau das schafft: wenn er uns an diesen Ort – die Jugend – zurückführen kann. Als heute Erwachsene begeben wir uns gemeinsam dorthin zurück und werden wieder unser jüngeres Selbst. Besonders gute Coming-of-Age-Filme sind in der Lage, uns diesen Ort zurückzubringen; und wenn sie das tun, dann fühlen wir uns ein wenig wie im Traum. Die verfilmte Erinnerung verstärkt den traumartigen Effekt des Jungseins umso mehr.

In City of God etwa werden die Ereignisse aus dem Off von einer älteren Version des Charakters Buscapé erzählt. Er erinnert sich für sein Publikum an seine Jugend in den Favelas von Rio de Janeiro. An all die verschiedenen, überdimensionalen Charaktere und die Ereignisse, die ihn irgendwann von dort vertrieben. Gemeinsam mit der Hauptfigur, dem jungen Buscapé, gehen wir den Weg und wir identifizieren uns mit ihm. Zwar habe ich nie in Favelas gelebt, doch im Rückblick hat jede Jugend etwas Magisches und dank seiner Erzählung fühlt sich die andersartige Welt aus Buscapés Jugend in den brasilianischen Slums absolut vertraut an.

Buscapé in City of God

Mit Axolotl Overkill kommt diese Woche ein Film über ein 16-jähriges Mädchen namens Mifti (Jasna Fritzi Bauer) ins Kino. Sie lebt in Berlin mit ihren Geschwistern in einer WG, und rechtzeitig in die Schule zu kommen, ist noch eines ihrer kleinsten Probleme. Ihr Vater lebt in seiner eigenen Welt, gemeinsam mit seiner Freundin bewohnt er ein kunstvolles Haus außerhalb der Stadt. Ihre Geschwister sind nervöse Mittzwanziger und damit überfordert, sich in Lohn und Brot zu bringen. Sie selbst versucht, sich irgendwie durch die Stadt zu navigieren – raucht, trinkt und geht in Technoclubs. Sie landet in der Obhut zwielichtiger Frauen mittleren Alters und vertraut sich ihnen verhängnisvollerweise an.

Aus meiner Zuschauerperspektive wirkt das Verhalten der Erwachsenen dieses Films unrealistisch oder lächerlich. Ich debattiere mit der Geschichte über ihre Glaubwürdigkeit, und damit geht das Erlebnis verloren. Wenn ein Jugendfilm wie dieser es nicht schafft, die Gefühlswelt seiner jungen Protagonisten greifbar zu machen, dann blicken wir von außen auf die Charaktere, doch wir verstehen ihr Verhalten nicht. Für Mifti soll die Berliner Welt voller Absurditäten sein: Sogenannte Vorbilder verhalten sich ihr verantwortungslos; Menschen, die ihr sagen, sie soll zur Schule gehen, finden selbst keine Arbeit. Ich aber fand eher den Film und seine Charaktere absurd.

Napoleon Dynamite

Napoleon Dynamite beweist hingegen, dass eine absurde Handlung den Film selbst nicht absurd machen muss. Dieses Gefühl, stets am falschen Ort zu sein, sich seltsam zu fühlen, irgendwie nicht ganz zu wissen, um was geht, das ist ein zentraler Bestandteil des Jungseins. Napoleon Dynamite schafft es, im Gegensatz zu Axolotl Overkill, diese Absurdität mit seiner ehrlich-naiven Hauptfigur und seinen bunten Altersgenossen glaubhaft zu vermitteln: Napoleons schmächtiger Bruder Kip findet keinen Job und hofft stattdessen, Cagefighter zu werden. Der mexikanische Austauschschüler Pedro glaubt, er könne Class President werden, obwohl er keinerlei Bekanntschaften oder Freunde an der Schule hat. Offensichtlich bewegen sich diese Figuren in einer ganz eigenen Traumwelt.

Allein die Jugendkonflikte abbilden reicht nicht

Schon im April dieses Jahres erschien ein Film über eine orientierungslose junge Frau, genannt Vanilla (Maria-Victoria Dragus), mit dem Titel Tiger Girl. Vanilla versucht sich gerade einen Weg in die Gesellschaft der Erwachsenen hinein zu bahnen. Über einen Job bei einer Security-Firma will sie den Weg in die Ränge der Polizei schaffen. Doch trifft sie eines Nachts auf die mysteriöse Tiger (Ella Rumpf), die sich im Dachgeschoss eines Mietshauses mit Freunden versteckt hat und sich auf der Straße mit kleinen Ganovereien durchmogelt.

