Wir schauen Fear the Walking Dead - Staffel 1, Folge 1

25.08.2015 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Kim Dickens und Cliff Curtis - so nah und doch so fern.
AMC
Kim Dickens und Cliff Curtis - so nah und doch so fern.
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Robert Kirkmans Walker sind nicht aufzuhalten. Der Zombievirus hat AMC gänzlich infiziert und dank rekordbrechenden Zuschauerzahlen fest im Griff. Nun breitet sich der Virus aus und hat mit dem ersten Spin-off Fear the Walking Dead eine sehr ansprechende Mutation des Originals erschaffen.

Heute startet die 1. Staffel von Fear the Walking Dead im deutschen Free-TV bei RTL II. Der Sender zeigt jeweils Samstags zwei Folgen ab 22:20 Uhr und Sonntags eine ab 00:35 Uhr. Anlässlich dessen könnt ihr hier den Recap zu Folge 1 nachlesen. Alle Recaps findet ihr hier.

In einem gerade veröffentlichten Interview lässt Kultregisseur Quentin Tarantino nebensächlich verlauten: „Pilots of shows suck.“ Man möchte ihm spontan widersprechen, kommen einem doch direkt verschiedenste Pilotfolgen in den Sinn, die nicht „sucken“. Er führt den Gedanken leider nicht weiter fort, doch man kann erahnen, worauf er anspielt. Tarantino profiliert sich nicht als Verfechter des Kinos im Kampf gegen das „Goldene Zeitalter des Fernsehens“, sondern er möchte wohl lediglich darauf hinweisen, dass Serien erst im Verlauf zu großer Klasse reifen. Die Pilotfolge, insbesondere, sei zunächst ein Schuss in eine unsichere Zukunft. TV-Kritiker, die Episoden rezensieren, watscht er übrigens auch ab. Na danke.

Im Kern stimme ich Tarantino in seinem Empfinden aber zu. Auch wenn die Pilotfolgen bestimmter Serien tatsächlich großartig sein können, wie Frank Darabont es vor nun fast fünf Jahren mit The Walking Dead bewies. Problematisch wird es nach der Tarantino’schen These jedoch dann, wenn die Serie fünf Jahre und drei Showrunner weiter immer noch der technischen Qualität und emotionalen Tiefe der Pilotfilme hinterherrennt. Vielleicht ist Robert Kirkman deshalb von Anfang an so viel stärker bei der Entwicklung des Spin-offs Fear the Walking Dead als noch beim Original involviert gewesen. Zusammen mit Showrunner Dave Erickson (Sons of Anarchy, Low Winter Sun) will er wohl vermeiden, dass er wie bei The Walking Dead nachträglich das erste Staffelfinale kritisieren  wird. Dieses Mal soll es also direkt klappen. Das schier unendlich erforschbare Setting bietet es schließlich auch an. Wieso also nicht?

Die Wahl des Neustarts ist dabei höchst interessant. Kirkman, der stets vor Erklärungsversuchen seines Szenarios in der Comic-Vorlage zurückschreckte, geht ganz an den Anfang des Ausbruchs und erzählt somit die Vorgeschichte des Originals. In seinem Buch Building Imaginary Worlds schreibt Autor Mark J.P. Wolf, dass Prequels oft auf das Vorwissen des Publikums aufbauen und in der Wechselwirkung mit dem Original eine dramaturgische Ironie durch die Kenntnis der Zuschauer erschaffen, wie die Geschichte endet - gerade weil die Figuren eben unwissend bleiben. Prequels drehten sich daher nicht um das Ziel einer Geschichte, sondern um die Reise. Glücklicherweise kreieren Erickson und Kirkman kein reines Prequel. Fear the Walking Dead erzählt von einer Patchworkfamilie in Los Angeles. Ihr Schicksal und das ihrer Welt, sofern lediglich nicht nur die Ostküste von der Zombieplage getroffen wurde, ist besiegelt.

