7 neue Fragen an TARS-92

17.01.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Jimmy was the kind of guy that rooted for bad guys in the movies.
moviepilot
Jimmy was the kind of guy that rooted for bad guys in the movies.
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Der Niedergang des David Fincher, ein Herz für Antihelden und Gangster, die 7 besten Szenen aller Zeiten - und ein Oscar für den Tatort! Aber nicht bloß für irgendeinen Tatort...

Jeden Sonntag beantwortet uns einer von euch moviepiloten da draußen unseren Fragebogen - ob zum ersten Mal, oder als Wiederholungstäter. Alles, was ihr dazu tun müsst, ist eine kurze Nachricht (oder die Antworten) an Kängufant zu schicken! So wie TARS-92, der einer der Ersten ist, die sich dieses Jahr über die neuen Fragen hergemacht haben:

Pack den Ledersessel und die Regalwand aus: Was ist Film für dich? Kunst und Anspruch oder seichte Unterhaltung? Oder beides?

Film ist für mich das Zusammentreffen verschiedener Künste, die von mehreren Künstlern beigetragen werden: Die Schreibkünste des Drehbuchautors, die musikalischen Werke des Komponisten, die Bildkunst des Kameramanns, die Schauspielkunst usw. Der "Hauptkünstler" des Films, der Regisseur dirigiert das alles und formt daraus ein Gesamtkunstwerk, welches wir "Film" nennen. Ein Film bietet die Möglichkeit Meinungen zu verbreiten, an die Menschheit zu appelieren, bestehende Ordnungen und Systeme zu hinterfragen und zu kritisieren, Denkanstöße zu liefern, über Problematiken aufzuklären die von der Öffentlichkeit ignoriert werden und so vieles mehr.

Auf der anderen Seite bieten die Filme auch die Möglichkeit dem Alltag zu entrinnen, in fremde Welten zu reisen, die Fantasie anzuregen, uns zum Lachen und Weinen zu bringen, und ja, auch zu unterhalten. Aber das eine schließt das andere nicht aus. In den letzten 10 Jahren haben gerade vermeintliche "Unterhaltungsfilme" wie Mad Max: Fury Road, V wie Vendetta oder die "Dark Knight"-Trilogie gezeigt, dass nicht das Genre definiert, ob Anspruch vorliegt, sondern der Inhalt. So kann es sein, dass ein actiongeladener Film bessere Inhalte liefert als ein Film, der streng nach Dogma 95-Maßstäben gedreht wurde.

Das Buffet ist eröffnet: Story?Tiefgang? Schauspiel? Optik? Spannung? Was davon ist dir am wichtigsten? Oder etwas ganz anderes?

Tiefgang liegt mir sehr, doch dieser alleine reicht nicht für mich, um einen Film als großartig zu sehen. Es müssen auch andere Qualitäten vorliegen. Was bringt mir ein Film, der zwar großartige Gedankengänge liefert, aber dafür mit grottigen Schauspiel, billigen CGI-Effekten und schlampig geschriebener Story ausgestatten ist. Handwerkliche Aspekte sind ebenfalls Dinge, auf die ich besonderen Wert lege. Ich besitze tatsächlich eine Art Allergie gegen offensichtlichen Greenscreen-Einsatz und schlechtes CGI. Ich verzeihe jedem Low-Budget-Film, wenn er manche Dinge mit CGI lösen muss, weil kein Geld für das reale Pendant da ist - solange man sich Mühe dabei gibt. Aber wenn ein Regisseur, der mit einer lächerlichen hohen Geldsumme ausgestattet ist, für jeden Mückenschiss auf PC-Effekte zurückgreift, bekomm ich einen dicken Hals. Das ist auch ein Aspekt, der mich bei David Fincher mitlerweile stört: Er dreht Filme, die man fast zu 100 Prozent mit realen Sets realisieren kann, aber lässt sogar Teile von Wohnungen am PC "bauen". Schauen seine Schauspieler aus dem Fenster, schauen sie auf eine grüne Wand.

