August Diehl bedankt sich bei Heinrich Beloerer

22.12.2008 - 08:15 Uhr
August Diehl in Buddenbrooks
Warner Bros. Ent.
August Diehl in Buddenbrooks
0
0
NEWS» August Diehl zu seiner Rolle des Christian Buddenbrook in Buddenbrooks.

Können Sie sich erinnern, wann Ihnen Thomas Mann und die Buddenbrooks zum ersten Mal begegnet sind?
Mit 18 kam ich in der Schule zum ersten Mal mit Thomas Mann in Berührung, allerdings nicht mit den Buddenbrooks, sondern mit dem Zauberberg. Das war die erste Konfrontation mit Thomas Mann. Konfrontation deshalb, weil es sehr schwer war, das Buch zu lesen. Die Buddenbrooks habe ich erst viel später gelesen, ich glaube, das erste Mal mit 27. Das Buch hat einen ganz anderen Eindruck auf mich gemacht als der Zauberberg. Ich habe plötzlich verstanden, warum die Buddenbrooks damals so schnell zu einem Beststeller wurden: Das Buch ist ja kein Bildungsroman im herkömmlichen Sinne, es ist nicht nur Weltliteratur über die Höhen und Tiefen des Lebens, es ist auch ein sehr unterhaltsamer und ziemlich komischer Schmöker, eine Urlaubslektüre auf hohem Niveau.

Der Roman ist mehr als 100 Jahre alt. Was ist das Universelle an diesem Buch?
Für mich persönlich, ob als Schauspieler oder als Zuschauer im Kino, ist es eigentlich nie wichtig, ob ein Stoff aktuell ist, sondern ob der Stoff mich berührt. Und oft berühren mich Stoffe, die mir eine Übergangszeit zeigen – in diesem Fall das Deutschland vor den beiden Weltkriegen. Mir erzählen die Buddenbrooks sehr viel darüber, warum Deutschland heute so ist, wie es ist. Wir leben ja eigentlich genau in der Zeit, deren Opfer diese Familie geworden ist. Wenn man den Roman liest – oder den Film sieht – ist es die Beschreibung einer vergangenen Zeit, die uns aber noch sehr stark prägt. Das 19. Jahrhundert hat in Bezug auf den Umgang miteinander, z.B. auch die Stellung der Frau inner halb der Gesellschaft, immer noch starken Einfluss auf uns. In dieser Zeit entsteht eine neue Kraft, die Zeit scheint plötz lich viel schneller zu werden, eine Art Öffnung zur Welt passiert. Menschen, die ihren Traditionen und Idealen hinter her hinken, können diese am Schluss nicht mehr aufrecht er halten und gehen daran zu Grunde. Was mich an dem Roman auch interessiert hat, war die Unbewusstheit der Menschen. Dass sich alles entwickelt und man erst am Ende, wenn man vor den Trümmern steht, merkt, was eigentlich passiert ist.

Was für eine Figur ist Christian Buddenbrook, den Sie ver körpern?
Beim Spielen hatte ich den Eindruck, dass Christian die modernste Figur ist – und dadurch auch die schwächste. Im 19. Jahrhundert ist jeder Mensch wie ein Schauspieler auf die Straße gegangen. Man hat seine Rolle vor sich her getragen und hatte eine starke Maske. Wenn diese Maske angefangen hat zu bröckeln, war man ein schwacher Charakter. Wir sind heute sehr befindliche Menschen, reden gern über unsere Gefühle, über Irrationales, darüber, was wir gerade denken, was uns gerade in den Sinn kommt. Und Christian ist damals schon so. Er sieht in seinem Leben unglaublich viele verschiedene Wege, die er gehen könnte. Aber das macht ihn nicht zielstrebig, sondern orientierungslos und hilflos. Was mich auch fasziniert, ist Christians hypochondrische Seite und seine gleichzeitige Suche nach Liebe. Auch einmal einen jüngeren Bruder zu spielen – ich selbst bin ja ein älterer Bruder, aber hier jemanden zu spielen, der in einem Elternhaus aufwächst, in dem er eigentlich das problematische Kind ist, das war für mich eine große Herausforderung und hat mir auch sehr viel Spaß gemacht.

