Der Mensch am Ende der Menschheit: "The Last of Us"

11.09.2014 - 13:30 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Zwei in einer Welt hinter dem Abgrund
Square Enix
Zwei in einer Welt hinter dem Abgrund
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Der Mensch am Ende der Menschheit: Warum "The Last of Us" ein herausragendes Spielerlebnis ist

(Ich bin so frei und teste das neue Feature mit einem älteren Text von meinem Blog zu einem der beeindruckendsten Spielerlebnisse der letzten Jahre - durchaus in Vorfreude zum Start von gamespilot)

Wenn die Apokalypse ausbricht, fürchte nicht sie. Fürchte den Menschen in ihr.

Was der wirkliche Horror in The Last of Us ist, wird schon am Ende des atemlosen Prologs mehr als deutlich. Die nachfolgenden Stunden in einer von einem mutierten Pilz nahezu völlig entmenschlichte Welt, in der das blanke Überleben immer öfter über jegliche Moral gestellt wird, bestätigen das. In bester Romero-Tradition sind die nicht-infizierten Feinde letzten Endes die eigentlichen Feinde, eine Variable, die in den meisten Fällen negativ ausfällt. Was das für das Ende der Geschichte bedeutet, gehört zum Mutigsten, was Spielegeschichten jemals geboten haben - und hinterlässt einen Eindruck, wie ihn nur die besten Spiele hinterlassen können.

Bis es allerdings so weit ist, gilt es vier Kapitel lang zu überleben - gemeinsam. Joel (und den Grund seiner Verbitterung) kennen wir bereits aus dem Prolog, die ihm nach wenigen Spielstunden zugewiesene Ellie müssen wir (und er) noch kennenlernen. Der Schmuggler soll das Mädchen zu einer Rebellengruppe bringen, zunächst widerwillig, doch die Lieferant-Ware-Beziehung entwickelt sich rapide - die Postapokalypse schweißt zusammen. Die Situation ist bekannt, im Kontext eines Spiels aber wahrscheinlich am besten aufgehoben. Erst nach Ausbruch der Seuche geboren, ist Ellies Blick auf die Welt jenseits der gesicherten Zone eine anderer als der Joels und des Spielers, und sie schweigt nur ungern über ihre Eindrücke. Ihre kindliche Faszination für viele Kleinigkeiten, die man als Spieler sonst kaum wahrgenommen hätte, lässt die ohnehin sehr beeindruckende Spielwelt noch lebendiger, noch gehaltvoller wirken. Selten war eine NPC-Begleiterin erzählerisch eine solche Bereicherung - wobei Ellie im Notfall auch ordentlich austeilen kann, sobald Joel ihr genug ver- und zutraut und ihr eine Waffe in der Hände drückt.

Dass sie - wie alle anderen Zwischenbegleiter auch - von den Infizierten völlig ignoriert wird, solange man selbst unbemerkt bleibt, ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil es im ansonsten durchgehend schmerzhaft glaubwürdigen Spiel den einzigen Atmosphärekiller darstellt, wenn die Kollegen um die Infizierten herumtollen und diese beinahe umrennen und jene keine Reaktionen zeigen, bevor sie nicht den Spieler selbst erblicken oder hören. Segen, weil es andersrum dazu führen würde, dass man aufgrund von permanenten ungeplanten und unkontrollierbaren Entdeckungen seinen Controller mehr als einmal gegen die nächste Wand donnern würde.

