Das Filmjahr 2016 war eine Katastrophe

14.12.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Deadpool: mit 2,7 Millionen Kinobesuchern beliebtester Superheld der Deutschen
20th Century Fox
Deadpool: mit 2,7 Millionen Kinobesuchern beliebtester Superheld der Deutschen
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Das zurückliegende Filmjahr hätte kaum schlechter sein können, zumindest Hollywood produzierte selten so viel Blödsinn und Uninteressantes wie in 2016. Wer Kino liebt, darf es nicht Superhelden und sprechenden Tieren überlassen.

Ob 2016 das Jahr sei, in dem Filme ihre Bedeutung verloren hätten, fragte Wired  vergangenen August. Haben sie natürlich nicht, wenngleich von einem Gewinn auch keine Rede sein kann. Mir ist klar, dass auch die fast 200 aktuellen Filme, die ich in diesem Jahr gesehen habe, gerade mal ein Ausschnitt dessen sind, was in deutschen Kinos, auf VoD-Plattformen und Filmfestivals verfügbar gemacht wurde. Jede Bewertung des Kinojahres ist durch eine individuelle Auswahl beschränkt, wir alle schauen in der Regel nur Filme, die uns interessieren. Das war bei mir nicht anders. Weshalb ich es umso enttäuschender finde, dass mir selbst das mutmaßlich Gelungene oft ziemlich misslungen erschien. Es gibt jedes Jahr zu viele schlechte und zu wenige gute Filme, doch 2016 fehlten die Gegengewichte. Manchmal genügt ein phänomenal schöner Film, um zehn oder zwanzig phänomenal hässliche vergessen zu lassen. Kann ein absolutes Meisterwerk absoluten Müll rechtfertigen. Ist das Erbärmliche im Angesicht des Erbaulichen nicht von Bedeutung. So ging es mir in diesem Jahr aber selten, jedenfalls mit Filmen aus Hollywood.

Misslungen waren 2016 vor allem die Blockbuster. Es sollte eigentlich kein Ding der Unmöglichkeit sein, zielgruppengerechtes und einträgliches Kino mit dennoch wenigstens etwas Köpfchen zu machen – Massenunterhaltung, die maximal gefällig und trotzdem nicht maximal doof ist. Das haben doch zumindest auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer noch eine Handvoll Effektspektakel und Sommerhits irgendwie hinbekommen, ob gewollt, zufällig oder schlicht deshalb, weil es gar nicht möglich ist, ausnahmslos Blödsinn zu produzieren. Aber was ist das Blockbuster-Kino 2016, das sich ja auf einen ziemlich klaren Nenner, nämlich Disney (und damit Marvel, Pixar, Lucasfilm), bringen lässt, anderes als ausnahmslos Blödsinn? Wo es eigentlich nur noch Disney-Filme gibt und Filme, die gern Disney-Filme wären: DC und sein "Extended Universe", Warner Bros. und ihre Harry-Potter-Spin-offs, Universal und die reanimierten, bald wie Superhelden miteinander verzahnten Horrorfiguren von anno dazumal ("Universal Monsters shared universe"). Alles ist Franchise. Und was nicht Franchise ist, muss Franchise werden.

Ich mache mir da keine Illusionen . Wenn Hollywood glaubt, das Phänomen der sogenannten TV-Qualitätsserien mit Filmen beantworten zu müssen, die selbst nur noch Serien sind (natürlich ohne Qualität), dann ist dieses Blockbuster-Kino der "Phasen" statt Staffeln vielleicht selbst nur eine Phase. Mich nerven darin nicht einmal die vielen Sequels, mich nerven die vielen schlechten Sequels. Ihnen ist Eigen- und Irrsinn, sind Überraschungen und Formspiele systematisch ausgetrieben. Die Strategie der großen Studios, viel versprechende Filmemacher an wenig versprechende Projekte zu setzen, hat ein Erfüllungsgehilfenkino ohne Raum für Unerwartetes entstehen lassen. Dort toben sich die nach ein, zwei Independent-Überraschungserfolgen rekrutierten Talente leider nicht hemmungslos aus, sondern liefern braven Dienst nach Vorschrift (und werden, sollte ihre Arbeit doch mal eine individuelle Handschrift wie die von Josh Trank tragen, ganz schnell wieder abgezogen). Blockbuster-Kino mit wenigstens etwas Köpfchen ist hier mittlerweile auch als Zu- oder Unfall kaum noch denkbar.