Doch gerade dieser Umstand ist das reizvollste Element der ersten Stunde der neuen Serie. Die zombiehungrigen Fans werden zwar in den ersten Minuten beruhigt - man wird ihre Splatter- und Gore-Fantasien nicht außer Acht lassen. Doch in den darauffolgenden fünfzig Minuten lässt die Serie ihre Figuren zunächst einmal mit ihren alltäglichen Problemen allein. Die Apokalypse holt sie am Ende ohnehin noch schnell genug ein. Bis dahin gibt "Fear" seiner Welt Platz und Zeit zum Atmen und ist nicht nur hier dem Original ein Stück voraus. Vor allem visuell überzeugt diese erste Episode ungemein. Regisseur Adam Davidson, der mit seiner Beteiligung an drei Folgen die Hälfte der ersten Staffel prägt, findet wahrlich schaurige und kontrastreiche Bilder in einer bunten, lebendigen Welt, die nicht auf die gedeckten Farben einer einzigen Waldstraße in Georgia begrenzt ist.

Am interessantesten bisher ist das Spiel der Kreativen mit der Erwartungshaltung der Zuschauer. Als Nick (Frank Dillane, der seiner Rolle bereits in der ersten Episode eine emotionale Tiefe und Verletzlichkeit verleihen kann, wie sie ganze Figuren im Original nach Staffeln vermissen) aus der Drogenhöhle flieht, wird er von einem Zombie verfolgt - und dann von einem Auto erfasst. Die Kamera schwenkt hoch vom verletzten Junkie zum Stadtpanorama. Überraschung: Noch ist die Welt nicht untergegangen. Das kommt noch schnell genug, wie uns die Serie recht uninspiriert und unbeholfen in zwei Schulstunden mitteilen will: Am Ende gewinnt die Naturgewalt der Zombies und die Zivilisation zerfällt. Chaos Theory - zutreffend und sehr sexy .

Während sich im Vordergrund ein sehr traditionelles Familiendrama um die moderne Patchworkfamilie von Travis und Madison Clark (Cliff Curtis und Kim Dickens, zwei respektable Schauspieler, denen im Pilot noch nicht wirklich viel abverlangt wird) entfaltet, findet die eigentliche Geschichte im Hintergrund statt. Ein Bettnachbar im Krankenhaus röchelt ein wenig zu stark, eine Person wandelt verdächtig langsam durch den Park, selbst Nick schlurft nach seinem Unfall unbeholfen von Ort zu Ort. Das Drogenproblem ihres Sohnes mag noch wichtig erscheinen, es wird jedoch in der Konfrontation mit den lebenden Toten sehr schnell verblassen. Immerhin: Die Familie ist zusammen, das zählt zum Ende dieser Folge.

Die Problematik der Apokalypse drängt dabei allerdings nur allmählich in das Leben der Figuren vor, bis sie es nicht mehr ignorieren können. Die unheimliche Begegnung der dritten Art ihres Sohnes mit den ersten Ausläufern der Seuche wird noch für einen Drogentrip gehalten. Doch dass etwas vor sich geht, können auch Madison und Travis nicht leugnen. Die Menschen ziehen sich aus dem öffentlichen Raum zurück, die Kinder bleiben in immer größeren Zahlen ihrer Schule fern und selbst für Los Angeles sind die Sirenen ein wenig zu laut und die Helikopter ein Stück zu sehr an einem beliebigen Autounfall interessiert.

