Enter the Void: Ästhetik im Konzept

11.09.2014 - 12:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Enter the Void
Wild Bunch
Enter the Void
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Dieser Text enthält Spoiler zu folgenden Filmen: Enter the Void

Im Jahr 2009 wurde Enter the Void in einer Vorabversion auf den internationalen Filmfestspielen von Cannes gezeigt. Der in Argentinien geborene französische Regisseur Gaspar Noé präsentierte damit seinen dritten abendfüllenden Spielfilm. Die aufgeführte Version war zwar noch nicht vollendet – Noé arbeitete noch sechs weitere Monate unter anderem an der Musik und den Spezialeffekten – aber spaltete wie schon seine vorherigen Filme das Publikum. Viele Rezensionen in Magazinen und im Internet reichen von Lobpreisungen bis hin zu vernichtender Kritik, jedoch wird nicht selten die Einzigartigkeit der visuellen Gestaltung hervorgehoben. Gelegenheit also, mal einen genaueren Blick darauf zu werfen und herauszufinden, wie Kamera, Schnitt, Spezialeffekte und Art Design zu einer Ästhetik beitragen, die das Konzept hinter der Filmhandlung und den Motiven unterstützt.

Gaspar Noé verknüpft diese Einflüsse zu einer Filmhandlung, in der der Junkie und Dealer Oscar zu Beginn des Films erschossen wird und anschließend eine außerkörperliche Erfahrung macht, gemäß dem Buch der Toten, dessen grundlegende Idee vom Verlassen des Körpers nach seinem Ableben und einer möglichen Reinkarnation zuvor von Oscars Freund Alex vorgestellt wird. Alex fungiert dabei als eine Art Führer für den Protagonisten und den Zuschauer. Er erklärt das Konzept, das der Regisseur im folgenden Verlauf des Films vor allem über die aufwendige visuelle Gestaltung zu vermitteln versucht. Enter the Void kombiniert den Einfluss psychoaktiver Substanzen mit der außerkörperlichen Erfahrung, die man gemäß dem Buch der Toten macht, und bei der man mehrere Daseinsstufen bewältigt, bis man letztendlich wiedergeboren werden kann. Davon ausgehend stellen sich Fragen nach der Art und Weise, wie Inhalt und Form filmisch verknüpft werden, nach der Authentizität des Dargestellten und nach der technischen Umsetzung der zu erzielenden Effekte.

Idee und Konzept hinter Enter the Void

Als eine der Hauptquellen der Inspiration zu seinem Film nennt Gaspar Noé ein Erlebnis, das vor allem dazu führte, zu ganz konkreten Vorstellungen über die visuellen Aspekte von Enter the Void zu gelangen. Unter Einfluss psychoaktiver Pilze sah er sich Die Dame im See (Robert Montgomery, 1947) an, einen Film, der komplett in Point-of-view-Einstellungen gedreht wurde, also ausschließlich auf eine subjektive Kamera setzte. Kombiniert mit den bunten Lichtern und Formen, die Noé bei seinem Trip wahrnahm, entstand die Vision eines Films, die später als Enter the Void realisiert wurde. Bei seinem Film stand demnach von Anfang an die Ästhetik im Vordergrund. Ein anderer wichtiger Teil seines filmischen Konzepts ist das tibetanische Buch der Toten, das maßgeblichen Anteil an der narrativen Struktur des Films hatte.

Erzählperspektiven

Betrachtet man die narrative Struktur von Enter the Void, fällt vor allem auf, dass sich der Film in drei inhaltlich und visuell distinkte Erzählperspektiven gliedern lässt, die chronologisch aufeinander folgen und Oscars verschiedene Phasen des Daseins dokumentieren:

