Die Top 250 der besten Regisseure ist ein Trauerspiel

15.05.2017 - 09:20 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Euzhan Palcy bei Dreharbeiten zu Weiße Zeit der Dürre
Metro-Goldwyn-Mayer
Euzhan Palcy bei Dreharbeiten zu Weiße Zeit der Dürre
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Den ganzen Mai präsentieren wir euch die moviepilot-Top 250 und sind mittlerweile schon in den Top 100. Doch wenn wir uns diese genau ansehen, fällt auf, dass da etwas nicht stimmt. Und darüber müssen wir reden.

Voll die Clickbait-Überschrift. Oder? Keine Sorge, die Diversity-Quotentante wird jetzt nicht einen langen Text darüber schreiben, wie schlecht die moviepilot-Liste der 250 beliebtesten RegisseurInnen der Community ist. Denn sie ist, filmisch gesehen, nicht schlecht. Sie ist auch nicht überraschend in irgendeiner Art, außer vielleicht, dass ihr als Community ein interessante Tendenz zum Genrekino habt, vor allem aus dem asiatischen Bereich, der in den großen Top 250 von IMDb etc. nicht so stark vertreten ist. Abgesehen davon ist die Kongruenz mit dem, was der Filmkanon international für das Beste hält, ziemlich hoch. Ihr habt Geschmack und kennt euch aus!

Und doch sollte eine Sache traurig machen. Denn wenn ich die gesamte Liste durchgehe und alle Personen abziehe, die a) männlich und b) weiß sind, dann bleiben ganze 37 von 250 übrig. Hier ist die genaue Aufteilung:

  • 5 weibliche Regisseurinnen
  • 26 asiatische Regisseure, davon 0 Frauen
  • 3 lateinamerikanische Regisseure , davon 0 Frauen
  • 3 afroamerikanische Regisseure, davon 0 Frauen

Das ist wirklich wenig. Liegt das an euch? Daran, dass die moviepilot-Community 64% männlich ist? Nein, nicht wirklich. So ist das nun einmal mit der Kanonisierung. Was in die Geschichte eingeht und als das Beste, Wichtigste etc. gilt, ist vor allem das, was in der breiten Masse angekommen ist und von den Big Playern produziert wurde. Die Gewinner schreiben die Geschichte, die von Repräsentation bestimmt wurde und diese dann im weiteren Verlauf selbst bestimmt. Es ist also kein Wunder. Dafür muss man einfach in der Filmgeschichte herumstöbern und wird sehr schnell Geschichten finden, wie Minoritäten, egal ob Frauen, Juden, AfroamerikanerInnen etc. schnell und systematisch aus Industrien ausgegrenzt werden, die profitabel sind. Und wenn sie es dennoch schaffen, sich durchzusetzen, vergisst sie die Geschichte sehr gern beim Historisieren der großen Erfolgsgeschichten. Hier ein Beispiel ganz vom Anfang der Filmgeschichte.

Kennt ihr Alice Guy-Blaché? Die Wenigsten können hier mit einem Ja antworten. Sie war die erste Regisseurin, eine Pionierin des Stummfilms, Produzentin, Darstellerin und sie war es, die den allerersten fiktionalen Film geschrieben und gedreht hat. The Cabbage Fairy stammt aus dem Jahr 1895 oder 1896 und zeigt eine Blumenfee, die Kinder aus Kohlköpfen zaubert.

https://www.youtube.com/watch?v=CYbQO6pwuNs


Damit ist The Cabbage Fairy auch der erste Fantasyfilm. Die inzwischen zum Standard gewordene Filmgeschichtserzählung spricht all diese Erfindungen allerdings einem anderen zu: Georges Méliès. Vielleicht hat Alice Guy-Blaché noch einen Rekord aufgestellt: Es kann gut sein, dass sie die Erste in der Filmgeschichte war, deren Errungenschaften ignoriert und anderen zugesprochen wurden. Aber sie ist bei Weitem nicht die Letzte.

Das macht eindrücklich klar, wieso eure Top 250 so aussieht, wie sie es tut. Ich möchte dringend noch einmal betonen, dass ich keinem der RegisseurInnen, die hier vertreten sind, Talent abspreche. Sie sind nicht schuld, sie sind aus vielen verschiedenen Gründen einfach die Gewinner einer Geschichtsschreibung, die viel mit Geld, Macht, Repräsentation, Mainstream und Politik zu tun hat und all diese Mittel favorisieren weiße Männer. Der Kanon ist also nicht schlecht oder falsch, er ist schlichtweg unvollständig. Und es ist schwer, etwas dagegen zu tun, außer vielleicht, es überhaupt erstmal zu bemerken und sich die Fragen zu stellen, was eigentlich zwischen den Zeilen passiert und wie es überhaupt dazu kommt, dass genau diese 250 RegisseurInnen die Auserwählten sind.

Danach folgt idealerweise ein nächster Schritt. Wie wäre es mit einer Herausforderung, all diese Leerstellen zu betrachten und ein wenig aufzufüllen? Vielleicht haben ein paar von euch einfach Lust, ihren eigenen Kanon zu erweitern. Ich selbst habe mir in den letzten Woche folgende Challenge gestellt, Filme dazu gesucht, gefunden und gesehen. Es hat sich extrem gelohnt:

Die 14-Tage-Mehr-Diversity-Challenge

Aufgabe: Suche einen Film mit den unten stehenden Parametern. Wie einfach ist es überhaupt, einen zu finden? Wie gut kommt man an eine Kopie ran, die man sich anschauen kann? Wie war der Film, vor allem, wenn man ihn unter der gegeben nicht-kanonischen Prämisse sichtet?

  • Ein Dokumentarfilm von einer Frau
  • Ein Dokumentarfilm von einem nicht-weißen Mann
  • Ein Film, der von einem/einer UreinwohnerIn gemacht wurde
  • Ein Horrorfilm von einer Frau
  • Eine Rom-Com von einem nicht-weißen Mann
  • Ein afrikanischer Sci-Fi-Film
  • Ein lateinamerikanischer Fantasy-Film
  • Ein Stummfilm von einer Frau (Alice Guy-Blaché zählt nicht)
  • Ein Film von einer afroamerikanischen, lesbischen Frau
  • Ein Film von einem asiatischen, schwulen Mann
  • Ein Film von einer trans*Person
  • Ein Film von einem Regisseur/Regisseurin mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung
  • Ein Film von einem Regisseur/einer Regisseurin unter 18
  • Ein Film von einem Regisseur/einer Regisseurin über 90


Also, macht ihr mit? Dann postet eure gefundenen Filme in den Kommentaren als Inspiration für uns alle. Ich werde dort ebenso meine gesamte Liste posten.

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