Als Hobby-Drehbuchautor und Fan des Screenwritings, achte ich auch besonders auf Dinge, die vom Drehbuch ausgehen: Dialoge und Handlung. Ich liebe ausschweifende Dialoge, oder wenn Filme von Dialogen getragen werden. Es gibt Autoren, die schreiben so göttlich, da würden selbst Dialoge über Exkremente wie Musik eines Engelschors klingen. Auf der anderen Seite geht mir das Herz auf wenn eine Handlung nicht nach Schema F, dem 3-Akt Schema geschrieben wurde, man nicht nach Schablone vorgegangen ist. Unchronologische Handlungen, überraschende Wendungen (außer es ist zum 1000. mal der Schizo-Twist), überraschende Entscheidungen, Stilbrüche. Das ist das, was mich begeistert. Oder auch mal eine Handlung die so geradeaus ist, dass sie wieder komplex ist.

Als musikliebender Mensch ist die letzte Hürde, die ein Film bei mir überwinden muss, der Musiktest. Eine Qualität, die ein Regisseur für mich mitbringen muss, ist die, die richtige Entscheidung zu treffen, ob er einen Komponisten beauftragt oder selbst schon vorhandene Lieder auswählt und dem Film unterlegt. Denn, und hier spreche ich so manchen Moviepiloten an, nicht jeden Film kann man mit einem orchestralen Score unterlegen. Ich meine, was passt denn zu einem rockigen Roadmovie besser: Rockabilly oder Klassik? Und die richtigen Lieder auszuwählen, bedarf ebenfalls Fingerspitzengefühls. Ich mag in der Hinsicht nicht, wenn einfach gerade populäre aber austauschbare Lieder gewählt werden, um den Film hip wirken zu lassen.

Was komponierte Stücke betrifft: Hier muss ich auch mal ein Wort an so machen Moviepiloten richten. Die Qualität eines Scores ist nicht an seiner Eingängigkeit auszumachen sondern daran, ob er dem Film passend zugeschnitten ist. Die Filmmusiken zu vielen Thrillern würde ich mir ohne Film nie an hören, aber sie sind perfekt für den Film, wie sollen da verdammt nochmal "epische" Melodien hineinpassen, wie man sie meist bei Abenteuerfilmen findet?

Musicbox: Welcher Film ist musikalisch deiner Meinung nach am passendsten ausgestattet? Oder andersherum - bei welchem passt das überhaupt nicht zusammen?

Apocalypse Now zeigt auf perfekte Art und Weise auf, dass Film ein audiovisuelles Medium ist. Bild und Ton bilden die perfekte Symbiose. Die teils surrealen und doch so realen Bilder werden zum einen durch einen subtilen Synthesizer-Score unterstützt, und zum anderen durch das großartige Meisterstück "The End" der legendären Band The Doors. Die apokalyptischen Klänge erzeugen, zusammen mit dem Bild, eine psychedelische Atmosphäre, als Sinnbild für den Wahnsinn des Krieges. Man könnte fast meinen das Lied wäre extra für den Bild komponiert worden, wäre es nicht schon 10 Jahre vor dem Film entstanden. So eine perfekte Songauswahl hat es nicht mehr und wird es nicht mehr geben, darauf lege ich mich fest.

Das Titelstück von Der dritte Mann dagegen, ist für mich ein Negativbeispiel. Ich weiß, das Lied ist ikonisch, aber es passt meiner Meinung nach nicht zu dem Film. Sein klang passt nicht zu dem Schattenspiel im düsteren Nachkiegswien, in dem der Film spielt. Bild und Ton sprechen eine so unterschiedliche Sprache.

Ich muss aber darauf hinweisen, dass es möglich ist, ein Bild mit Musik zu vereinen, die das Gegenteil spricht, was Tarantino eindrucksvoll in berühmten Szenen in Reservoir Dogs oder Kill Bill: Volume 1 bewiesen hat. Dies zu stemmen, ist eine weitere Kunst für sich.

Und weil man ihn nicht oft genug huldigen kann: Ennio Morricone hat die Filmmusik perfektioniert: In Spiel mir das Lied vom Tod und Es war einmal in Amerika hat er die Musik zu Protagonisten befördert.