Vorsicht ist also geboten. Ein Schüler bringt in weiser Voraussicht ein Messer in die Schule. Zur Selbstverteidigung, nur für den Ernstfall, versteht sich. Madison, Vertrauenslehrerin der Schule, durchschaut ihn und bittet ihn zum Gespräch. Sie zwingt ihn zum Vertrauen in die Behörden, doch überzeugen kann sie ihn nicht. Es geht tatsächlich etwas Wirres vor sich, das spüren sie beide. Wenn die Zivilisation zerfällt, dann zerfällt sie schnell, hören wir in der Serie. Und so mag es durchaus auch der erwähnte Grippevirus sein, der die Toten wieder aufstehen lässt, es spielt am Ende keine Rolle. Sollte das Mysterium je aufgeklärt worden sein, wird die Information die Überlebenden nie schnell genug erreichen können. Denn erst als die Gefahr nicht mehr zu leugnen ist, wird sie tatsächlich wahrgenommen. Es ist wie mit dem Frosch im langsam erhitzenden Wasser. Wenn du es merkst, ist es bereits zu spät. Der österreichische Komponist Paul Haslinger, der bereits bei AMCs fantastischer Computer-Serie Halt and Catch Fire den Score beigesteuert hat, untermalt mit einem langsamen, stetig aufbauenden Brummen das Hintergrundrauschen der Apokalypse perfekt.

Ganz ohne Fehler ist diese erste Episode jedoch auch nicht. Die Entscheidung, zwei der hier eingeführten schwarzen Schauspieler bereits in der ersten Episode einmal sehr brutal on-screen und einmal komplett off-screen zu erledigen, stößt nach all der Kritik in dieser Hinsicht am Original bitter auf. Weiterhin werden Kontinuitätsfans der Serie sich damit anfreunden müssen, dass The Walking Dead-Serien anscheinend stets den Zeitgeist widerspiegeln und nicht wie der Comic als Period Piece der frühen 2000er dienen werden. Und während Nicks Drogenproblem und Stadtrundgang inklusive ersten Begegnungen mit Walkern als zweckdienlich zu kritisieren sein mag, ist die Darstellung seiner Sucht wenigstens überraschend ehrlich und ergreifend. So antwortet er auf die Frage, ob er es dieses Mal mit seinem Entzug ernst meine: „Das tue ich immer.

Es liegt nicht nur an Frank Dillane und seiner verletzlichen Darbietung. Fear the Walking Dead verspricht in dieser ersten Episode vertraute Tropen und traditionelle Horrorelemente, aber auch eine neue thematische Herangehensweise an AMCs Walker-infizierte Welt. Während The Walking Dead sich immer und immer wieder um die Frage dreht, ob und wie viel seiner Menschlichkeit und Würde sich der Mensch beim Überlebenskampf bewahren kann, darf "Fear" erst einmal ausatmen. Und dann wieder einatmen. Es ist ein Prozess. Zuerst muss diese tatsächliche Gefahr für das eigene Leben wahrgenommen, eingeschätzt und verarbeitet werden. So lernen wir die Figuren zunächst als Menschen und nicht als übernatürliche Kampfmaschinen kennen. So weiß der Zuschauer auch genau, was bei dem Kampf in den kommenden Staffeln auf dem Spiel steht. "Fear" hat daher die einmalige Chance die Entwicklung der Figuren von Beginn zu zeigen - und nicht nur im Dialog grob zu umreißen, wie die große Schwester.

Aber zuerst muss die Familie Clark lernen, zu überleben, und wie ein Walker zu töten ist. Dieser Lerneffekt greift den von Wolf erwähnten Prequel-Effekt auf. Das Publikum weiß bereits, wie es geht, und die Brotkrumen wurden in der Pilotfolge verteilt (wie bei dem großartigen und hyperrealistischen viralen Video des Vorfalls auf dem Highway). Ein Gros der Unterhaltung erfolgt nun im Erkunden der vertrauten Regeln dieses Universums - und der Frage, ob man sie brechen oder neu erfinden kann.

Sollte Tarantino also Recht haben, dürfen wir gespannt in die Zukunft blicken. Die erste Staffel scheint nämlich endlich die Umsetzung von Kirkmans Welt zu versprechen, die Fans des Comics verdient haben.

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Sascha bündelt auf seinem Blog PewPewPew  die kulturelle Kraft von Filmen, Katzen und Pizza und hat für alle The Walking Dead -Episoden eine Review verfasst. Man kann ihm auch auf Twitter  folgen.


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