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Dr. Beutel oder wie ich lernte, Kino zu hassen

16.09.2014 - 11:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Hört mal auf den Papa!
UCI Kinowelt / Philipp Weinbrecht
Hört mal auf den Papa!
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Wenn das Publikum schlimmer ist als das, was uns im Kino mitunter als Film angetan wird, dann ist die nächste Gruppentherapie nur eine Currywurst weit weg. Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu Kinofrust!

(Original vom 11.06.2013 | Kategorie "Speaker's Corner") - Dieser Artikel enthält schlimme Wörter und auf Grund seines zynischen Inhaltes sollte er von niemandem gelesen werden. Alle Figuren sind frei erfunden und in reale Handlungen eingebunden. Außnahmen sind die Regel.

Vorwort

Hallo. Ich bin der Beutel, ich bin schon lange ein Moviepilot und ich gehe nicht mehr gerne ins Kino. Das liegt aber weder an sinkender Blockbuster-Qualität oder steigendem 3D-Firlefanz, sondern daran, dass viele Kinobesucher irgendwie vergessen haben, was Kino eigentlich bedeutet – oder es nie gelernt haben. Wie immer gilt die Warnung, dass böse Wörter und Sarkasmus auftauchen können. Wen das stört, der kann ja seinen Account löschen.

Ohne Mampf kein K…ino!

Ich mag ja die kleinen Kinos, die Indie-Kinos. Die Orte, wo Perlen wie Her, Snowpiercer und sonstige Produktionen laufen, die man nicht in den großen Blockbusterhäuern zu sehen bekommt. Das Publikum dort weiß auch, was es erwartet und entsprechend entspannt sind meistens die Menschen, die man um sich hat. Sie sind bereit, in diese kleinen Kinos zu gehen, sie wollen den Film sehen, sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben: Handy aus, Klappe zu, Augen und Ohren auf. Doch irgendwann kommt eben auch der Moment, da will man den großen Blockbuster auf der Leinwand sehen. So richtig mit 3D, Super-Duper-Audio-4K-Schnickschnack und Co KG. Doch immer mehr und immer öfter werden diese Besuche zur Geduldsprobe.

So stehe ich da. Nichtsahnend in der Schlange zum Ticketkauf als hinter mir zwei – sagen wir aus evolutionärer Sicht – „Menschen“ auftauchen. Rein visuell würde ich sie jetzt mal „Yolo“ und „Swag“ nennen, wobei Swag der mit der zu eng geschnallten Mütze auf dem Kopf ist. Ihr wisst schon, diese Vakuumversiegelung. Auf jeden Fall findet dann folgende, original zitierte(!) Konversation statt, begonnen von Herrn Yolo:

„Ey, Digga.“ – „Yo?“ – „Ey, isch hab voll Hunga, nä?!“ – „Yo, lass ma noch hier American Diner, Alda!“ – „Ja ne, nä? Isch ess‘ so Kino!“

Hm. "Ich esse Kino!". Nun schwirrten mir zwei Optionen im Kopf herum. Option A) Er isst das Kino, was in Anbetracht von Yolos Größe, den Dimensionen des Gebäudes und der Beschaffenheit des Materials eher unwahrscheinlich war, oder B) Er isst im Kino. „Naja, wenn er von Popcorn satt wird?“, war mein naiver Gedanke.

Nach dem Kauf der Karten folgt dann für mich der obligatorische Gang zu den Snacks. Da ich kein großer Freund von Popcorn bin, habe ich es mir angewöhnt, eine 0,5er Pepsi und eine kleine Packung M&Ms Choco zu holen. Üblicherweise knabbere ich meist in der Werbezeit die halbe Packung leer bis mir schlecht ist, der Rest wandert in die Tasche für zu Hause. Wenn Freunde mit dabei sind wird ab und an mal in‘s Popcorn gegriffen, aber auch nur so lange der Film nicht läuft; dann ist bei mir Essstop. Wobei ich auch anmerken sollte, dass ich generell keine Probleme damit habe, das um mich herum geraschelt und geschlürft wird. Irgendwie gehört das ja auch zum „Erlebnis Kino“ dazu.

Auf jeden Fall standen dann hinter mir meine beiden Freunde Yolo und Swag, die auch in den gleichen Film wie ich gehen wollten. Als ich meine Bestellung abholte, verweilte ich noch kurz, um das Trinkröhrchen aus seiner Papierummantelung zu ziehen, als ich meinen Ohren nicht traute:

„Ey yo, isch nehm‘ so Currywurst und‘n Helles.“ – „Für misch auch, ey!“

Fassungslos dachte ich, ich hätte mich verhört, sah aber, wie der Mitarbeiter aus der Wärmestelle zwei Pappschalen mit Currywurst herauszog, dazu hohe Gläser mit Bier füllte – and guess what: natürlich saßen Bebop und Rocksteady eine Reihe vor mir: fressend, schlürfend und trinkend bis weit in den Film hinein, während meine Nase erfüllt war von currygeruch, Bier und (zumindest gedanklich) Napalm, das ich unkontrolliert auf beide werfen wollte.

