André Téchiné und die Schrecken des Holocaust

18.03.2009 - 13:23 Uhr
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Catherine Deneuve und Michel Blanc in einem Drama über Lüge, Holocaust und den Mut zur Realität

“Ist es nicht verstörend eine Lüge zu entlarven, die auf der Wahrheit basiert, die andere erleiden mussten?” (Regisseur André Téchiné in einem Interview zum Film).

Mit La Fille du RER verfilmt Téchiné einen Vorfall, der 2004 ganz Frankreich lähmte: Eine junge jüdische Französin behauptete, von antisemitischen Jugendlichen im Zug schikaniert worden zu sein, während sie ihr Baby in den Armen hielt. Die Presse schäumte über vor Gesellschaftskritik, Präsident Chirac versprach eine schnelle Aufklärung des Falls und traf sich mit Vertretern der jüdischen Kirche – bis die junge Frau wenige Tage später ihre Aussage zurückzog und sich bei der Öffentlichkeit für ihre Lüge entschuldigte. Ihre Motive, ihr Leben und die Reaktion der französischen Öffentlichkeit ergründet nun Téchiné nach dem Drehbuch von Jean-Marie Besset, der zuvor ein Theaterstück über diesen Vorfall geschrieben hatte.

André Téchiné gehört zu den wichtigsten französischen Regisseuren seit der Nouvelle Vague. In La Fille du RER nimmt sich der mittlerweile 74jährige Filmemacher viele Freiheiten: So wird aus der realen Person eine Französin namens Jeanne (Émilie Dequenne), das Kind entfällt und der Fokus wird vom Phantom des Holocaust auf die Leere des Lebens einer jungen Frau gelegt, ohne eindeutige Erklärungsmuster zu liefern. Der Film unterteilt sich in zwei Hälften: Die erste – Die Umstände – erzählt Jeannes Lebenssituation, die Beziehung zu ihrer Mutter Louise (Catherine Deneuve), zu ihrem Freund Franck (Nicolas Duvauchelle) und dem jüdischen Patriarchen Samuel Bleistein (Michel Blanc). Die zweite ist mit Die Konsequenzen überschrieben und stellt die Lüge der jungen Frau und ihren Widerruf in den Mittelpunkt.

Dass Téchiné an der Oberfläche bleibt und kein handfestes Motiv für die Lüge liefert, stört den Filmkritiker Jacques Mandelbaum in Le Monde : “Der Film müht sich damit ab, an der Oberfläche der Dinge und Wesen zu bleiben, legt alles in seine Lebhaftigkeit der Ausführung und mitreissende Kraft. Mit dem Risiko durch das Bild der Heldin als leeres Gehäuse zu gelten.” Er fährt jedoch fort: “Das Thema von La Fille du RER liegt sicherlich in etwas anderem: In der verzaubernden wie auch schrecklichen Macht der Phantasiewelt, die wir uns aus der Realität bauen.”

Hier der Trailer:

La Fille du RER läuft seit gestern in den französischen Kinos, ein deutscher Starttermin steht noch nicht fest.

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