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Anime-Serien im Kino - Mein Abend mit der Suche nach Wiedergutmachung

02.10.2017 - 08:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Shōya und Shōko
YK/SVM, KAZÉ
Shōya und Shōko
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Nach unseren Abenteuern mit Natsu und seinen Freunden von Fairy Tail geht es diesmal um eine deutlich realistischere Geschichte, in deren Zentrum Themen wie Mobbing, Behinderung, Freundschaft, Suizid und Vergebung behandelt werden.

In der nunmehr neunten Runde der diesjährigen KAZÉ Anime Nights begleiten wir den Jungen Shōya, der in seiner Grundschulzeit eine Klassenkameradin mobbte und sich Jahre später bei ihr für seine Taten entschuldigen möchte.

A Silent Voice basiert auf der gleichnamigen Manga-Reihe von Mangaka Yoshitoki Oima und brachte es am Ende, nach einem ursprünglich eher kleinen Start als One-Shot, auf insgesamt sieben Sammelbände, die bei uns von Egmont Manga vertrieben werden. Der Manga wurde zudem für diverse Auszeichnungen nominiert (unter anderem den Eisner Award 2016) und konnte den einen oder anderen Preis (unter anderem Bester Newcomer 2015) gewinnen; darüber hinaus verkaufte sich der Manga sehr gut, weshalb eine Anime-Adaption folgte, welche im September 2016 in Japan ihre Kinopremiere feierte.


Worum geht es in A Silent Voice?

Shōko stellt sich der Klasse vor
Ich kann nicht hören.


Im Fokus der Geschichte steht der Grundschüler Shōya, der mit seinen Freunden in der Schule eine gute Zeit verbringt, denn meistens stellen sie irgendeinen Unsinn an, um sich die Zeit zu vertreiben. Mit seinen Mitschülern scheint sich Shōya ebenfalls gut zu verstehen, die sich von seiner Energie gerne mitreißen lassen. Mitten im laufenden Schuljahr wechselt schließlich das junge Mädchen Shōko in Shōyas Klasse; dies soll nicht nur die Lehrer, sondern ebenfalls die Schüler vor einige Herausforderungen stellen, denn Shōko ist taub und somit auf die Hilfe ihrer Mitschüler angewiesen. Damit die Klasse mit ihrem neusten Mitglied kommunizieren kann, sollen sie in ein Heft schreiben, welches sie immer bei sich trägt, was anfangs durchaus recht gut funktioniert. Shōya macht Shōko indes als leichtes Ziel aus beginnt damit, sie zu mobben; dies geht soweit, dass sie irgendwann die Schule wieder verlässt. In der Zeit danach ist es Shōya, welcher als neues Ziel der Mobbing-Attacken seiner Mitschüler auserkoren wird: Somit steht er nun plötzlich alleine da und spürt am eigenen Leib, welchen Schmerz er Shōko zugefügt haben muss. Einige Jahre später, Shōya besucht mittlerweile die Highschool, will er Shōko ihr Heft von damals zurückgeben und sich bei ihr für das, was er ihr in der Grundschule antat, entschuldigen - doch wird sie ihm verzeihen?

Eines gleich vorneweg: Den zugrunde liegenden Manga habe ich (bisher) nicht gelesen, weshalb ich dementsprechend natürlich nicht beurteilen kann, ob es sich bei diesem Film um eine Vorlagen-getreue Umsetzung handelt; da der Manga auf eine Gesamtlänge von deutlich mehr als 1300 Seiten kommt, würde ich jedoch schätzen, einige Facetten des Originals wurden entfernt, um die Laufzeit des Films innerhalb eines gewissen Rahmens zu halten. Über den Anime hörte ich indes bisher nur Positives, weshalb meine Erwartungen im Vorfeld des Kinobesuchs ziemlich hoch waren und soviel sei an dieser Stelle bereits verraten: Enttäuscht wurde ich in keinster Weise von Shōyas und Shōkos gemeinsamer Reise. Am vergangenen Dienstag, dem 26. September, war es dann auch endlich soweit und gemeinsam mit einem Freund ging es einmal mehr ins CinemaxX Bremen, wo wir uns den Film gemeinsam ansahen :)


Mein Abend mit A Silent Voice

A Silent Voice - Kinoplakat
Ab morgen werde ich allen Leuten richtig in ihre Gesichter sehen. Ab morgen mache ich alles richtig.