1. Point of View - Oscar in der Welt der Lebenden

Die erste dieser Erzählperspektiven beginnt nach der Titelsequenz des Films und dauert ununterbrochen an, bis Oscar nach etwa einer halben Stunde Filmlaufzeit erschossen wird. Diese Phase seines Daseins ist ganz banal seine Existenz vor seinem Tod, also sein Leben. Noé entschied sich hierbei für eine subjektive Kamera, um den Zuschauer sozusagen durch die Augen seines Protagonisten blicken zu lassen. Erwähnenswert ist besonders der konsequente Verzicht auf sichtbare Schnitte. Montage hat im Film für gewöhnlich elliptischen Charakter und ermöglicht vor allem die Strukturierung der Handlung auf der Zeitachse, aber auch im Raum. Zwischen zwei Sequenzen kann ein Schnitt liegen und so für einen Orts- oder Zeitwechsel sorgen. Dabei wird zwangsläufig der Weg zu eben jenem neuen Handlungsort oder zum neuen Punkt auf der Zeitachse ausgelassen. Noés Anliegen aber ist eine größtmögliche Nähe des Zuschauers zum Gezeigten und die Authentizität des selben. Vom Beginn der Filmhandlung bis hin zum Tod des Protagonisten erscheint es, als gäbe es nur eine einzige lange Sequenz ohne Auslassungen oder Sprünge auf der Zeitachse. Es gibt zwar keine sichtbare Montage, aber an wenigen Stellen finden Kamerabewegungen statt, die einen unsichtbaren Schnitt ermöglichen, wie etwa als Oscar sich auf dem Weg zum Badezimmer seines Apartments an einem vollkommen dunklen Stück Wand vorbei bewegt. Nichtsdestotrotz wird der gewünschte Effekt, ununterbrochene Handlung aus der Perspektive von Oscar mitzuerleben, nicht gestört und die so geschaffene Immersion aufrechterhalten. Um dies noch zu steigern, gibt es in unregelmäßigen Abständen alle paar Sekunden ein sehr schnelles und kurzes Abblenden innerhalb der Sequenz, allerdings auch hier ohne dass ein erkennbarer Schnitt stattfindet. Das Abblenden simuliert das Blinzeln des Protagonisten. Diese ungewöhnliche Technik ruft beim Zuschauer möglicherweise anfangs Irritation hervor, fällt aber bereits nach wenigen Minuten kaum noch auf und wird als natürlich wahrgenommen. Dass die realitätsnahe Übertragung subjektiver menschlicher Wahrnehmung in das filmische Medium nur schwer erreicht werden kann, ist auch dem Regisseur bewusst. Noé erwähnt in einem Interview, dass eine weit authentischere subjektive Kamera Augenbewegungen in der Weise nachempfinden müsste, dass sie sich äußerst dynamisch von einem Fixpunkt in der Umgebung zum nächsten bewegen würde. In der Realität fällt unser Blick nämlich nicht selten von einem Objekt schnell zu einem anderen. Dabei ist die Bewegung ruckartig. Im Gegensatz dazu verwendet der Regisseur in seinem Film sanfte Kameradrehungen und vermeidet zu unruhige Bewegungen. Eine wirklichkeitsnahe Übertragung der Pupillenbewegungen hätte sehr wahrscheinlich einen eher kontraproduktiven Charakter in Bezug auf den immersiven Effekt, der erzielt werden soll, weshalb Noé letztlich darauf verzichtete.

Neben der Heranführung des Zuschauers an die Wahrnehmung Oscars, solange er noch am Leben ist, etabliert dieser erste Handlungsabschnitt Tokyo als Setting, auf dessen tragende Rolle für die Vision des Regisseurs später im Text eingegangen werden soll, die wichtigsten Figuren und die grundsätzliche Thematik des Films. Als Vorstufe des späteren ultimativen Trips lässt Gaspar Noé den Zuschauer mit dem Blick Oscars die Einnahme des starken Halluzinogens DMT (Dimethyltryptamin ) erleben. Dabei wird auf aufwendige Spezialeffekte zurückgegriffen. Oscar sitzt in seinem Apartment und raucht das DMT. Der Hintergrund beginnt zu verschwimmen und sich zu verdunkeln, danach bilden sich leuchtende, wabernde Muster vor seinen Augen, die an fraktale Kunst erinnern. Tatsächlich gibt es einen ähnlichen Effekteinsatz unmittelbar nach der Titelsequenz und kurz bevor die subjektive Kamera einsetzt, nur lässt sich diese Sequenz zu dem Zeitpunkt vom Zuschauer noch nicht klar einordnen. Nun aber wird deutlich, dass auf diese Weise Oscars DMT-Trip illustriert wird. Eine solche Sequenz erscheint in dieser Hinsicht passend bearbeitet worden zu sein, doch tatsächlich gestaltete es sich schwer für Gaspar Noé, eine realitätsnahe Darstellung der schwer zu visualisierenden Wahrnehmungsveränderung durch so ein intensives Halluzinogen wie DMT auf die Leinwand zu bringen. Das verantwortliche Spezialeffektstudio BUF hatte mit Sequenzen dieser Art und speziell mit DMT-Konsum keine Erfahrung. Das Endergebnis kann zwar generell als gelungen in der Hinsicht bezeichnet werden, dass das thematische Konzept auf sehr ausdrucksstarke Weise transportiert wird, ist aber laut Regisseur nicht so umgesetzt, wie er es sich vorgestellt hatte. Nach eigenen Angaben probierte er über Jahre hinweg verschiedene Drogen aus, einige davon ausschließlich aus Recherchegründen, um seine Vision zu konkretisieren. Im Vergleich zum filmisch dargestellten Trip, seien die wahrgenommenen Lichter und Formen weitaus flüchtiger. Im einen Moment noch zu sehen, konnten sie im nächsten wieder verschwunden sein. Sich Notizen zu machen, sei außerdem zwecklos, um eine solche Erfahrung adäquat wiederzugeben.

