Was Interstellar von Sunshine lernen kann

06.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Spitzen Sci-Fi: Sunshine und Interstellar
20th Century Fox/Warner Bros.
Spitzen Sci-Fi: Sunshine und Interstellar
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Mit Interstellar läuft heute Christopher Nolans neuestes Werk in den Kinos an und entführt uns in ein anderes Sonnensystem. Natürlich gab es schon vor dem Weltraum-Drama durchaus gelungene Sci-Fi-Filme, von denen sich der Batman-Regisseur gerne etwas abschauen darf - einer davon ist Danny Boyles Sunshine.

Momentan fühle ich mich wieder, als wäre ich sechs Jahre alt und schuld daran ist einzig und allein Interstellar, der ab diesem Donnerstag die Leinwände der prall gefüllten Kinos erleuchten wird. Nolan lässt mich erneut vom berühmten "Was wäre, wenn..." träumen. Was wäre, wenn der Mensch alle Regeln der Physik brechen würde und sich aufmacht, das All zu erobern? Welche Geheimnisse verbergen sich in der Schwärze der Nacht und warten nur darauf, von mutigen Astronauten entdeckt zu werden? Fragen über Fragen, die mich nach den Sternen greifen lassen wollen. Doch da ich es leider verpasst habe, meine Bewerbung rechtzeitig an die NASA zu senden, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Chips aus dem Regal zu holen und mich auf die gemütliche Couch zu setzen, um anderen bei ihren Reisen in die unendlichen Weiten zuzuschauen. Dabei stieß ich auf eine oft vergessene Genre-Perle von Danny Boyle, der schon 2007 zeigte, wie guter Sci-Fi funktioniert - die Rede ist natürlich von Sunshine.

Gemeinsam einsam

Der Film beginnt mit einem vermeintlichen Blick auf die Sonne und einer hoffnungslos klingenden Off-Stimme, die erzählt, dass die Sonne - das Zentrum unseres Systems und Quelle des Lebens - langsam erlischt. Doch noch gibt es einen Lichtblick, die Icarus II. Ein riesiges Raumschiff, welches es dem berühmten Griechen gleichtun möchte und sich aufschwingt in Richtung des gelben Feuerballs. An Bord befindet sich ein atomarer Sprengsatz, welcher die Größe des Bundestaates Washington hat. Die letzte Hoffnung der Menschheit, den ins Stocken geratenen Fusionsreaktor des sterbenden Sterns wieder in Bewegung zu setzen. Damit es der tapferen Crew allerdings nicht so ergeht, wie dem übereifrigen Sohn in der Saga, hat das Schiff einen gigantischen Schutzschild an der Front montiert, welcher verhindert, dass sich der Bug der Icarus innerhalb weniger Sekunden in Rauch auflöst.

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Dabei geht es Boyle, zumindest zu Beginn, weniger um das beeindruckende Werk menschlicher Ingenieurskunst als um die strauchelnde Besatzung an den sensiblen Steuerknüppeln. Wie muss es wohl sein, Abermillionen von Kilometern durch den luftleeren Raum zu jagen und alles hinter sich zu lassen, was einem lieb ist? Seit über einem Jahr hat die Crew nur sich selbst. Acht mutige Pioniere, die versuchen, was vor ihnen noch keiner geschafft hat. In einem melancholisch inszenierten Kammerspiel erlaubt uns der britische Regisseur einen tiefen Einblick in die menschliche Seele, die sich von Einsamkeit gequält an den letzten verbliebenen Kontakt zur Außenwelt - den Funk - klammert. Als dieser einige Tage früher ausfällt als geplant, denkt der Zuschauer sich im ersten Moment nicht viel dabei. Allerdings wird schnell klar, welch emotionale Achterbahn der Abriss der letzten Verbindung zur Erde im sowieso schon gestressten Gefühlsleben der Protagonisten auslöst. Durch subtile Mittel macht uns Sunshine zu jeder Sekunde die erdrückende Verlorenheit in der allumfassenden Dunkelheit bewusst. Trotzdem vergisst Boyle nie, uns auch die schönen, beeindruckenden Seiten des Alls zu zeigen. Die Sonne, die erhaben das schiffseigene Observatorium erleuchtet oder die hell funkelnden Sterne am Firmament. Ein wahrlich faszinierender Anblick, dem sich weder die Mannschaft noch das staunende Publikum entziehen kann. Dieser erreicht seinen Höhepunkt, als die Augen der Crew im grellen Licht einen kleinen Punkt erspähen - den Merkur.