Da ich zur Geschichte des Films gerade schon so ziemlich alles Wichtige geschrieben habe, wollen wir uns hier erst einmal dem offensichtlichsten Vorzug des Films zuwenden, nämlich seiner Optik. Die Zeichnungen sind wirklich wunderschön gelungen und speziell die Umgebungen quellen nur so über vor einer Fülle vieler kleiner, liebevoller Details. Blumen und Wasser beispielsweise, welche in mehreren Szenen zentrale Rollen spielen, sehen so dermaßen schön und natürlich aus, wurden mit soviel Hingabe gezeichnet, dass man ihren Duft beinahe zu riechen vermag oder am liebsten direkt ins kühle Nass hineinspringen würde. Generell wird der Natur in A Silent Voice eine große Bedeutung beigemessen, da diese oftmals die Emotionen der einzelnen Charaktere unterstützt oder manchmal auch repräsentiert. Man merkt an jeder Ecke, wie viel Mühe sowie Gedanken sich die Verantwortlichen des Films gegeben beziehungsweise gemacht haben; dieser Eifer hat sich definitiv ausgezahlt, denn alles wirkt wie aus einem Guss. Verglichen mit den Umgebungen fallen die Charaktere zwar leicht ab, doch sie fügen sich ebenfalls harmonisch ins Gesamtbild ein. Die hochwertigen Animationen tun letztendlich ihr übriges, dass man auch Dank des visuellen Erlebnissen unmittelbar in den Film hineingezogen wird und sich in dieser Welt verlieren kann.

Der gebotenen optischen Pracht steht die auditive Ebene in Nichts nach und weiß ebenso in sämtlichen Bereichen zu überzeugen. Der Soundtrack, welcher unter anderem mit vertrauten Melodien wie My Generation von The Who oder Invention 1 C-Dur BWV 772 von Johann Sebastian Bach besticht, sowie einigen komplett neuen Melodien, die von Kensuke Oshio sowie Pony Canyon eigens für den Film komponiert wurden, ist hervorragend gelungen und unterstreicht vor allem die emotionalen, herzzerreißenden Momente, von denen A Silent Voice einige zu bieten hat, wirklich meisterhaft. Ein Stück des Soundtracks hat sich dabei ganz besonders in mein Herz gespielt, nämlich Koi wo Shita no wa, welches von Aiko gesungen wird und bereits den Trailer untermalt - ein wunderschöner, gefühlvoller Song, den ich seit dem Kinobesuch bestimmt schon dutzende Male gehört habe. Hinzukommt eine sehr starke deutsche Synchronisation mit engagierten Sprechern, die merklich alles geben und die Emotionen ihrer Charaktere jederzeit absolut glaubhaft zu transportieren vermögen. Ein besonderes Lob haben sich hierbei, meiner Meinung nach, die Sprecher der beiden Protagonisten Shōya (Nicolás Artajo) und Shōko (Jill Schulz) verdient, die mit ihren hervorragenden Leistungen den Film in vielen kleinen, intimen Szenen tragen; beide gehören zu meinen Lieblings-Synchronsprechern in Deutschland und ich freue mich jedesmal wieder, wenn ich ihre Stimmen hören kann.

Shōko
Und ich wollte dich fragen, ob wir beide vielleicht Freunde werden können?