Im letzten Jahr hat es mit Mad Max: Fury Road einen solchen Zu- oder Unfall gegeben, einen Megafilm also, der auch tatsächlich mega war. Gewiss werden Altmeister wie George Miller, so sie denn überhaupt noch randürfen, ebenfalls Zugeständnisse machen, doch formbar sind sie nur bedingt. Ihr Stil ist durchsetzungsfähig, das System gestattet es ihnen, kommerzielles Kino zu künstlerischen Bedingungen zu machen. Diese Restspuren eines schon mal wesentlich aufregenderen Blockbuster-Markts sind in 2016 fast gänzlich verwischt. Steven Spielberg, der unverwechselbarste aller Großfilmemacher, drehte mit BFG - Big Friendly Giant einen der heftigsten Flops seiner Karriere. Das ist bezeichnend. Es bestätigt die aktuellen Studiotrends, aber viel schlimmer noch: Es bestätigt ein Kino, das zwar im Spielberg-Pastiche aufgeht, aber für Spielberg selbst keinen Platz mehr hat. Nicht für die franchiseuntaugliche Verfilmung eines Kinderbuchs, die leise Töne anschlägt. Und nicht für ein Kino, das naiv und liebevoll, formbewusst und mit einem Urvertrauen in seine erzählerischen Fähigkeiten gesegnet ist. Dagegen sahen alle anderen Blockbuster 2016 alt aus.

Das klingt vielleicht nach Verklärung, eigentlich aber ist es nur Ratlosigkeit. Ich weiß nicht, was es braucht, um Captain America: Civil War zu mögen, mir jedoch fehlt es definitiv. Die Vorstellung, dass Teenager aus Doctor Strange spazieren und das für großes Kino halten, bereitet mir Unbehagen. Der Gedanke an eine Generation, für die Deadpool einmal der definierende Film sein wird, lässt mich zusammenzucken. Offenbar sind nicht nur meine bevorzugten Filmemacher ziemlich alt, ich selbst bin es (stimmt übrigens nicht). Aber wie auch könnte ich nicht frustriert sein, wenn ebendiese Filmemacher zunehmend größere Schwierigkeiten bekommen, ihre Projekte zu finanzieren, wenn also zum Beispiel der eigentlich unverzichtbare David Cronenberg endgültig die Schnauze voll hat . Mid-Budget-Produktionen – Filme, die nicht 3 oder 300, sondern 30 Millionen Dollar kosten – sind so gut wie abgeschafft. Mit ihnen ist ein Kino verschwunden, das vieles von dem erträglicher machen würde, was jetzt so unerträglich ist (äußerst lesenswerter Text zum Thema ).

Hollywood, das ist zurzeit nicht mehr Traum-, sondern Ernüchterungsfabrik. Oliver Stone, ganz bestimmt keiner meiner Lieblingsfilmemacher, aber eben eine echte Hollywood-Institution, musste seinen Snowden mit europäischen Geldern im Ausland drehen – vor ein paar Jahren wäre das noch ganz selbstverständlich ein Warner-Film gewesen, nun ist er angeblich zu heikel. Kristen Stewart, die beste Hollywood-Schauspielerin unserer Zeit, holt sich ihre verdienten Filmpreise nicht in Los Angeles, sondern Paris ab, wo sie 2016 bereits das zweite Mal mit Olivier Assayas zusammen arbeitete. Den Unruhestifter Paul Verhoeven hat es schon vor Jahren wieder zurück nach Europa verschlagen, kein US-Studio würde es heute überhaupt in Erwägung ziehen, einen Film wie Elle zu produzieren. Letzte Woche saß dann auch noch Wolfgang Petersen in der NDR-Talkshow. Auf die Frage, warum er jetzt seinen ersten deutschen Film seit 1984 gedreht hat, antwortete er sinngemäß, die "große Idee der Superhero-Movies" wäre nicht seine Idee von Kino. Dafür macht er jetzt Komödien mit Til Schweiger und Matthias Schweighöfer. Danke, Hollywood.

