Frauen als Kollateralschaden der Unterhaltungsindustrie

24.08.2015 - 11:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Begutachtung der Massenware
Filmstill: Universal Pictures Germany
Begutachtung der Massenware
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Dr. Dre schlägt Frauen krankenhausreif, Bill Cosby vergeht sich über Jahrzehnte an mehreren Dutzend Frauen. Aber was soll's. Die Show, die muss weiter gehen. Solange es sich irgendwie unter den Teppich kehren lässt.

Es war so schmerzhaft, als Dre mich auf dem Badezimmerboden des Po Na Na Souk Clubs versuchte zu würgen, dass mir ein Gedanke durch den Kopf ging: 'Oh mein Gott. Er versucht mich umzubringen.' Er hatte mich auf dem Boden gefangen; die Tür hielt er mit seinem Bein geschlossen. Es war surreal. 'Was passiert hier?', dachte ich.

Was da passiert , ist einer von mehreren Zwischenfällen, bei denen der berühmte Rapper und Produzent Dr. Dre auf Frauen losging und sie verprügelte. Dee Barnes, damals eine bekannte Fernsehmoderatorin, hatte in ihrer Sendung ein Interview mit Ice Cube gezeigt. Das passte Dre nicht, denn Ice Cube hatte seine Posse N.W.A. kurz vorher verlassen. Deshalb schmiss Dre sie also durch eine Tür, rammte ihren Kopf mehrmals in eine Wand und würgte sie schließlich auf dem Kloboden. Der Film, in dem dieses Ereignis eigentlich vorkommen müsste, Straight Outta Compton, hat diese Szene rausgelassen.

Straight Outta Compton - Trailer (Deutsch) HD
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Im ersten Drehbuchentwurf war sie noch drin, am Ende aber nicht mehr. Genauso wie die gewalttätige Beziehung Dres zu Sängerin Michel'le, die ihre Zeit mit dem Rapper so beschrieb: "Ich war nur eine stille Freundin, die geschlagen wurde, und der gesagt wurde, sie solle sich hinsetzen und die Klappe halten" . Oder dass er einer anderen Künstlerin backstage bei den Grammy Awards ins Gesicht schlug , weil sie einen Song aufnahm, der sich gegen das permanente Beschimpfen N.W.A.s von Frauen als "bitches" auflehnte.

Was der Film aber enthält, sind eine große Menge mal mehr, mal weniger nackter Frauen, die stets wie Einweghandtücher benutzt werden. Die stets ausgetauscht, weggeworfen werden. Diese Frauen durften im Drehbuch bleiben, sie bevölkern große Teile des Filmes. Dee Barnes und Michel'le sind aber nur unwichtige Fußnoten in der Geschichte N.W.A.s, schlechte Erinnerungen an Zeiten, in denen man Mist gebaut hat. Oder besser: Schlechte Zeiten, in denen man Mist gebaut hat und damit nicht durchkam. Denn Dre hat sich jetzt erst halbherzig entschuldigt , als es nicht mehr anders ging, weil diese revisionistische Version seines Bio-Pics genau das Gegenteil gebracht hat: das Unter-den-Teppich-Kehren hat erst recht darauf aufmerksam gemacht.

Was sich hier an Straight Outta Compton perfekt mitverfolgen lässt, ist aber viel mehr als nur ein Einzelfall. Das ist Teil eines Systems in dem Frauenfeindlichkeit durch monetäre Interessen und Machtstrukturen innerhalb der Unterhaltungsindustrie gedeckt werden. Es ist relativ einfach:

Ab einem bestimmten Punkt von Ruhm als Künstler hat man nicht nur einen Haufen Schotter, sondern auch genügend Einfluss und Leute, die davon etwas abhaben wollen, so dass man sich eine relativ gute Machtstruktur aufbauen kann. Dr. Dre ist, was das angeht, sehr talentiert. Wenn man also einmal an diesem Punkt angekommen ist, kann man (fast) alles machen, was man will, denn das System selbst wird einen schützen und aushelfen, soweit es nur geht. Und genau das ist hier der Fall. Als Dre Dee Barnes würgte und schlug, war er längst einer der ganz Großen. Und so wurde ihr Fall schnell abgewickelt, das Ganze außergerichtlich mit Geld geklärt und ab da ignoriert. Die anderen Frauen wurden ebenso abgehandelt oder gleich mundtot gemacht. In Barnes Fall ging es aber sogar weiter. Dre ließ sie wohl auf eine "schwarze Liste" setzen, so dass sie nie wieder Fuß in der Unterhaltungsindustrie fassen konnte.

Was ihr blieb, war ein bisschen Geld und chronische bleibende Schmerzen. Und Dre? Er hatte keinerlei Auswirkungen auf seine Karriere. Und auch das jetzt erneute Aufkochen dieser Fälle wird keine Auswirkungen haben. Weder auf ihn persönlich (sein neuer Arbeitgeber Apple hat schon gesagt, dass sie zu ihm stehen), noch auf den Film. Dieser hat in den USA gerade sehr solide 26 Millionen eingespielt.

Also, geht doch. Alles kein Problem. Man darf nur nicht übertreiben, wie Bill Cosby.


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