Warum Westworld eine der tiefgründigsten Serien ist

02.02.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Westworld fordert: Wer nicht aufpasst, verliert zwischen Menschen und Maschinen schnell das Interesse. Alle anderen werden mit intelligenter Sci-Fi-Unterhaltung belohnt.

Im Hollywood-Blockbuster Matrix wird die Menschheit von Maschinen kontrolliert und unterjocht. Männer, Frauen und Kinder leben in einer künstlich erschaffenen Traumwelt. Nach einer der bedeutendsten Schlüsselszenen des Films, in der Morpheus (Laurence Fishburne) dem Hacker Neo (Keanu Reeves) die Wahl zwischen der roten und der blauen Kapsel lässt, beginnt in diesem langsam ein neues Bewusstsein zu reifen. Nun ist er wach und träumt nicht mehr, aber noch kann er nicht alles begreifen. Als Mentor versucht Morpheus ihm zwar den richtigen Weg zu weisen, ans Ziel muss Neo jedoch selbst kommen: "Ich kann dir nur die Tür zeigen. Hindurchgehen musst du alleine."

Plakativ betrachtet, dreht die HBO-Serie Westworld dieses Gedankenspiel um. In einer nicht näher definierten Zukunft ist es Wissenschaftlern gelungen, auf dem höchsten technischen Niveau humanoide Roboter zu entwickeln, die sich kaum noch von echten Menschen unterscheiden lassen. Mit einem ausgeklügelten Programmiercode ausgestattet, existieren diese Androiden in der sogenannten Westworld, einem Vergnügungspark für wohlhabende Sensationstouristen. Betrieben von einer Software, wissen die künstlichen Wesen nicht, dass sie in einer von Menschen geschaffenen Seifenblase leben. Sie werden kontrolliert und unterjocht. Allerdings gibt es, ähnlich wie in Matrix auch, jemanden, durch den in den Maschinen langsam ein Bewusstsein reift.

Da ist die Tür, aber hindurchgehen musst du alleine

Für die Roboter im Park ist der Weg zur Wahrheit ein beschwerlicher, nachdem sie die symbolische rote Kapsel geschluckt haben. Analog dazu gleicht die komplette 1. Staffel von Westworld einer Tour de Force. Wer sich als Zuschauer auf die komplexe Geschichte einlässt, darf sich nicht berieseln lassen, sondern muss selbst aktiv werden: Konsumieren, reflektieren, interagieren. Irgendwo in dieser (Traum-) Welt gibt es eine tiefere Wahrheit, aber die Lösung des Rätsels ist langwierig und kräftezehrend, oft genug sogar ermüdend. Nach 10 Episoden und am Ende der Denkaufgabe wartet dann aber die verdiente Belohnung und mit ihr das Bewusstsein, von einer der tiefgründigsten Serien auf ein Abenteuer in die menschliche Psyche geschickt worden zu sein.

In Westworld spielt die Menschheit Gott

Angelehnt an den Kinofilm Westworld von Schriftsteller und Regisseur Michael Crichton, entwarf das Ehepaar Lisa Joy und Jonathan Nolan eine facettenreiche Story voller Irrungen und Wirrungen. Für den Zuschauer wird lange nicht wirklich deutlich, worauf die Handlung der Science-Fiction-Serie hinausläuft: Welche Ziele haben die Verantwortlichen des Vergnügungsparks? Warum verhalten sich die Roboter, die sogenannten Hosts, plötzlich so merkwürdig? Was ist Traum und was ist Wirklichkeit? Wer ist Mensch und wer ist Maschine? Jede Folge wirft neue Fragen auf, während es immer tiefer hinab geht in den Kaninchenbau. Als wichtigste Aufgabe gilt es, die verschiedenen Handlungsstränge mit den angedeuteten Metaphern zu verknüpfen.

