Hell or High Water - Chris Pine glänzt in Western-Entdeckung

18.05.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Hell or High WaterCBS Films
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Im schnittigen Neo-Western Hell or High Water raubt Chris Pine Banken aus. Im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes stellte außerdem Pedro Almodóvar sein fades neues Drama Julieta vor.

Es vergeht kein Tag beim Festival Cannes, an dem ich nicht im Kino sitze oder in einer Schlange stehe und zwei Wörter zwischen dem undefinierbaren Geschnatter an mein Ohr dringen: Toni und Erdmann. "Have you seen Toni Erdmann" wurde zur universal verständlichen Small Talk-Eröffnung auserkoren, was dringend nötig war, denn über das Wetter können sich die Festival-Besucher nicht mehr beschweren. Im Kritikerspiegel von Screen, der zum Cannes-Morgen gehört wie das holzige Baguette mit Babybel-Stückchen zu meinem Frühstück, liegt der deutsche Wettbewerbsbeitrag am Dienstag mit 3,7 von 4 Durchschnittspunkten vorn, dahinter Paterson (3,5) und Sierra-Nevada (3,0). Mit Maren Ades drittem Spielfilm hat es der erste deutsche Beitrag seit Palermo Shooting (2008) in den Wettbewerb geschafft und dann auch noch Unglaubliches vermocht: "A German comedy. Who knew?", britelten Anfang der Woche zwei Besucher in der Reihe hinter mir. In einem Wettbewerb, der Humor unter kannibalistischen Muschelsammlern und einem Paar entdeckt, das gegen die Rassendiskriminierung kämpft, stellt ausgerechnet Pedro Almodóvar mit Julieta ein seriöses Drama vor, bei dem sich Mundwinkel nur zu einem tiefen Gähnen verziehen. Dafür empfahl sich die Sektion Un Certain Regard mit dem schicken Neo-Western Hell or High Water, in dem Chris Pine und Ben Foster als Bankräuber durch ein hypothekengebeuteltes Land ziehen.

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Gemeinsam mit American Honey gibt Hell or High Water ein sehenswertes Americana-Double Feature ab, beide von Briten gedreht, der eine ausufernd, der andere geradlinig. Wie auch Andrea Arnold zeigt sich David Mackenzie (Mauern der Gewalt) fasziniert von den Weiten der Landschaft, in der sich der amerikanische Traum verflüchtigt hat. Die beiden Brüder Tanner (Ben Foster) und Toby (Chris Pine) ziehen in Texas von Bank zu Bank und gehen bei ihren Überfällen strategisch genau vor. So leidet immer die selbe Bankenkette, bleiben die ausgewählten Ortschaften klein und übersichtlich und die Uhrzeit gleich. Nach jedem Heist fahren sie zur ihrer Farm und vergraben die Fluchtautos auf dem Grundstück. Klar skizzierte Charaktere präsentiert das stromlinienförmige Drehbuch von Sicario-Autor Taylor Sheridan. Auf Tanners Mist ist die Organisation der Raubzüge ganz sicher nicht gewachsen. Für den Ex-Knacki gibt es keine befriedigendere Freizeitbeschäftigung, als Unbeteiligten den Pistolenlauf an die Schläfe zu pressen und posiert er mit Maschinengewehr auf einer Landstraße, dann weil er offensichtlich nicht nur zu viele Western, sondern auch Actionfilme aus den 70er und 80er Jahren gesehen hat. Der jüngere Toby ist das Gehirn hinter der Heist-Planung und er hat einen Plan: Für die Söhne des Geschiedenen soll gesorgt sein, mögen Hölle, Hochwasser oder Jeff Bridges über ihn hinein brechen. Letzterer steht als Gesetzeshüter Marcus kurz vor der Rente. Eine Serie von Banküberfällen bietet sich da als ideale Ausrede, den Ruhestand vor sich her zu schieben.