Ich habe wie erwähnt nichts gegen Knabbereien und Geraschel, aber mal ganz unter uns: welcher hirnverbrannte Vollarsch kam auf die abgefuckte Scheissidee, Currywurst und Bier in offenen Gläsern zu verkaufen? Mir mag hier das Verständnis für die kulinarische Verköstigung fehlen, aber es ist ein absoluter Showkiller, wenn man nicht in den Film abtauchen kann, nur weil schmatzende Currywürste den Zutritt in cineastische Welten verhindern. „Ey, Yolo!“ – „Eyya?!“ – „DEINE MUTTER FRISST CURRYWURST IM KINO!“

I‘m not into movies, but when I do … I‘m drunk!

Nur einige Wochen später, der Film war Movie 43, das nächste einschneidende Ereignis. Auch wenn mir bewusst war, dass der Film eher suboptimal wird, hätte mich nichts auf der Welt auf diesen Abend vorbereiten können. Erneut die Warnung: All das ist genau so passiert; inklusive Klischees der Beteiligten.

Nachdem der Film nicht in dem kleinen Kino „um die Ecke“ lief, sondern in einem Partnerkino einige Orte weiter, welches gerade renoviert wurde und entsprechend aussah, war ich bereits vorher angenervt, dass vor lauter Krams im Vorraum die Schlange bis nach draußen stand, wo man bei -15° fast 20 Minuten warten musste. Immerhin war der Saal später warm und wenig besetzt, außer einem „Generation Smartphone“-Typ neben seinem Vater und einigen verstreuten Seelen. Der Film begann also und kurz darauf fing der Schwachkopf an, auf dem Handy herumzutippen: WhatsApp, Farmville, ZyngaPoker.

Ich dachte noch, ich träume, da ging (knapp 10 Minuten nach Beginn des Films) die Tür auf und eine Hand voll russischer Mitbürger torkelte in den Saal – telefonierend, lachend, quatschend. Nachdem sie in der ersten Reihe endlich Platz fanden und ich dem Handyman beibringen konnte, seine Kackbratzen vom Handy zu lassen, klingelte aus der Russenecke das Telefon. Lallend nahm der Mitbürger das Handy aus der Tasche und begann, lautstark zu telefonieren. Etwas zu sagen traute sich natürlich niemand, denn wer möchte sich schon mit betrunkenen 2x2 Meter Schränken anlegen? Nachdem das Gespräch beendet war, wurde noch ein paar mal laut gelacht bis der nächste Anruf folgte. Nachdem sich dieses Spiel eine knappe Stunde wiederholte, ging der Trupp evolutionärer Fehlentwicklungen aus dem Saal und verschwand.

Was war los!? Was für eine gescheiterte Existenz muss man sein – und die Beschissenheit des Filmes spielt jetzt keine Rolle – um besoffen in ein Kino zu stürmen, nur um zu telefonieren und anderen Menschen auf die Nüsse zu gehen? Warum tut man so etwas? Kommt das von Alkohol während der Schwangerschaft oder wurde da einfach nur ohne Hirn entbunden? Klar gibt es einige Filme, die ein gewisses Klientel anziehen, so wie lauter Kiddies mittlerweile Call of Duty spielen. Natürlich überrascht es mich nicht, das Filme wie New Kids Turbo den Kinobetreibern Probleme  bereiten. Aber echt jetzt? Movie 43? Wat is‘ los?! Das Geld bekam ich übrigens nie wieder, denn er (der Kassenmensch) "konnte ja nicht wissen, dass so etwas passiert". Danke auch.

DANN GEH HALT VORHER KACKEN, DU PRIMAT!

Was sich auch eingebürgert hat, ist krankhaftes zu spät kommen. Sagen wir, ein Film beginnt um 18:00 Uhr in einem normal-großen Kino mit Werbung, Eis & SchnickSchnack. Dann geht der eigentliche Film meist gegen 18:30 Uhr los. Da ich ein großer Fan von der Vorschau bin, versuche ich stets pünktlich da zu sein; beim Bund habe ich gelernt: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit.“ Gut, Kino ist keine Kaserne, aber dennoch beziehe ich mich gerne auf diesen Spruch. Platz suchen, Jacken verstauen, kurz bequem machen, einen Schluck trinken, Handy ausmachen: das „Ankommen“ dauert ein wenig. Bei längeren Filmen gehe ich meist in der Eis-Verteil-Pause nochmal brav pinkeln, damit ich quasi sämtliche Bedürfnisse für die nächsten 2 - 2.5 Stunden ad acta legen kann.