Welchen Profi aus Film oder Serie müsste es in der Realität geben, um dir unter die Arme zu greifen? Such dir aus, wen du willst - ob Auftragskiller für den ungeliebten Chef oder den Architekten für dein neues Heim ...

Achtung massiver Fight Club-Spoiler:
Ich bin leider ein Mensch, der mehr nachdenkt, als handelt. Ich bin in vielen Dingen nicht mutig genug oder zu zögerlich. Manchmal wünsche ich mir, in mir würde auch eine unbewusste Persönlichkeit entstehen, wie Tyler Durden bei Jack, die so ist wie die Person, die ich eigentlich sein möchte, die Dinge für mich erledigt, die ich mich einfach nicht traue oder über die ich lieber tausend Mal vorher nachdenke. Keine Angst, in mir schlummert kein Terrorist, ich denke nicht über unmenschliche Taten nach, nur stehe ich mir schon bei manch Kleinigkeit durch mein Nachdenken selbst im Weg.

Da geht mehr als Jodeln: Was ist dein liebster deutschsprachiger Film? Oder gibt es einen Film, der dich letzten Endes doch noch davon überzeugt hat, dass es hier mehr gibt als Schmachtfetzenverfilmungen und Wildbäche, die durch Höschen rauschen?

Tatort: Im Schmerz geboren wäre ein Instant-Kinoklassiker geworden, wäre er nur im Kino gelandet, und nicht im Tatort-Format verschwendet worden. Zum einen hat er einen knallharten, bösen, doppelbödigen Plot zu bieten, auf der anderen Seite starke Dialoge und, mal abgesehen von der "Spiel mir das Lied vom Tod"-inspirierten Anfangsszene, einen eigenständigen und außergewöhnlichen Stil, vor allem durch den Bruch der 4. Wand. Hinzukommen eine Brise, des in Deutschland leider nicht weit verbreiteten schwarzen Humors. Wie gesagt, sehr schade, dass es es sich um einen Tatort handelte, denn der Stoff ist viel zu groß, um in das 90-Minuten-Korsett gestopft zu werden, was sich ab und zu bemerkbar auf die Inszenierung legte.
Eine Veröffentlichung als Kinofilm und der Film würde schnell als eine der Errungenschaften des deutschen Kinos gelten und ernsthafte Chancen auf den Fremdsprachen-Oscar haben - und die "Laser"-Szene hätte jetzt schon Kultstatus.

Gibt es bestimmte Genres oder Stilrichtungen, die du ganz besonders magst? Wenn ja, welche und warum.

Mein Lieblingsgenre ist der Gangsterfilm. Das Genre hat den Antihelden und dessen Nutzen für den Film perfektioniert. Strahlende Helden sind mir häufig zu eindimensional, weswegen ich eine Vorliebe für Antihelden habe, für Charaktere mit mehreren Eigenschaften.

Die Macher von Gangsterfilmen müssen zu Beginn erst einmal die Hürde meistern, ihre Hauptfiguren trotz ihrer bösen Taten dem Publikum zugänglich zu machen, damit sie mit ihnen sympathisieren können. Ich nehme dafür als Beispiel Henry Hill aus GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia. Wir lernen ihn kennen, wie er als junger Mann in das organisierte Verbrechen eingeführt wird. Wir sehen durch seine Augen eine Scheinwelt, die so tolle Dinge wie Gemeinschaft, Luxus und Ansehen liefert. Irgendwann kommen wir zu dem Punkt, an dem wir denken: Es lässt sich schön leben als Gangster. Und dann wendet sich das Blatt und wir spüren die Konsequenzen die dieses menschenverachtende und unmoralische Leben eines Tagen mit sich bringen, und erleben so einen Lernprozess.
Die "Pate"-Saga ist ebenfalls ein perfektes Beispiel dafür wie ambivalent Antihelden sind. Michael Corleone ist nicht das Oberhaupt einer Verbrecher-Organisation weil er "einfach böse" ist. Er wurde auf Grund mehrere Ereignisse und Zusammenhänge in die Position gedrängt. Wir sehen ihn also im Laufe der Reihe mit sich selbst kämpfen. Er würde gerne ein rechtschaffener Mensch sein, doch er muss die Familie führen, und deswegen sogar seine Frau belügen, seine Prinzipien betrügen.