Es heißt in den Buddenbrooks: “Zufriedenheit ist die solideste Form des Glücks.”
Dieser Satz passt sehr gut auf die Buddenbrooks, denn Glück ist endlich. Dieser Satz ist etwas sehr Deutsches. Alles Risiko, das einen zu Grunde richten könnte, wird schon im Vornherein erstickt: Alles, was das Leben innerhalb von einer Sekunde verändern kann, wird in dieser Zeit und dieser Familie sofort zertreten.

Wie war die Zusammenarbeit mit Regisseur Heinrich Breloer?
Beim Casting für diese Rolle habe ich Heinrich Breloer zum ersten Mal getroffen und wusste nicht, was auf mich zukommt. Es war länger her, dass ich die Buddenbrooks gelesen hatte, ich hatte keine genaue Erinnerung mehr. Ich wusste nur, dass es ein großer, deutscher Stoff ist. Das Casting für die Buddenbrooks – Ein Geschäft von einiger Größe war für sich genommen schon ein Ereignis: Alles war bis ins kleinste Detail vorbereitet. Bevor es überhaupt anfing, wurden wir für zwei Stunden in die Maske geschickt. Dann wurden einem bestimmte Requisiten in die Hand gegeben. Und mit einem Mal wurde man in eine Welt hinein gesogen, die eigentlich gar nicht unsere ist, aber es war plötzlich ganz klar, wie man sich in so einer Rolle, auch durch die Kostüme, bewegt. Das alles ist Heinrich Breloer zu verdanken, der mit großer Leidenschaft dieses Thema vorbereitet hat. Auch wenn Thomas Mann und das Deutsche, das damit verbunden ist, nicht unbedingt mein Thema war, wurde ich sofort davon angesteckt. Die Rolle des Christian Buddenbrook ist ein riesiges Geschenk für einen Schauspieler. Dieses Geschenk hat mir Heinrich Breloer gemacht.

Wie haben Sie den Kameramann Gernot Roll erlebt?
Heinrich Breloer und Gernot Roll funktionieren ganz wunderbar als Gespann miteinander. Während eines Drehs gibt es immer auch Momente, in denen man sich fragt, was eigentlich los ist, worum es jetzt geht. Gernot Roll war in solchen Momenten immer voller Kraft, Elan und Durchsetzungsvermögen. Mit seiner Erfahrung ist er schon fast eine Art Naturgewalt, und es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Freude er während der gesamten Dreharbeiten seiner Arbeit nachgegangen ist.

Welchen Einfluss hatte das Haus, das im Studio nachgebaut wurde, auf Sie als Schauspieler?
Wahrscheinlich ist das für jeden anders, aber mir hat es sehr geholfen. Der Vorgang, über so eine lange Zeit im Studio zu drehen, mit der gleichen Garderobe, der Richtung des Sets, hat für mich viel mit Theaterbetrieb zu tun. Ich finde das vom Gefühl her inspirierend: Man geht durch ein hässliches Gebäude, durch Stahltüren hindurch an Mülleimern und einer Bretterwand vorbei… und plötzlich kommt man in das Haus und ist im 19. Jahrhundert. Alles sieht echt aus, allein dieser Weg ist wie eine langsame Rollenentwicklung. Die Treppe, die Zimmer, die Größe dieses Hauses, die einen als Menschen ja fast erdrückt, hat mir sehr geholfen. Allein dieser Bär auf der Treppe vermittelte manchmal das Gefühl von einem Horrorkabinett. Diese Welt hat etwas Brutales, Lebensverachtendes. Diese Kaufleute haben ein Ziel: Das Anreichern von Vermögen. Das ist wie eine Jagd – und deswegen steht da der Bär im Haus.

Barbara Baum hat Kostüme von hoher Qualität geschaffen. Man hat den Eindruck, dass sich die Schauspieler in diesen Kostümen ganz anders bewegen.
Barbara Baum war für mich so etwas wie eine ‘Mitregisseurin’, denn ihre Leidenschaft und ihr Interesse an Detail ge – nauigkeit war geradezu ansteckend. So etwas habe ich noch nie bei einem Film erlebt. Sie hat es geschafft, dass ich mich zum ersten Mal für das Thema Kostüm interessierte. Im 19. Jahrhundert spielte Kleidung eine große Rolle, man war sich sehr bewusst, was man anzog. In den Buddenbrooks wird seitenlang beschrieben, wie Thomas aufwacht und nach und nach seine Kleidung zusammenstellt, sich rasiert, anzieht, onduliert. Bevor man damals auf die Straße gegangen ist, brauchte man für das Zurechtmachen bestimmt zwei Stunden – vor allem als Mann.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News