Eine große Stärke - wenn nicht gar die größte Stärke - von A Silent Voice sind seine Charaktere, die keine eindimensionalen, vor Klischees strotzenden Stereotypen, sondern komplexe Figuren mit nachvollziehbaren Motiven sowie Handlungen sind. Gerade Shōya und Shōko müssen sich mit anspruchsvollen Themen auseinandersetzen, die sie schwer belasten; dabei geht es nicht nur um Einsamkeit, psychische Erkrankungen, Suizid und Vergebung, sondern mindestens ebenso sehr um Hoffnung, Freundschaft und Liebe. Jeder Charakter, den man im Laufe des Films kennen lernt, hat seine ganz eigenen Macken, Stärken sowie Schwächen; dies kann manchmal frustrierend sein, manchmal nervig oder manchmal schwer mit anzusehen - speziell die Szenen zu Beginn des Films, wenn in Flashbacks die Mobbing-Attacken auf Shōko gezeigt werden -, doch all dies wirkt nie unglaubwürdig, weshalb zumindest mein Freund und ich zu jeder Sekunde des Films mit Shōya und seinen Freunden mitfieberten. Gemeinsam mit ihnen haben wir gelacht, uns geärgert, gebangt und ja, auch die eine oder andere Träne floss Dank der emotionalen Wucht des Geschehens. Für eine solche emotionale Erfahrung, eine solche Gefühlsachterbahn, muss man bereit sein und muss sich vollends darauf einlassen können, damit der Film seine ganze Kraft entfalten kann; wenn man dies tut, wird man, meiner Meinung nach, im Gegenzug mit einer der emotionalsten Erfahrungen der letzten Jahre belohnt.

Besonders hervor ragt bei alledem natürlich die sich langsam entwickelnde Beziehung zwischen Shōya und Shōko; anfangs mag die Entscheidung, die Geschichte aus der Perspektive des "Bullys" zu erzählen, womöglich etwas riskant anmuten, doch dies zahlt sich im Laufe des Films, Dank der starken Charakterzeichnung, tatsächlich aus. Shōya ist nicht von Grund auf schlecht, sondern ihm fehlt, genau wie einigen seiner Klassenkameraden, schlicht das Verständnis für Shōkos Situation; da sie sich zudem nicht traut, für sich selbst einzustehen oder andere um Hilfe zu bitten, sieht Shōya in ihr ein leichtes Ziel für seine Attacken. Am Ende fällt hingegen alles wieder auf ihn zurück, da er nach Shōkos Schulwechsel selbst zum Aussätzigen wird - plötzlich steht er vollkommen allein da, weil sich selbst seine vermeintlich besten Freunde von ihm distanzieren. Die Erfahrungen dieser Zeit hinterlassen bei ihm tiefe Narben, resultieren letztendlich in sozialen Ängsten sowie der Furcht vor Ablehnung. Seinem einstigen Opfer geht es hingegen nicht anders, denn auch sie hat unter ihrer Behinderung zu leiden, empfindet sich als Last für ihre Familie und will sich niemandem wirklich anvertrauen. Im Falle beider Protagonisten wird deutlich, der größte Schmerz, den wir erleiden, ist jener, den wir uns selbst zufügen, jene Pein, die wir uns selbst auferlegen - und diese hinterlässt tiefe Spuren. Shōya und Shōko lernen auf ihrer gemeinsamen Reise nicht nur einander sowie anderen, sondern vor allem sich selbst zu vergeben, was eine wichtige Botschaft transportiert. Regisseurin Naoko Yamada gelingt es, uns beide Charaktere näher zu bringen und uns ihnen sowie ihren Ängsten und Schmerzen verbunden zu fühlen. Die Beziehung zwischen Shōya und Shōko entwickelt sich im Laufe des Films nachvollziehbar; beide sind auf ihre Art gebrochen sowie allein und zu sehen, wie beide einander näher kommen, Vertrauen zueinander aufbauen und sich versprechen, sich gemeinsam den Herausforderungen des Lebens zu stellen, ist gleichermaßen süß wie Herz erwärmend.

Shōya
Ich isolierte mich. Ich wollte von einer mordshohen Brücke springen.


