Hollywood steckt in der Krise - Und das ist gut so

12.09.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Nicht traurig sein, Bats!
Warner Bros.
Nicht traurig sein, Bats!
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Die Buchhalter freuen sich über das Einspielergebnis von Guardians of the Galaxy wie über eine Oase nach einem langen Wüstenmarsch. Dabei ist die Krise vielleicht das beste, was Hollywood und uns passieren kann.

Wochenende um Wochenende übten sich die Branchenblätter in den vergangenen Monaten in gemeinsamer Trübsal. Am 4. Juli 2014 ging es los mit den deprimierenden Blicken in die Tabellen des Vorjahres, die aufzeigten, wie viel mehr Geld im jeweiligen Vergleichswochenende gescheffelt wurde. Die so ungeheuer wichtige 200-Millionen-Dollar-Marke, die in der Regel darüber bestimmt, ob ein Tentpole im heimischen Markt steht oder fällt, geriet zur einschüchternden Hürde. 3 Monate quälte sich ein abgekämpfter Godzilla durch die Kinos, um Anfang August endlich auf 200.239.568 Dollar zu kommen. Transformers 4: Ära des Untergangs hat es nach 11 Wochen gerade mal auf 244 Millionen geschafft. Eine große Summe, wenn du deinen Wochenendeinkauf ohne Personal Assistant bewältigst, eine kleine, wenn du 210 Millionen (offiziell) für Spielzeuge raushaust, die sich den Schädel einschlagen. Nun wird Guardians of the Galaxy gefeiert, als sei uns allen der Box-Office-Messias erschienen, weil der Marvel-Film als erster dieses Jahr die 300 bezwingen wird und damit sind nicht eingeölte Spartaner gemeint.

Es ist alles in allem ein ziemlich deprimierendes Jahr für eine Branche, der vielfach Trägheit gegenüber so ziemlich jedem gesellschaftlichen Wandel vorgeworfen wird, ob die Entdeckung von “Neuland” oder die Emanzipation der Frau (ist auch schon eine Weile her, oder?). Doch sind es immer wieder Krisenerscheinungen, muss das Wasser bis zum Kinn stehen, damit sich in der Industrie etwas ändert. Das lehrte bereits die kurze Blüte des New Hollywood. Genau so eine Phase erleben wir gerade und das ist abseits von abgegriffenen Aufregern wie Sequelitis und Remakismus hochspannend. Wir erleben, wie Jennifer Lawrence Anfang 20 Teil zweier actionlastiger Franchises wurde und als Gesicht eines Films allein in den USA rund 425 Millionen Dollar eingespielt hat. Mehr als Godzilla und Tom Cruise zusammen. Wir quälen uns durch die auf Twilight folgenden Young-Adult-Verfilmungen, die vielleicht nicht gut sind, aber mit Lawrence und Shailene Woodley (Divergent, 150,9 Millionen domestic) indirekt zwei veritable weibliche Leading Ladies hervorgebracht haben, deren Rollen aus mehr bestehen, als nur von Peter Parker vor dem Sturz in die Tiefe gerettet zu werden (wobei das wirklich nett ist von Peter).

Scarlett Johansson musste vielleicht nach Frankreich flüchten, um endlich ihren eigenen Actionfilm zu ergattern. Wie der 40-Millionen-Knaller Lucy aber die 100-Millionen-The-Rock-Produktion Hercules deklassierte, das hallt nach. Gerade wenn gleichzeitig Berichte über die sich wandelnde Zuschauerschaft in den Staaten veröffentlicht werden. Um 17 Prozent ist die Zuschauerschaft im Alter von 18 bis 25 Jahren im vergangenen Jahr gefallen, was laut Hollywood Reporter wahlweise auf YouTube, Videospiele oder die Diskrepanz zwischen dem Angebot und dem sich wandelnden Geschmack der Jugend zurückgeführt wird. Gleichzeitig bilden Mädchen und Frauen dieses Jahr die verlässlichsten Kinogänger. Das kommt Filmen wie Maleficent – Die dunkle Fee, Das Schicksal ist ein mieser Verräter und Lucy zugute. 50 Prozent der Zuschauer von Lucy waren Frauen (nicht USB-Sticks) und wie der Hollywood Reporter argumentiert, entscheiden diese vielfach, welche Tickets Familie oder Pärchen kaufen. Als 2011 Brautalarm ein von Männern geprägtes Genre enterte, sorgte das für vorsichtige Spekulationen. Heute sammelt Melissa McCarthys 20-Millionen-Herzensprojekt Tammy – Voll abgefahren in den Staaten 84 Millionen ein, nach den Hits Voll abgezockt und Taffe Mädels.