Top 7 - einfach nur mal so, 7 Antworten aus dem Ärmel geschüttelt. Und weil wir echt fies sind, haben wir alle 7 Themen in eine Frage gepackt, damit keiner auf die Idee kommt, einfach 7 x 7 Listen zu beantworten :)
Deine Top7 Sidekicks/Nebenfiguren?
Deine Top7 Lieblingsszenen?
Deine Top7 Schockmomente?
Deine Top7 Leinwandpaare?
Deine Top7 Lieblingsenden?
Deine Top7 Filmküsse?
Deine Top7 Lieder aus Filmen?
Oder hast du deine ganz eigenen Top7? Dann lass sie raus!

Hier meine 7 Lieblingszenen (vor Spoilern sei gewarnt):

Platz 7 - Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben: Die Szene, in der General Ripper durch die Aussage, dass Russen sich nur von Wodka ernähren und kein Wasser trinken würden, klar machen will, dass Russen keine Menschen seien, ist nicht nur unfassbar skuril, sondern zeigt auf, in welchen Wahn die Parteien des Kalten Krieges verfallen waren, die sich Schauermärchen über den jeweiligen Gegner ausdachten und so weltfremd wurden.

Platz 6 - GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia: Der ganze Film beinhaltet soviel grandiose Szenen aber vor allem bin ich jedesmal von der "Kochen im Knast"-Szene begeistert. Henry und seine Kumpanen müssen in den Knast, aber machen es sich durch tägliche Gourmet-Abendessen gemütlich. Das I-Tüpfelchen dabei ist, wie Henry das Kochen kommentiert und für mich als Fan des italienischen Essens, bin ich für Kochtipps diesbezüglich sehr empfänglich.

Platz 5 - Mulholland Drive: Die Szene mit dem "Gesicht" hinter dem Diner jagt mir jedesmal einen Schauer über den Rücken. Und dieser Schauer beginnt schon damit, wie der Unbekannte Mann zu seinem Begleiter in dem Diner von seinem Traum berichtet. Das Auftauchen des Gesichts ist für mich 1000 mal grusliger als sonst ein Horrorfilm.

Platz 4 - Adaption: Charlie Kaufman's fiktiver Bruder erzählt ihm stolz von seiner Drehbuchidee, welcher einen haarsträubenden Schizo-Twist beinhaltet, den Charlie daraufhin als abgedroschen bezeichnet. Da ich es, wie erwähnt, hasse, wie oft dieser Twist seit, ihr wisst schon welchen Film ich meine, verwendet wurde, liebe ich diese Stelle besonders. Sie prangert die Ideenarmut Hollywoods an und ist zugleich so urkomisch, weil sein Bruder den Trend der Schizo-Twits mit seiner Idee auf die Spitze treibt.

Platz 3 - Zwei glorreiche Halunken: Die Friedhofszene, unterlegt von Morricone's Meisterstück "The Ecstasy of Gold", bereitet mir Gänsehaut.

Platz 2 - Apocalypse Now: Die ganze "Charlie don't Surf-Sequenz", beginnend mit der besten Actionsequenz aller Zeiten, die mit ihrer Handwerklichkeit, trotz der fast vier Dekaden auf ihrem Buckel, immer noch besser und echter wirkt als sämtlicher moderner CGI-Kram, bis hin zum denkwürdigen "Napalm in the Morning"-Zitat.

Platz 1 - Inglourious Basterds: Die gesammte Kneipenszene, von den "Wer bin ich Spiel", über der kreativsten Idee für einen "Spion verrät sich selbst"-Plotpoint bis hin zur blutigen Eskalation. Größte Kunst des Dialogschreibens und des Spannungsaufbaus.

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