2. Schulterblick - Oscars Erinnerungen

Nachdem der Zuschauer in der ersten halben Stunde des Films die Wahrnehmung Oscars aus dessen Augen erleben konnte, wechselt Gaspar Noé nun nach dem Tod seines Protagonisten die Erzählperspektive. Zunächst zwar zu einer scheinbar frei durch den Raum beweglichen, nach wie vor subjektiven Kamera, doch da diese Perspektive vorerst nur fünfzehn Minuten anhält und danach erst nach gut eineinhalb Stunden Filmlaufzeit wieder einsetzt, um fortan für den gesamten Rest des Films beibehalten zu werden, soll sie erst im nächsten Textabschnitt intensiver beleuchtet werden. Nach diesen wenigen Minuten also, in denen Oscar von seinem Körper und somit jeglichen physischen Grenzen losgelöst durch das nächtliche Tokyo gleitet, verändert sich die Erzählebene, nachdem seine Schwester Linda von seinem Tod erfahren hat. Dies ist inhaltlich damit verknüpft, dass Oscars Dasein eine Phase erreicht, in der er fast traumartig seine Erinnerungen durchlebt. Dies ist besonders mit dem Buch der Toten verknüpft, dessen Grundgedanken Oscars Freund Alex in der ersten halben Stunde des Films skizziert. Gemäß dem Buch, durchlebt der Verstorbene kurz nach dem Verlassen seines Körpers Teile seines Lebens vor seinen eigenen Augen erneut. Der Regisseur entschied sich, diesen Bewusstseinszustand als eine Reihe von Erinnerungen zu visualisieren. Die Erzählperspektive bleibt in diesem Abschnitt selbstverständlich subjektiv von Oscar ausgehend, die Kamera befindet sich jetzt allerdings wenige Zentimeter hinter der Schulter des Protagonisten und behält diese Position durchgehend bei. Bewegt sich Oscar, bewegt sich die Kamera mit. Die Einstellung liegt dabei zwischen Nah und Halbtotale. Blickwinkel und Höhe sind weitgehend gleichbleibend. Die Kamera wird weder gekippt, noch gedreht.

