Das nächste Wunderwerk der Studio Ghibli Collection

20.05.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Meine Nachbarn die Yamadas
Universum Film
Meine Nachbarn die Yamadas
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Meine Nachbarn die Yamadas wirft einen verschrobenen Blick auf kleinbürgerliche Eigenheiten und zählt noch immer zu den unterschätzten Filmen von Studio Ghibli. Wir verlosen drei Blu-rays zur deutschen Erstveröffentlichung in HD.

Manchmal genügen wenige Bilder, um sich in einen Film zu verlieben, und Produktionen des japanischen Animationsstudios Ghibli brauchen dafür sogar meist nur ein paar gezogene Striche. Meine Nachbarn die Yamadas beginnt mit Kritzeleien, die eine Kinderstimme als Sonne, Mond, Heuhaufen und schließlich Erde verstanden wissen will. Buchstäblich zeichnet sich daraus ein menschlicher Kopf ab, der diese Welt zur Stecknadel geformt im Haar trägt. Aus kahlem Nichts nehmen seine rudimentären Umrisse Gestalt an, beginnen bleiche Farben die Bilder auszufüllen. Der Kopf gehört Oma Yamada, sagt die Kinderstimme, während das kahle Nichts hinter sanften Linien verschwindet. Sie haben, wenn auch nur schemenhaft, tatsächlich eine Welt zum Vorschein gebracht, deren Formen sich aus der Perspektive ihrer Figuren ergeben: "Die ist aber schön", schwärmt Oma Yamada beim Blick auf die Auslage eines Blumenhändlers, und meint nicht etwa dessen neueste Chrysanthemen, sondern eine kleine Raupe, die auf ihren Blättern sitzt. Sichtbar gemacht durch wenige, verliebenswürdige Striche.

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Ein individueller figuraler Blick formt die Welt dieses Films, der darüber die Beschränkung seines Animationsstils erklärt: Zu sehen ist, was zu sehen wichtig ist – und was das Bild gerade so zu einem Bild macht. Die (digitale) Zeichnung konzentriert sich folglich aufs Bildzentrum, das lediglich entscheidende Details erkennbar werden lässt. Hintergründe offenbaren nichts als weiße Flächen, in die sich Linien und Ränder verlaufen, selbst wesentliche Details geben nur angerissen preis, was offenbar keines Striches zu viel bedarf. Der interessante Effekt dieser Reduktion ist ein in seiner Schlichtheit bestechend schöner Film, der Animation nicht als pittoresken Weltentwurf, sondern als Medium visuell- und erzählästhetisch entscheidender Bildinformationen versteht. Der Versuch, den seit 1991 in der zweitgrößten Tageszeitung Japans  erscheinenden Yonkoma-Manga  "Nono-chan" (ursprünglicher Titel: Meine Nachbarn die Yamadas) in bewegte Bilder zu übersetzen, bricht daher mit dem von Ghibli selbst gepflegten Zeichenstil und dessen Lust an fantasievollen Verzierungen.

Narrativ scheint Regisseur und Drehbuchautor Isao Takahata ebenfalls an einer vorlagengerechten  Adaption interessiert, die Konventionsbrüche zwingend macht. Die vom Regeldrama geschulte Dramaturgie des klassischen Zeichentrickfilms tauscht er gegen eine Vignetten-Struktur ein, deren Episoden sich an den Vier-Bilder-Strips des Manga-Künstlers Hisaichi Ishii orientieren (und von Überschriften und pointierten Haikus  gerahmt werden). Die gelegentlich mit surrealen Traum- und Zwischensequenzen verschalteten Alltagsausschnitte der Familie Yamada beziehen ihre Komik jedoch nicht aus dadaistischen Spielereien, man muss sie sich ganz im Gegenteil als eine Art Ghibli-Version bürgerlicher Lustspiele vorstellen. Mutter Matsuko ist eine leicht frustrierte Hausfrau, die sich mit Ehemann Takashi um Essen, Fernsehprogramm und andere Feierabendaktivitäten streitet. Die Kinder Nonoko und Noboru treiben ihrerseits Unsinn oder werden in die elterlichen Turbulenzen verwickelt. Und Großmutter Shige kommentiert – wenn sie nicht gerade selbst für einen schief hängenden Haussegen sorgt – meist schnippisch das familiäre Geschehen.

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Weniger intelligenten Filmen wäre zu diesen Figuren kaum etwas eingefallen, das über piefigen Geschlechterulk oder komödiantisch verkleideten Familienschmalz hinausgeht. Die beschaulichen Einblicke ins Leben der Yamadas aber gewinnen bei Isao Takahata, der Ghibli seit 1985 mit Hayao Miyazaki leitet und stets die etwas abseitigeren Produktionen des Studios betreute, einen wunderbar dialektischen Witz. So lassen die Eltern ihre Tochter versehentlich im Einkaufszentrum zurück und schlussfolgern daraus eine Entführung, während das Mädchen überzeugt ist, seine Familie habe sich verlaufen. Oder geht Oma Yamada ohne Tasche einkaufen, bemerkt aber das Versäumnis bei ihrer Rückkehr nicht, weil sie auch das Einkaufen selbst vergessen hat. Intergenerationelle Konflikte und Kommunikationsschwierigkeiten verhandelt Takahata dabei mit einem tiefen Verständnis für die Verrücktheiten seiner Figuren. Auf liebevolle Art stehen sie neben sich und der Welt, gibt ihr tägliches Scheitern den Blick fürs Wesentliche frei: Nicht prachtvollen Chrysanthemen, sondern zurückgezogenen Raupen gilt die ganze Liebe dieses im Ghibli-Kanon noch immer viel zu unterschätzten Films.

Meine Nachbarn die Yamadas erscheint am 20. Mai 2016 erstmals auf Blu-ray.

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