Tiger Girl - Vanilla vs. Tiger

Es ist ein Film, der von den Konflikten der Jugend erzählen möchte. Er präsentiert den Menschen Charaktere, die hin- und hergerissen sind zwischen dem, was als "richtig" gilt und der Anziehungskraft des "Falschen". Der zentrale Konflikt – die Wahl zwischen "Tiger" und "Vanilla" – dürfte dem Publikum bekannt sein, denn jeder hat ihn in seiner Jugend durchlebt. Tiger Girl stellt die aufgestauten Aggressionen der jungen Frauen dar, wenn sie während Vanillas Schicht als Sicherheitsfrau Glasflaschen heimlich auf dem Hof zerdeppern oder wahllos Fußgängern einen Schlag ins Gesicht versetzen. Das allein reicht aber nicht, denn das Publikum muss auch in diesen Zustand voller Frustration und Aussichtslosigkeit zurückversetzt werden.

Ein Zustand ständiger Überforderung

Denn ich erinnere mich an die Jugend als einen Zustand, dem ich hilflos ausgesetzt war. Da meine sozialen Fertigkeiten noch unterentwickelt waren, stolperte ich permanent in Situationen, die mich überforderten, an denen ich zuerst einmal scheitern musste. Learning by Doing/Trail and Error waren die Mottos der Zeit. Der Alltag bestand deshalb aus einem Minenfeld von Unsicherheiten.

Permanent kam es zu kleinen, eher verbalen, oder größeren, eher körperlichen Konflikten, die alle irgendwie was mit unserer Angst vor unserer eigenen Unsicherheit zu tun hatten. Es war eine Zeit ständiger Herausforderung, ein Zustand konstanter Überforderung. Leben in einer Gesellschaft muss gelernt werden. Filme wie Lockere Geschäfte, Die Träumer, Die Reifeprüfung zeigen das. Sie alle vermitteln ein Gefühl davon, dass wir in der Jugend nie genau wissen, was wir da eigentlich tun.

Boyhood von Richard Linklater ist beispielsweise ein Film, der diese Frustrationen, diese Hilflosigkeit aufdeckt. Die verschiedenen Episoden aus verschiedenen Lebensphasen fühlen sich an, wie sich das Jungsein einst anfühlte. Die Unsicherheiten der Hauptfigur Mason Jr. (Ellar Coltrane) erleben wir als Konsequenzen seiner familiären Situation. Sein geschiedener Vater ist selten da und kann ihm nur wenig Ratschläge geben. Seine Mutter gibt sich Mühe, die Familienstruktur wiederherzustellen, und geht zwei neue Beziehungen ein.

Boyhood

Beide Männer entpuppen sich jedoch als Trinker mit einem gefährlich explosiven Temperament. Im Gegensatz zum Verhalten des Vaters in Axolotl Overkill sind die Entscheidungen der Mutter in Boyhood nachvollziehbar, was sie weder richtig noch gut werden lässt. Im Gegenteil: Sie sind traumatisch für die Kinder. Doch können wir im Publikum verstehen, wo ihre Motivationen liegen, und dadurch verstehen wir, auf welcher Grundlage das Verhalten ihres Sohnes, unserem Helden, basiert.

Es ist einfach, die Eigenarten von Jugendlichen nachzuahmen, sie auf ihre Verhaltensweisen, ihre Wortschöpfungen und ihren Sprechstil zu reduzieren. Das schaffen Axolotl Overkill oder Tiger Girl immer noch mehr oder weniger gut, doch sie sind nicht in der Lage, an den Ort zurückzukehren, an dem dieses Verhalten entsteht. Als Zuschauer bleibt mir so der Weg in die Gefühlswelt der Figuren durchgängig verwehrt.

So wirken letzten Endes die Heldinnen dieser Filme wie Karikaturen der Jugend, wie eine laute Anekdote, die sich zwei Sechzehnjährige abends in einer Bar gegenseitig zurufen.

Was denkt ihr über Jugendfilme wie Axolotl Overkill?

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