Auf der einen Seite begründet Gaspar Noé diese Entscheidung damit, dass er seine eigene Person in Träumen immer nur von hinten sehe, darüber hinaus – und vor allem wichtiger – unterscheidet sich dieser Handlungsabschnitt nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern auch äußerst distinkt visuell von den anderen. Jede Sequenz, in der man Oscar von hinten betrachtet, kann somit eindeutig diesem Traum- oder eher Erinnerungszustand zugeordnet werden. Noé schafft damit eine klare Form, die dem Zuschauer zu Gute kommt und auf der visuellen Ebene eine Art Fixpunkt darstellt, der sich zur eher chaotischen inhaltlichen Ebene wie ein Gegenpol verhält. Während Oscar sich erinnert, sind die Sequenzen auf diese Weise kompositorisch einheitlich und bilden durch ihre Bildaufteilung eine Kategorie. Hingegen ist der Inhalt, der durch diese Erzählperspektive vermittelt wird, ganz anders beschaffen. Im Gegensatz zu den ersten dreißig Minuten des Films, die Oscars letzte Minuten seines Lebens vollständig und chronologisch zeigen, sind seine nun erfahrenen Erinnerungen teilweise ungeordnete Segmente. Bemerkenswert ist, dass Noé nur in diesem Erzählabschnitt bewusste, harte Schnitte einsetzt. Die Montage, die er im restlichen Film zu verstecken versucht, indem er die Übergänge zwischen zwei Sequenzen so sanft und unscheinbar wie möglich gestaltet, findet hier ihre ganz beabsichtigte Verwendung. Die Erinnerungssegmente sind kurz und trotz einer angedeuteten Chronologie nicht durchgehend dementsprechend geordnet; der Regisseur erlaubt sich vor allem gegen Ende dieses Abschnitts innerhalb der erinnerten Handlung Sprünge auf der Zeitachse. Die Wirkung des Schnitts zielt darauf ab, den traumartigen Zustand Oscars zu verdeutlichen und die Unruhe, die in seinem Geist herrscht, aufzuzeigen. In dieser Hinsicht sei auch besonders der Übergang von der vorhergehenden Erzählperspektive zu dieser zu erwähnen. Wenige Augenblicke vor dem Perspektivwechsel, nach ungefähr fünfundvierzig Filmminuten, ist Linda in der Garderobe des Clubs, für den sie arbeitet, zu sehen. Die Nachricht vom Tod ihres Bruders trifft sie wie ein Schlag. Während eine lange Einstellung sie auf einer Couch hockend und schluchzend zeigt, beginnt das Bild zu flackern. Ihr emotionaler Ausbruch löst den Übergang zu Oscars Erinnerungsphase aus. Das Flackern wird nach und nach stärker und besteht anschließend nicht mehr aus Einschüben eines schwarzen Bildes alle paar Sekunden für einen gerade so wahrnehmbaren Augenblick, sondern die Sequenz bleibt jetzt ohne Unterbrechung sichtbar und stattdessen wird in schnellem Takt zwischen ausgeleuchteter und kaum beleuchteter Aufnahme hin- und hergeschaltet. Die Kamera nähert sich langsam einer Lampe auf dem Tisch, gleitet förmlich in sie hinein und sobald das den kompletten Bildausschnitt füllende Licht wieder abnimmt, beginnen Oscars Erinnerungen. Dabei ist das angesprochene intensive Flackern anfangs immer noch sichtbar, obwohl der Film längst die Erzählperspektive gewechselt hat. Die Erinnerungssegmente sind zu Beginn dieses Abschnitts nur wenige Sekunden lang und weichen erst Minuten später Sequenzen, die Raum für kleinere Dialoge lassen. Für einen kurzen Zeitraum befindet sich Oscar – wie auch der Zuschauer durch die schnell wechselnden Sequenzen unter Dauerflackern – in einem unruhigen, unbehaglichen Zustand. Gaspar Noé macht so zum einen den Übergang zwischen den Erzählperspektiven und die Bedeutung einer emotionalen Reaktion als Auslöser kenntlich und unterstreicht auf der anderen Seite das ästhetische Leitmotiv von veränderten Bewusstseinszuständen und halluzinogener Wahrnehmung.

3. Die freie Kamera - Oscar zwischen Raum und Zeit

Nach gut eineinhalb Stunden der Filmlaufzeit nimmt die zweite Erzählperspektive mit der Oscars Erinnerung an seinen eigenen Tod ein Ende und geht über über in eine dritte, die sich zwar für eine Viertelstunde zwischen den ersten beiden Perspektiven angedeutet hatte, aber erst ab jetzt in Gänze in das inhaltliche Konzept eingebettet und bis zum Filmende beibehalten wird.