Ein paar Grad entscheiden über Leben und Tod

So weit, so routiniert. Die Icarus II befindet sich, wie geplant, im Schatten des kleinen Planeten und will gerade zum obligatorischen Slingshot  (ein klassisches Manöver, um Geschwindigkeit zu gewinnen) ausholen, als ein freundliches Piepen den Alltag an Bord unterbricht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein auf laut gestelltes Handy, sondern um ein eingehendes Notsignal. Ein Hilferuf, knapp 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt? Eigentlich unmöglich. Jedoch trägt das Raumschiff nicht umsonst die Zwei im Namen. Einige Jahre zuvor schickten die Nationen der Erde bereits eine erste Mission Richtung Sonne. Jedoch erreichte die Icarus I ihr Ziel nie und der Himmel blieb dunkel. Nach einem kurzen Hin und Her entscheidet der begabte Bord-Physiker Capa (Cillian Murphy), dass sich der Umweg zum verschollenen Schiff lohnt und dem Signal auf den Grund gegangen werden sollte. Die gewagte Kursänderung nutzt auch Boyle, um einen ganz anderen Ton anzuschlagen. Es wird deutlich hektischer, sowohl in der Kamerabewegung als auch in der Erzählweise. Zusätzlich vergisst der Navigator des Schiffes bei der Anpassung des Kurses um wenige Grad auch das lebenswichtige Sonnenschild neu auszurichten. Für den Moment treten plötzlich all die persönlichen Wehwehchen aus dem ersten Akt in den Hintergrund und das Schiff drängt sich dramatisch in den Mittelpunkt der Handlung. Es folgen atemberaubende Außenbord-Einsätze und sogar ein Spaziergang auf dem genial konstruierten Schild der Icarus. Nun lässt der Ausnahmeregisseur die visuellen Muskeln ordentlich spielen und bringt die unerträgliche Hitze direkt ins heimische Wohnzimmer. Doch es hilft alles nichts. Mit dem paradiesisch anmutenden Sauerstoff-Garten, der mit seinem saftigen Grün an die Dschungel der zurückgelassenen Erde erinnerte, verliert die Icarus II ihr Herz und beginnt langsam zu sterben. Die einzige Hoffnung scheint das gestrandete Schwesterschiff. Doch was wird die verunsicherte Mannschaft dort erwarten und ist die Mission überhaupt zu retten? Das Schicksal der Menschheit wiegt schwer auf den Schultern der Auserwählten.

Bist du ein Engel?

Bis hierher ist Sunshine ein genialer, aber relativ konventioneller Weltraum-Trip. Doch mit dem Öffnen der Luftschleuse, der bis dahin totgeglaubten Icarus I, wechselt Boyle erneut gekonnt das Genre. Aus dem halbwegs wissenschaftlichen Drama wird in Lichtgeschwindigkeit ein sehr experimenteller Horror-Slasher, als der einzige Überlebende der ersten Mission - Captain Pinbacker - das Schiff betritt. Eine Spielwiese für Boyle, der sich richtig austobt. Gleich zu Beginn des dritten Akts werden mit jedem Leuchten der Taschenlampen für wenige Millisekunden Bilder der verstorbenen Crew-Mitglieder eingeblendet. Ein Effekt, den ich so noch nicht gesehen hatte und der mir sofort einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich konnte das Unwohlsein der enternden Mannschaft nun am eigenen Leib spüren. Als dann auch noch der deformierte Pinebacker Capa fragt, ob er ein Engel sei und damit seine Verblendung dem Zuschauer offenbart, saß ich staunend im Kinosessel.

Im weiteren Verlauf dreht der Brite noch einmal richtig auf und reiht schnelle Schnitte, verwirrende Unschärfe und stockende Bilder künstlerisch aneinander, bevor er im beinahe philosophischen Finale alle Elemente noch einmal aufnimmt und in einer traumhaft schönen Explosion die Wiedergeburt der Menschheit feiert. Ein Werk, welches die Tiefe der menschlichen Seele mit den Weiten des Alls verschmelzen lässt.

Mal sehen, ob es Interstellar schafft, ebenfalls erfolgreich zwischen Bildgewalt und Geschichte zu wandeln. Davon überzeugen können wir uns schon am 6. November 2014, also heute, denn dann läuft der Streifen mit Matthew McConaughey in den Kinos an.

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