Wie bis hierhin bereits mehrfach durchschimmerte, widmet sich A Silent Voice schwierigen Themen: Behinderung, Mobbing, Suizid, Ängste, Freundschaft, Hoffnung, Liebe, Vergebung. Speziell die sehr feinfühlige Art, wie diese Dinge im Film angesprochen und umgesetzt wurden, rechne ich den Beteiligten hoch an; zudem besitzen diese Themen nach wie vor eine enorme Relevanz. Gerade das Problem Mobbing ist noch immer aktuell und bekommt durch moderne soziale Medien eine vollkommen neue Dimension verliehen, die es so früher, beispielsweise während meiner Schulzeit, als Facebook und Co. quasi noch in den Kinderschuhen steckten, nicht gab. Die Flashback-Szenen, in denen Shōya Shōko drangsaliert und ebenso Mitschüler zu leiden haben, die ihr zur Seite stehen wollen, gehen wirklich unter die Haut und sorgen dafür, dass man das Geschehen mit einem unguten Gefühl im Magen verfolgt; in diesen Szenen wird natürlich besonders unser Mitgefühl für Shōko geweckt, doch Yamada gelingt es ebenso, uns im weiteren Verlauf ebenfalls Shōya verbunden zu fühlen, der aufgrund seiner Erfahrungen nach Shōko Schulwechsel niemandem mehr in die Augen sehen kann und beginnt, die Menschen in seiner Umgebung somit nicht mehr direkt wahrzunehmen. Sein Kopf ist stets gen Boden gesenkt, er bleibt für sich allein, vertraut sich niemandem an und wird von Schuldgefühlen geplagt, für das, was er früher Shōko antat; illustriert werden uns seine Ängste und Unsicherheiten zum einen durch clever gewählte Kameraperspektiven als auch durch blaue Kreuze, die über den Gesichtern seiner Mitmenschen kleben. Diese beginnen erst nach und nach gen Boden zu fallen und veranschaulichen so sehr schön, wie er ganz langsam wieder mehr Vertrauen zu fassen beginnt. Der Film präsentiert für seine komplexen Probleme darüber hinaus keine einfachen Lösungen, nichts verschwindet hier plötzlich von einer Sekunde auf die andere; stattdessen nimmt man sich viel Zeit, die Ängste sowie Sorgen zu verhandeln, sodass man sich auch als Zuschauer mit ihnen auseinandersetzt und nach dem Ende des Films noch einiges zum Nachdenken hat.

A Silent Voice ist ohne Übertreibung einer der emotionalsten Filme, den ich seit langer Zeit gesehen habe und ich ringe tatsächlich nach den passenden Worten, um zu beschreiben, wie sehr mir die gemeinsame Reise von Shōya und Shōko zu Herzen gegangen ist. Dieser Film ist ein anrührendes, bezauberndes, wunderschönes Erlebnis, welches mit der gefühlvollen und herzzerbrechenden Handhabung berührender wie gleichsam relevanter Thematiken beeindruckt. Zugegeben, die Geschichte an sich ist nicht sonderlich originell, doch die wundervolle Art, wie sie ihre Botschaft vermittelt, mit all ihren emotionalen Höhen und Tiefen, ihren liebenswürdigen und menschlichen Charakteren, ist eine ungemein packende Erfahrung; der Film vermochte etwas ganz Besonderes, nämlich mich wirklich auf einer sehr tiefen Ebene zu berühren, wie ich es seit langer Zeit nicht mehr erlebt habe und ist gerade deshalb klar mein bisheriges Film-Highlight des Jahres 2017.

https://www.youtube.com/watch?v=Ig8GP-AtH38

Nach etwas mehr als zwei Stunden flimmerte schließlich, während Koi wo Shita no wa aus den Boxen ertönte, der Abspann über die Leinwand und nach dem emotional aufwühlenden Erlebnis verließen mein Freund und ich schließlich den Saal. Im nächsten Monat, genauer am 31. Oktober, läuft der vorerst letzte Teil der KAZÉ Anime Nights in unseren Kinos und dann werden wir uns gemeinsam mit Eren, Mikasa sowie Armin noch einmal dem Angriff der Titanen stellen in Attack on Titan: Feuerroter Pfeil und Bogen Teil 1 :)

Habt ihr ebenfalls A Silent Voice gesehen und falls ja, wie fandet ihr den Film?

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