Diese Erzählperspektive zeichnet sich durch eine erneute subjektive Kamera aus, die die Sicht Oscars auf die ihn umgebende Welt wiedergibt. Der signifikante Unterschied zur subjektiven Kamera, die Oscars letzte Minuten vor seinem Tod zeigt, besteht darin, dass sie dieses Mal sämtliche Grenzen und Barrieren zu durchdringen in der Lage ist. Während Noé gut daran tat, im ersten Handlungsabschnitt für Menschen unnatürliche Wahrnehmungspositionen zu vermeiden, ist die Kamera hier nicht nur subjektiv, sondern scheinbar absolut frei. Die Visualisierung entspricht erneut dem Konzept, das dem Buch der Toten zugrunde liegt: Nach der Phase der Erinnerung, so erklärt Alex früh im Film, folgt eine Reise, bei der man von seinem Körper losgelöst alles sehen und hören, aber nicht mit der Welt kommunizieren kann. Bei diesem Akt des durch den Raum Schwebens stößt man auf verschiedenartige Lichter, die als Portale zu höheren Daseinsstufen fungieren, an deren ultimativem Ende die Reinkarnation steht. Die visuelle Umsetzung dieser ziemlich außergewöhnlichen Erzählperspektive meistert der Regisseur über den Einsatz komplexer Kranfahrten für die Außenaufnahmen und einer stangenförmigen Vorrichtung für die Innenaufnahmen, welche ermöglicht, die Kamera nach unten gerichtet auf Höhe der Zimmerdecke bewegen zu können, wie im Visual Effects Making Of der Firma BUF zu sehen ist, die für die Spezialeffekte von Enter the Void verantwortlich ist. Auch bei den Kranfahrten, bei denen Noé übrigens eigenhändig den Kran bediente, ist die Kamera in der Regel senkrecht nach unten ausgerichtet. Im Anschluss an eine solche Fahrt durch die Straßenzüge Tokyos, kann schließlich, wenn sich die Kamera auf eine Hauswand zubewegt, eine Innenaufnahme der exakt gleichen Geschwindigkeit und mit dem selben Blickwinkel folgen und den Effekt erzeugen, dass Oscar – denn seinen Bewegungen entsprechen die der Kamera – problemlos jede Materie durchdringen kann. Auf die Art wird die außerkörperliche Erfahrung erst als solche für den Zuschauer in einem ungeahnten Ausmaß erlebbar. Noés Ziel war eindeutig eine Erzählperspektive, die keinen Beschränkungen unterliegt. Diese Illusion gelingt ihm durch die aufwendigen Kameratechniken ausgesprochen gut. Gleitet Oscar nicht nur zwischen den Gebäuden hindurch, sondern einige Meter höher darüber hinweg, kommt naheliegenderweise ein Hubschrauber für die Aufnahmen zum Einsatz. Ein Schnitt findet natürlich immer dann statt, wenn gerade eine Wand durchdrungen wird, doch aufgrund der fließenden, ununterbrochenen Bewegungen, wirkt diese Erzählperspektive wie eine einzige lange Sequenz. Um den triphaften, psychedelischen Charakter einer solchen außerkörperlichen Erfahrung nicht außer Acht zu lassen, greift Noé auf verschiedene Spezialeffekte zurück. BUF erstellte dafür extra Drahtgittermodelle der Umgebung diverser Aufnahmen, die dann schließlich am Computer mit Filtern und digitalen Folien bearbeitet werden konnten, sodass Spiegelungen oder der Einsatz von Licht, der mit herkömmlicher, unbearbeiteter Beleuchtung nur schwer umsetzbar gewesen wäre, realisiert werden konnten. Wann immer Oscar eine Lichtquelle als Portal zur nächsten Daseinsstufe benutzt, bewegt sich die Kamera auf eben jenes Licht zu, bis es den gesamten Bildausschnitt füllt. Beim Austritt aus einem Lichtportal kommen mitunter Weitwinkelobjektive zur Verwendung, die die hypnotische Sogwirkung verstärken. Diese letzte Erzählperspektive, die Oscars freies Fortschreiten durch den Raum bis hin zur möglichen finalen Wiedergeburt dokumentiert, ist die technisch aufwendigste, aber auch die eindrucksvollste.

Die Bedeutung des Settings

Im Bezug auf seine Erfahrungen mit Halluzinogenen, spricht Gaspar Noé davon, dass die wahrgenommenen Lichter, Formen, Effekte stets einen Eindruck von nie zuvor gesehener Science-Fiction vermittelten. Teil seiner Vision war also auch ein Drehort für Enter the Void, der dieses futuristische Gefühl unterstützen oder gar erzeugen konnte. Für ihn kamen daher letztlich nur Hong Kong oder Tokyo in Frage. Ideen, die sein Skript in New York oder Las Vegas ansiedelten, verwarf er wieder. Seine Wahl fiel schlussendlich auf Tokyo, das mit seiner fortschrittlichen Architektur und dem neonbeleuchteten Nachtleben beste Voraussetzungen mitbrachte, dem Film seine einzigartige Ästhetik zu verleihen.

Fazit

Gaspar Noés Vorhaben war, einen Film über außerköperliche Erfahrungen und veränderte Wahrnehmung durch den Konsum psychoaktiver Drogen aus einer subjektiven Kamera heraus zu drehen. Mit Enter the Void gelang ihm ein Film, der die Symbiose beider Konzepte durch seine visuelle Gestaltung auf eine Weise vollbringt, die fordernd und faszinierend zugleich ist. Jede der drei Erzählperspektiven verfolgt einen Abschnitt auf Oscars Reise und verleiht dem entsprechenden Inhalt durch den kreativen Einsatz von Kamera und Montage eine ausdrucksstarke Form. So findet die Vermittlung von Konzepten wie dem tibetanischen Buch der Toten in erster Linie auf der visuellen, noch vor der inhaltlichen Ebene statt. Das Drogenmotiv zieht sich durch sämtliche Erzählebenen und wird vor allem durch in der Post-Produktion entstandene Visualisierungen immer wieder aufgegriffen und abschließend durch Setting und Farbpalette unterstützt.

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