Nun begegnet Sony der Franchise-Einbahnstraße The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (39 Prozent Frauen am ersten Wochenende) mit der Ankündigung einer Superheldin als Hauptfigur und kommt damit den gehuldigten Marvel Studios zuvor. Das heißt nicht, dass all diese Filme notwendigerweise Meisterwerke sind oder werden, es bedeutet aber eines: In einem Prozess, der eine Weinbergschnecke wie Usain Bolt aussehen lässt und noch Jahre in Anspruch nehmen wird, könnte, dürfte, sollte sich Vielfalt durchsetzen. Nicht nur, was das Geschlecht angeht, sofern die Studios beispielsweie aus dem Erfolg von Fast & Furious und Instructions Not Included Konsequenzen ziehen, also die Kinoverliebtheit der hispanischen Bevölkerungsgruppe gezielter füttern. So bedeutsam der weltweite Markt für die Tentpoles auch geworden ist, wo ein Spinnenmann 500 Millionen einsammelt. Ihren Vorgarten können die Studios nicht außer Acht lassen. Transformers 4 hat in China 300 Millionen Dollar eingespielt, von jedem Dollar gehen aber nur rund 25 Cent an Paramount, während es in den USA 50 Cent sind. Hinzu kommen unterentwickelte Home-Media-Märkte, die langfristige Einnahmen aus der Verwertung des Films unterbinden. (Wall Street Journal)

Also sehen wir vielleicht bald Captain Marvel oder Black Panther, die durch die Straßenschluchten von Shanghai hüpfen. Zunächst schrauben Warner und Co. jedoch an jenen Zahnrädern, die das Blockbuster-Uhrwerk im Innersten zusammenhalten: der Sommersaison. Wir nehmen dank überteuerter Sportspektakel nicht immer teil daran. Der Erfolg vom Spätstarter Guardians of the Galaxy gab trotzdem zu denken. Die Idee, möglichst viele, möglichst ähnliche, möglichst kostenintensive Produkte in einem stark begrenzten Zeitraum auf den Markt zu werfen, hat möglicherweise ausgedient. Die Sommersaison, wie wir sie heute kennen, wurde durch Tim Burtons Batman erfunden, nicht nur weil das Marketing den Starttermin im Juni als bedeutungsschwangeres Event ankündigte. Schon vorher gab es erfolgreiche Sommer-Blockbuster, aber selten spielten sie in so kurzer Zeit so viel Geld ein. Profitabilität in kürzester Zeit war neben extrem hohen Merchandising-Einnahmen das herausragende finanzielle Merkmal des Superheldenfilms (Flavorwire). Wenn 25 Jahre später an jedem Sommerwochenende ein 100- oder 200-Millionen-Produkt gegen das andere kämpft, dann liegt dahinter die Hoffnung auf ein übermächtiges erstes Wochenende und wieder eingespielte Produktionskosten innerhalb der ersten 5 bis 10 Wochen.

Angesichts dieser Hintergründe entgeht einem die vorzügliche historische Rahmung beim Starttermingerangel zwischen Batman v Superman: Dawn of Justice und Captain America 3 nicht. In den vergangenen Jahren haben sich immer öfter Filme in die Box-Office-Todeszonen zwischen Oscarsaison und Sommer, Sommer und Oscarsaison gewagt und gewonnen. Durch Fast & Furious Five und Thor wurde der Beginn der Sommersaison früher angesetzt. Der im Vorfeld schwer einschätzbare Die Tribute von Panem – The Hunger Games hingegen zeigte, dass auch mit einer Veröffentlichung im März 400 heimische Millionen eingespielt werden können. Guardians of the Galaxy steht nun immer noch an der Spitze der US-Charts, weil es abgesehen von den Teenage Mutant Ninja Turtles keine Konkurrenz gibt. Der im Mai 2013 angelaufene Iron Man 3 lag in Vergleichswoche 6 schon auf Rang 9. So gern wir also über die verwegene DC-Superheldenplanung lästern, falls “Plan” in diesem Kontext überhaupt angebracht ist – da Warner Bros. mit Batman v Superman seinen wichtigsten Tentpole 2015 in den März verschoben hat, könnte der Dunkle Ritter einmal mehr das Blockbuster-Spiel grundlegend ändern. Hollywood kann sich nämlich wandeln und wir sind live dabei.

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