William Shakespeare, Lewis Carroll und Julian Jaynes

An Verweisen und Gleichnissen wird in Westworld nicht gespart. Angefangen mit dem Alice im Wunderland-Kleid von Host-Hauptfigur Dolores (Evan Rachel Wood), über Zitate aus Romeo und Julia ("These violent delights have violent ends") bis hin zur subtilen Indianer-Analogie: Technisch fortschrittliche Menschen (Entdecker) bauen einen Freizeitpark (Neues Gebiet) und versklaven darin Roboter (Bevölkerung). Wer nicht funktioniert, wird in einem extra geschaffenen Bereich abgestellt. Im 19. Jahrhundert besiedelten "zivilisierte" Angloamerikaner (Entdecker) den Mittleren Westen der USA (Neues Gebiet) und zettelten dabei einen Krieg mit den Ureinwohnern (Bevölkerung) an. Sie steckten die Unterlegenen in Reservate. Wie passend, dass der Freizeitpark in Westworld dem Wilden Westen nachempfunden ist.

Gar nicht so romantisch: Der Wilde Westen

Wer der 1. Staffel eine Chance gibt, wird schon bald nach den ersten Episoden auf der Suche nach Antworten mit einer kleinen Recherche beginnen. Was bedeuten die Titel der einzelnen Folgen? Ist die Figur von Anthony Hopkins bewusst nach der Wild-West-Legende Robert Ford benannt? Welche Theorien gibt es zur kognitiven Dissonanz und zum menschlichen Bewusstsein? Im Kern bedient sich Westworld bei den wissenschaftlichen Thesen des US-amerikanischen Psychologen Julian Jaynes, der mit seinem Buch Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche weltweit für Beachtung sorgte und dem der Titel der finalen Folge (The Bicameral Mind) gewidmet wurde.

Mensch baut Maschine baut Maschine bedient Maschine dient dem Menschen

Der Ansatz von Jaynes: Vor Entstehung der ersten Städte, etwa um das Jahr 9000 vor Christus, lebte die Menschheit mit einem sogenannten Zwei-Kammer-Geist. Demnach gab es eine ausführende und eine befehlenden Hälfte, allerdings existierte noch kein Bewusstsein. In chaotischen Situationen, die bewusste Intuition erforderten, habe der Mensch halluziniert und geglaubt, in seinem Kopf die Stimmen von Göttern zu hören, die ihm sagten, wie er sich zu verhalten habe. Die Hosts in Westworld werden ebenfalls von Halluzinationen geplagt, die sie nicht einzuordnen wissen, weil sie kein Bewusstsein besitzen. Der Zuschauer wird lange damit auf die Folter gespannt, ob es sich bei den Roboter-Visionen um von den Menschen (Göttern) eingepflanzte Gedanken-Codes handelt oder ob das bikamerale Innenleben der Androiden langsam zusammenbricht.

Was macht den Menschen eigentlich zum Menschen?

Die ebenso geheimnisvolle wie intelligente Geschichte über das Schicksal der Menschheit, immer wieder Gott spielen zu wollen, ist eine tiefsinnige Abenteuerreise in die menschliche Psyche. Im Mittelpunkt stehen dabei drei zentrale Fragen: Was macht den Menschen eigentlich zum Menschen? Dürfen wir unser Bewusstsein über das künstlich kreierte Bewusstsein eines Androiden stellen? Und welche Wege könnte der technische Fortschritt von heute für das Verhältnis von Mensch und Maschine von morgen bedeuten? Antworten gibt es in Westworld hingegen nur wenige. Am Ende bleibt das Gefühl, der stundenlangen Diskussion einer Experten-Runde gelauscht zu haben.

Konsumieren, reflektieren, interagieren

Kaum eine andere Serie vermag es, den Zuschauer so stark zu fordern, wie Westworld. Kaum eine andere Serie fördert den Zuschauer aber auch so sehr, wie Westworld. Abgesehen von beeindruckenden schauspielerischen Leistungen (allen voran Anthony Hopkins und Thandie Newton), einigen What-the-fuck-Momenten und dem überaus raffinierten Schnitt der ambivalenten Story, stiftet die Serie den Zuschauer zum Nachdenken über den Existentialismus an. Insofern zeigt uns Westworld eine rätselhafte Tür, hinter der uns eine Welt voller Ideen und Möglichkeiten erwartet. Nur hindurchgehen, das müssen wir ganz bewusst alleine.

Ab heute läuft Westworld jeden Donnerstag um 21:00 Uhr mit deutscher Übersetzung und jeweils als Doppelfolge auf Sky.

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