Aber das war es wohl auch mit den negativen Punkten und man fühlt sich beinahe schlecht, wenn man überhaupt von einer solchen Kleinigkeit schreibt. The Last of Us ist in jeder Hinsicht so herausragend, dass es einem sprichwörtlich den Atem verschlägt - immer und immer wieder. Wisst ihr noch, wie es war, als man das erste Mal Resident Evil 4 gespielt hat und das Spiel es schaffte, in jedem weiteren Kapitel jedes Mal noch eine Schippe draufzulegen, selbst wenn man dachte, dass "mehr" gar nicht ginge? Hier ist dieses Gefühl, dieses Erlebnis wieder da - nur mit einer (weit) besseren Story. Die Trümmer der Zivilisation sind überraschend abwechslungsreich, visuell wie atmosphärisch, und wem am Anfang vom dritten Kapitel nicht der Atem stockt, muss wohl selbst dem Pilz zum Opfer gefallen sein. So wie das Gameplay zwischen nervenzerreißenden Stealth- und Actioneinlagen mit ruhigen Erkundungssequenzen wechselt, so wechselt auch die Szenerie von purer Tristesse zu purer Schönheit, von unüberschaubaren Weiten zu engen, dunklen und staubigen bis überfluteten Gängen, in denen man selbst zu ersticken droht. Perfekt ausbalanciert, ist The Last of Us nie zu lange zu ruhig oder zu nervenaufreibend. Man könnte es auf einen Rutsch durchspielen und zwischendurch nie das Gefühl haben, man hätte erstmal "genug" davon - so abwechslungsreich und spannend ist das Ganze.

Das Kampfsystem ist recht simpel, aber überaus effektiv. Meist versucht man zunächst, die Gegner im Stillen zu erledigen - glücklicherweise kann Joel diese auf eine bestimmte Entfernung hören, sprich, auch durch Wände erspähen (man denke an den Scanmodus aus den Arkham-Spielen, nur reduzierter). Wird man entdeckt, bricht die Hölle los und The Last of Us wird zu einem Deckungsshooter mit einigen Nahkampffeatures, ähnlich wie in Naughty Dog's Uncharted-Reihe. Was die Gefechte besonders intensiv macht, ist die Tatsache, dass jeder Treffer - ob eingesteckt oder ausgeteilt - spürbar gemacht wird. Wird der Spieler von einer Kugel erwischt, ist er für kurze Zeit bewegungsunfähig, wird man von einer bestimmten Infiziertenart erwischt, stirbt man für gewöhnlich sofort, und die Lebensleiste füllt sich nicht von selbst wieder auf, sondern muss durch rare Medipacks wiederhergestellt werden. Dieses (gar nicht selbstverständliche) Gefühl der Verletzlichkeit, kombiniert mit dem permanenten Mangel an Munition und Ressourcen, macht einen großen Teil der Stimmung und Sogwirkung aus - und lässt wieder einmal schöne Erinnerungen an Resident Evil 4 aufkommen. Die oftmals krasse Brutalität (inklusiver platzender Köpfe) unterstützt diese - doch reiner Selbstzweck scheint der Gore hier nicht zu sein. Zwar ist weniges befriedigender, als dem letzten anstürmenden Banditen mit einer Ladung Schrot zu einem kleinen Flug zu verhelfen - doch ist auch weniges ekliger, als danach seine Leiche mit aufgeplatztem Bauch und heraushängenden Gedärmen auf dem Boden liegen zu sehen.

Man merkt: Dieses Spiel macht keine Gefangenen, weder in der Darstellung noch in der Erzählung. Dass auch diese zu den spannendsten und intensivsten ihrer Kunstform gehört, macht The Last of Us endgültig zu einem der - Pathos, Pathos - besten Spiele aller Zeiten. Die letzen von uns, das sind die Menschen, die versuchen, in einer durchweg feindlichen Welt zu bestehen, und denen dies bei weitem nicht immer gelingt. Die letzten von uns, das sind die ruchlosen Banditen und die selbstlosen Helfer, die Polizisten, die eine Ordnung in einer kaputten Welt wahren wollen, und die Rebellen, die nicht glauben, dass die Welt irreparabel kaputt ist. Das sind die Verzweifelten und die Hoffnungsvollen, die Mordenden und die Rettenden. Das sind Joel und Ellie und das sind für einige Stunden - die sich rückblickend eher wie Tage und Monate anfühlen, so gefüllt und gefühlt sind sie gewesen - auch wir. Der Mensch und die Menschheit. Was diese Worte bedeuten, darf am Schluss jeder selbst erleben.

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