Jetzt ist es ja so, dass man durch diverse Umstände natürlich etwas später kommt. Stau, Parkplatzsuche, kurz noch die Welt retten. Allerdings hat es sich irgendwie eingebürgert, notorisch NACH dem Film den Saal in großen Gruppen zu betreten; natürlich mit Popcorn, Nachos & Co. in solchen Mengen, dass man halb Simbabwe durchfüttern könnte. Gleichzeitig ist das auch der Grund für die Verspätung – statt einfach etwas früher anzukommen und sich einzudecken kommt man eben kurz vor Beginn erst auf die kluge Idee, dass man ja ganz überraschend noch verköstigt werden mag. Vor allem der Beginn eines Films, der bei mir oft entscheidet, ob ich ihn gut finde oder nicht, ist eine kritische Zeit. Ich will in die Leinwand tauchen und mich komplett hingeben, vor allem bei etwas schwierigeren Filmen. Wenn der Anfangs allerdings mit herumlaufenden Menschenmengen und Gequatsche gestört wird, hab‘ ich einfach keine großartige Lust mehr. Den Gipfel der Dreistigkeit hatte ich dann bei dem Besuch von Drive, der bereits einige Minuten lief. Wie zu erwarten, war der (kleinste) Saal fast leer; vor mir saßen einige Leute und in der Mitte des Saals auch noch vereinzelte Personen. Plötzlich ging die Tür auf und ein Pärchen kam herein, das sich zielstrebig auf die Sitze vor mir (die bereits besetzt waren) zubewegte. Was dann folgte, war so unglaublich, wie unnötig: es begann die Diskussion, wer denn jetzt da sitzen dürfte, weil das bereits sitzende Paar die Reihe C mit D verwechselt hatte.

Statt sich einfach einen freien Platz nebendran zu schnappen, von denen es hunderte gab, begann eine Diskussion wer denn jetzt das Recht hat, genau DA zu sitzen. Ich dachte wirklich, die wollen mich verarschen – ich wartete nur noch darauf, dass jemand ein Handtuch zieht und den Stuhl für sich reserviert. Nach einigen Minuten platzte mir der Sack und mir entwich ein „Entweder ihr haltet jetzt die Schnauze oder ich kack' euch auf die Sitze, damit da gar keiner mehr sitzt!“ in die verdutzen Gesichter, während die restlichen Zuschauer applaudierten und sich das Problem plötzlich ganz schnell selbst löste.

Apropos Kacken: wenn kurz nach Filmbeginn der ein oder andere nochmal seine Blase leert, ist das nicht weiter verwerflich; wenn allerdings eine Gruppe von Freunden nach der Rückkehr des Kollegen darüber redet, dass man doch hätte nochmals „daheim einen Abseilen“ sollen, während vorne bei Jack in Love gerade Philip Seymour Hoffman seine Performance abliefert, könnte ich wirklich richtig gewalttätig werden. Wieso gibt‘s eigentlich für jeden Mist eine Regelung oder eine Lizenz die man benötigt, aber nicht für wichtige Dinge wie „Elternführerschein“ oder eine „Kinolizenz“: „You must be this intelligent to enter“ oder sowas in der Art. Oder braucht es wirklich statt einer „Handy aus“ Werbung einen „Wart ihr alle schön Kacken?“-Spot?

Der Trend ist beängstigend

Natürlich ist nicht jeder Kinogang ein Desaster, aber es ist erschreckend, in welcher Häufigkeit in meinen letzten Besuchen wahre Armadas an geistigen Tieffliegern unterwegs sind. Dass Mainstream-Blockbuster mit einem Anspruch von Transformers immer größere Mengen an Friedberg/Seltzer/Bay-Verehrern in die Lichtspielhäuser locken, ist natürlich einerseits erfreulich, weil mehr Menschen das Medium „Film“ entdecken, aber auf der anderen Seite ist es auch unfassbar, wie selbstverständlich manche Zuschauer es handhaben, sich wie der letzte Flachwichser zu benehmen. Diskussionen über den Stuhlgang, Fressorgien im Saal, als wäre es das letzte Abendmahl, besoffene Besucher oder Menschen, die alle paar Minuten auf ihre beleuchtete Uhr schauen müssen – es scheint immer schwieriger für viele, einfach mal 2 Stunden etwas anzuschauen, ohne mir und anderen Filmfreunden gehörig auf den Sack gehen zu müssen. Exponentiell zu diesen Erfahrungen steigen hier auf Moviepilot dann auch die Anzahl der Kommentare zu Filmen, wie „Ey, hamma FIlm, alda! Und Milla isch so die geile Alte, man! 10.0“.

Mittlerweile ist meine Lust auf Kino auf einem Lebzeittief angelagt; ich freue mich immer mehr auf die Heimkino-Auswertung und genüssliche Abende in Ruhe. Da esse ich dann gerne auch mal eine Pizza oder Spaghetti dazu, aber auf meiner Couch in meinen vier Wänden darf ich das dann auch mal raushängen lassen – ich störe damit immerhin niemanden.

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