Der deutsche Film übrigens, das zeigt auch unsere Auswertung der Community-Stimmen, erlebte 2016 einen Höhenflug. Alle lieben Toni Erdmann und fast alle Vor der Morgenröte, Herbert, Frantz, Tschick, Wild. Der Rest schien mir zumindest lebhaft diskutiert (24 Wochen), verteidigt (Die Mitte der Welt) oder auf interessante Art in die Tonne getreten worden zu sein (Ein Hologramm für den König). Viele sprachen auch über Der Bunker und Der Nachtmahr, zwei sehr eigenwillige Genrefilme, zu denen ich aus Prinzip nichts Schlechtes schreiben möchte (sehr deutsch von mir). Cinephile haben die jüngsten Fernseharbeiten von Dominik Graf und Christian Petzold geschätzt, für die meinerseits das Gleiche gilt. Aufsehen erregten das "TV-Event" Terror - Ihr Urteil (mit Marktanteilen von über 20 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe) sowie der tatsächlich recht brauchbare TV-Thriller Auf kurze Distanz. Die Deutschen mögen wieder deutsche Filme und der Oscar winkt. Aber deshalb müssen wir auch nicht gleich Toni Erdmann sein .

Auf die hiesigen Kinojahrescharts  hatte diese Begeisterung sowieso wenig Einfluss. Der deutsche Kinobesucher schaute, was auch der internationale  gern sah, von Extrawurst und Höhenflug keine Spur. Bemerkenswert ist lediglich die besondere deutsche Vorliebe für sprechende Tiere, die dazugehörigen Filme füllen hierzulande die ersten vier Jahresplätze komplett aus (wenigstens Familien gehen demnach noch regelmäßig ins Kino). Dass Superhelden bei den Deutschen nicht recht ziehen wollen, könnte interessant sein, ist es aber nicht. Sie ignorieren diese Filme im Vergleich zum US-Publikum , weil sie sie immer ignoriert haben, sogar der weltweite Erfolg von Batman juckte hier 1989 kaum jemanden. Es wäre schön, hätte das etwas mit Geschmackserlesenheit und nicht mit mangelndem Bewusstsein für die reichhaltige amerikanische Comic-Kultur zu tun (die zu verteidigen das aktuelle Blockbuster-Kino sehr schwer macht, aber von reichhaltiger Comic-Kultur ist darin sowieso nichts zu finden). Einzig Deadpool schaffte es auch hier unter die zehn erfolgreichsten Kinofilme, womit wir wieder beim Unbehagen wären.

Ich habe es mit einiger Mühe auch 2016 hinbekommen, meine zehn liebsten Filme des Jahres zusammenzustellen. Hollywood spielt darin kaum eine Rolle, und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich möchte meine Lust nach komplexen Erzählformen, aufregendem Autorenkino und Überwältigungsspektakeln mit wenigstens etwas Köpfchen die nächsten Jahre nicht auf Netflix stillen. Und ich möchte auch nicht glauben, dass es dafür aktuell kein Kinopublikum geben soll. Diese Filme müssten ja überhaupt erst einmal wieder gedreht werden, um das herauszufinden. Stattdessen signalisieren die zahllosen kostspieligen Flops und Misserfolge  des Jahres 2016 eine zunehmende Müdigkeit gegenüber Tentpoles, Four-Quadrant-Movies und krampfhaftem Franchise-Building. Wenn am Quatsch von Angebot und Nachfrage also wirklich etwas dran ist, müsste sich nun einiges ändern. Ich träume unterdessen nicht von einem Hollywood-Kino ganz ohne Superhelden oder sprechende Tiere. Vielmehr träume ich von einem Hollywood-Kino, das nebenbei auch wieder Filme für erwachsene Menschen dreht. Ich träume von: Kino.

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