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Hell or High Water ist eine der Genre-Entdeckungen in Cannes, unter anderem weil so ein straffer Thriller dem Regisseur von Young Adam und Perfect Sense nicht zuzutrauen war. Obwohl in der Umsetzung äußerst ergebnisorientiert, liegt dem Film ein Gespür für die Bewohner dieses Landstrichs in West Texas zu Grunde. Jede Kellnerin entpuppt sich als echter character, jeder Verhörte schleppt eine Geschichte mit sich herum und bei allen klingt sie ähnlich: Schulden, Hypotheken und Banken, die sich nicht um ihre Kunden kümmern und vielmehr die wirtschaftliche Lage ausnutzen, um sich Grundstücke im früheren Wilden Westen einzuverleiben. Dem Thriller mit sozialem Bewusstsein wäre in diesem Bereich mehr Zurückhaltung gut bekommen. Nicht jeder Schwenk durch die Landschaft muss auf einem "Closing Down"-Schild landen.

Chris Pine konnte trotz des Star Trek-Reboots seine individuelle Leading-Man-Nische in Hollywood noch nicht herausarbeiten. Was wiederum wenig verwundert, da die Darsteller seiner Generation von Reboot zu Reboot damit betraut werden, in die Fußstapfen anderer zu treten, statt sich Rollen maßschneidern zu lassen. Auf jeden James T. Kirk kommt dann ein Jack Ryan: Shadow Recruit. Pines Auftritt in Hell or High Water nach zu urteilen, hat sich hier ein Charakterdarsteller in die Vita eines Blockbuster-Leading Man verlaufen. Als durchaus rücksichtsloser Antiheld Toby zeigt sich Pine seiner selbst sicher, als hätte er nie irgendwo anders hingehört als auf diese eine staubige Veranda in West Texas. Das hat Pine mit einem Veteran wie Jeff Bridges gemein. Beide spielen in Hell or High Water Western-Helden, aber nur einem von beiden ist aufgegangen, dass sie im falschen Jahrhundert leben.

Julieta

Tobt sich David Mackenzie in jedem Film aus, als wäre es sein erster, kreist der Spanier Pedro Almodóvar auch in Julieta um die vertrauten Motive seines Werks. Nur leider zieht der Oscar-Preisträger nach dem angenehm absonderlichen Die Haut, in der ich wohne und der überzogenen Komödie Fliegende Liebende die Handbremse an. Oder schaltet er einen Gang zurück? Man setze hier die abgedroschene Auto-Metapher seiner Wahl ein. Julieta, Adaption von drei Kurzgeschichten von Alice Munro, beinhaltet einige von Almodóvars Markenzeichen, allesamt versinken sie in einem Mahlstrom der Schuldgefühle. Julieta (Emma Suárez) trifft eines Tages eine frühere Freundin ihrer Tochter, woraufhin sie jeden Halt verliert. Denn seit 13 Jahren hat sie Antia nicht mehr gesehen. Ein Flashback entführt uns zum ersten Treffen von Mutter und Vater. Im Zug teilt die junge Julieta (Adriana Ugarte) ihr Abteil mit einem aufdringlich wirkenden älteren Herrn, der mit ihr reden will. Julieta wiegelt ab, trifft im Speisewagen Xoan (Daniel Grao) und es ist um sie geschehen. Der andere aber wirft sich wenig später vor den Zug.

Wie ein Omen legt sich die vermeintliche Schuld auf Julietas Leben und findet in anderen tragischen Ereignissen Spiegelungen. Almodóvars blondierte Heldin verstärkt die an Hitchcocks Vertigo - Aus dem Reich der Toten angelehnte Mystery-Atmosphäre der Flashbacks. Abgesehen von ein paar evokativen Einzelmomenten, findet sich die Dramatik der Geschichte jedoch nicht in den größtenteils belanglosen Figuren wieder. Die Tonspur quillt über vor Erklärungen von Julietas Qualen, der Sehnsucht nach ihrem Kind, und im Drehbuch werden die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Ausgrenzungen fachmännisch ineinander verflochten. Über die lustlos manierierte Herangehensweise dieses Generationen überspannenden Dramas eines sonst so vitalen Filmemachers wie Pedro Almodóvar vermag das nicht hinwegzutrösten.

Mehr: Alle Artikel zum Festival Cannes im Überblick

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