Anspruchsvolle Filmkost aus dem eigenen Land

25.05.2011 - 15:00 Uhr
Dieter, Wolfgang und Andi in Nicht böse sein!
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Dieter, Wolfgang und Andi in Nicht böse sein!
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Mit ihrer Dokumentation Nicht böse sein! gelang Regisseur Wolfgang Reinke und Kameramann Ginés Olivares ein ungewöhnlicher Film über Freundschaft und Drogenabhängigkeit, der unter die Haut geht und berührt.

Seid mit nicht böse, aber in meinen Augen ist die deutsche Filmlandschaft so brachgelegt wie die Wüste Gobi. Nichtsdestotrotz wage ich mich von Zeit zu Zeit an einen deutschen Film heran… aber werde leider viel zu oft enttäuscht. Nicht so bei der 2006 veröffentlichten Dokumentation Nicht böse sein!. Die No-Budget Produktion ist schlichtweg gute deutsche Filmkost, überzeugt auf ganzer Linie und lässt mich Hoffnung schöpfen in Zukunft mehr von solchen Projekten aus meinem Heimatland zu hören.

Von Schuss zu Schuss, von Flasche zu Flasche

Berlin-Kreuzberg: Wolfgang, Dieter und Andi sind süchtig, ersterer nach der Flasche, die beiden Anderen nach der Nadel. Ein Dokumentarfilm über Drogenabhängige – nichts Neues? Von wegen! Nicht böse sein! erhebt nie den Zeigefinger, im Gegenteil. Die Filmemacher inszenieren deutlich im Sinne der drei Protagonisten und geben so dem drogenabhängigen Versager aus der Nachbarschaft ein Gesicht, eine Stimme und ein Leben. Der Großteil des Films spielt sich in der Bruchbude Wolfgangs ab. Schonungslos beobachtet die Kamera die drei Freunde bei jedem neuen Schuss, bei jeder neuen Flasche, bei jeder Streiterei und hält den tristen und traurigen Alltag fest.

Kein Mensch lebt doch gern alleine

Trotzdem sympathisieren wir mit den drei Anti-Helden, die einerseits tiefes Mitgefühl und Trauer hervorrufen, aber gleichzeitig mit einer riesigen Portion Charme, Einfühlsamkeit und Ehrlichkeit dahe kommen, die sie so liebenswert macht. So hofft der Zuschauer bei jeder hitzigen und oftmals überraschend tiefgründigen Diskussion über Recht und Unrecht (Wolfgang: „Strafe muss sein, sonst geht es nicht!“), Liebe oder den Tod, dass sich die drei Freunde doch wieder vertragen und sich in ihrer elenden Sucht zumindest gegenseitig Halt geben.

Denn die Berliner sind sich ihrer krassen Situation in vollem Maße bewusst, geben aber im gleichen Atemzug frustriert und resignierend zu, ihrem Alltag einfach nicht entrinnen zu können. Neben der simplen Abbildung der Drogenabhängigkeit geht Nicht böse sein! aber auch auf Ursachenforschung und zeigt zum Beispiel Wolfgang intim in Erinnerungen an seine verkorkste Kindheit schwelgend oder Andi treffend analysieren: „Kein Mensch lebt doch gern alleine, aber so zu leben ist auch scheiße!“

Enorme zwischenmenschliche Leistung

Wissenswert: Regisseur Wolfgang Reinke kannte die drei Protagonisten seiner Dokumentation, die 2008 mit dem deutschen Schnittpreis ausgezeichnet wurde, schon lange vorher; sie waren seine Nachbarn. So wird klar, wo diese allgegenwärtige Intimität herrührt, und wertet die enorme zwischenmenschliche Leistung der beiden Filmemacher Reinke/Olivares noch mal auf. Nur mit privaten Spenden und ihrem eigenen Arbeitslosengeld finanzierten die Freunde ihr Herzensprojekt und wurden erst vor der Post-Produktion mit ein wenig Filmförderung unterstützt. Ich kann nur meinen Hut ziehen vor der Leistung der beiden, denn die Arbeit mit Drogenabhängigen erscheint mir als Mammut-Aufgabe, deren Bewältigung gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Wenn dann noch ein solch tiefgründiger, höchst menschlicher und nie gekünstelt wirkender Film herauskommt, bin ich mir sicher, schon bald weitere Schlagzeilen über die beiden zu lesen. Aus Sicht aller unabhängiger Filmemacher in Deutschland kann ich nur hoffen, bald von weiteren Filmen dieser Art zu überrascht zu werden…Vielleicht hat der deutsche Film dann ja doch noch eine ernstzunehmende Zukunft, vor allem im Doku-Genre.

Für weitere Informationen zum Film lege ich euch die offizielle Homepage wärmstens ans Herz. Hier gibt es ausführliche Texte zu den Dreharbeiten, Bonus-Material und Bilder. Wer seiner Film-Sammlung ein kleines Juwel hinzufügen will, schaut hier.

Kennt ihr noch mehr empfehlenswerte Genre-Filme aus Deutschland?

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