Gefährlicher Welterfolg 2023 bei Amazon: Das Ende von Die Therapie verherrlicht ein schreckliches Verbrechen

03.01.2024 - 10:19 UhrVor 4 Monaten aktualisiert
Die TherapieAmazon
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Die deutsche Miniserie Die Therapie war 2023 ein großer Erfolg für Amazon. Was unterhaltsam beginnt, endet aber als Totalkatastrophe und verharmlost Missbrauch.

Ich habe dieses Jahr 46 neue Serien und Serienstaffeln geschaut und nichts hat mich so aufgeregt wie das Ende von Die Therapie. Dass die Amazon-Verfilmung von Sebastian Fitzeks Bestseller so ein großer Erfolg für den Streamer war, lässt mich erschaudern. Sie verharmlost das Verbrechen eines Vaters an seiner Tochter. Das Schlimmste ist jedoch: Niemanden scheint es zu interessieren.

Es folgen Spoiler für die komplette erste Staffel von Die Therapie.

Ich wünschte, ich hätte Die Therapie bei Amazon nach Folge 1 abgebrochen

Die gesamte Story von Die Therapie ist komplett gaga – was die Miniserie bis kurz vor dem Ende zu einem wahnwitzigen, aber unterhaltsamen Psychothriller macht. Ich wünschte, ich hätte direkt wieder abgeschaltet und mich gar nicht erst fesseln lassen, um mir den späteren Wutausbruch über das Ende zu ersparen.

Zu Beginn denken wir, ein Psychiater (Stephan Kampwirth) hätte seine Tochter (Helena Zengel) beim Kinderarzt verloren. Die 13-Jährige verschwindet während dem Arztbesuch nämlich spurlos. Zum Jahrestag des Verschwindens zieht der Vater sich in ein Ferienhaus auf einer Insel zurück. Dort sucht ihn eine Frau auf. Sie will therapiert werden, scheint aber auch etwas über das verschwundene Mädchen zu wissen. Es entspinnt sich ein Ringen um Informationen. In Rückblenden erfahren wir vom Familienleben vor dem Verschwinden der Tochter, bis ein großer Twist am Ende Dutzende erzählerische Lücken füllt. Haltet euch fest!

Josy und Viktor Larenz

Der Vater liegt eigentlich im Koma, ist psychisch krank und hat sich die ganze Insel-Chose zusammengereimt, um mit der Realität fertig zu werden. In Wahrheit hat er seine Tochter jahrelang mit kleinen Mikrodosen von Rattengift krank gehalten, damit sie nicht flügge wird. Als er sie im Wahn schließlich umbringt, kann die Mutter sie wiederbeleben und hält sie fortan von ihm versteckt. Klingt wild, an diesem Punkt hätte die Serie aber tatsächlich noch die Kurve kriegen können.

Bei der letzten Szene der Amazon-Serie habe ich meinen Fernseher angebrüllt

Der Täter hätte am Ende Konsequenzen für sein Verbrechen tragen können, aber das Finale entscheidet sich erzählerisch und stilistisch ganz klar dagegen. Als er der Wahrheit in seiner Insel-Fantasie näher kommt, wacht der Vater aus dem Koma auf. Doch anstatt der Polizei übergeben zu werden oder in eine geschlossene Anstalt zu wandern, wird er von seinem Arzt höchstpersönlich vor der Haustür seiner Frau und Tochter abgesetzt – und die Mutter, die ihr Kind jahrelang vor seinem Mörder versteckt hat, lässt ihn rein. Was folgt, wirkt wie eine tränenreiche Versöhnung nach einem belanglosen Streit.

Der Vater verlässt die beiden mit der Genugtuung, dass seine Tochter jetzt glücklicher ist als zuvor und ein sentimentaler Popsong setzt ein, als würde ein bittersüßes Teenie-Drama enden. Das ist für sich genommen schon einen großen Wutausbruch wert. Aber es kommt noch schlimmer.

In der finalen Szene lassen die Macher der Amazon-Serie ihre letzte Chance verstreichen, der Tochter eine eigene Stimme zu geben und ein Mindestmaß an Reflexion zu beweisen. Die mittlerweile 16-Jährige entscheidet sich im Epilog einige Jahre nach den Geschehnissen, ihrem Vater einen Besuch abzustatten. Der wird, anstatt in einer geschlossenen Anstalt oder einer Zelle zu sitzen, in einem wunderschönen Haus als Pflegefall behandelt. Offene Balkontür, Sonnenschein, sanfte Brise, all das.

Er hat sich vollständig in sich selbst zurückgezogen und träumt davon, wieder auf der erdachten Insel vom Beginn der Serie zu sein. Anstatt einfach nur die Tochter zu beobachten, wie sie ihm die Meinung geigt, mit ihm abschließt, ihre Wunden heilen darf, ihn endgültig, selbstbestimmt verlässt, legt sie ihre Hand auf seine und flüstert sanft: “Hallo, Papa!”

Die Serie endet in der Fantasie des Psychiaters. Er, in seinem ausgedachten Ferienhaus auf der Insel, mit seiner Tochter. Dabei dudelt sentimentale Musik, Wind raschelt durch Bäume, Tränen fließen und er ist glücklich. Ende. Ich könnte kotzen. Was zur Hölle?

Das Ende von Die Therapie verharmlost körperlichen und emotionalen Kindesmissbrauch

Missbrauch hat viele Gesichter. In diesem Fall hatte der Vater so große Verlustängste, dass er seiner Tochter für sein eigenes Seelenheil körperlich und emotional schweren Schaden zugefügt hat. Doch nicht nur spielt die Tochter als Mensch in der Serie überhaupt keine Rolle, auch wird uns das Trauma des Vaters in einer hochemotionalen Rückblende erzählt. Die Serie ist immer auf seiner Seite. Die Geschichte wird aus seiner Sicht erzählt, es werden seine Tränen geweint, sein Verbrechen erklärt und durch diese Erzählweise sogar beinahe entschuldigt.

Josy leidet bei ihren Eltern

Die Therapie will mich am Ende davon überzeugen, dass der Missbrauch drei Jahre später keine negativen Konsequenzen mehr hat, weder für den Täter noch für das Opfer. Stattdessen sind alle auf ihre Art und Weise endlich glücklich. Sorry, aber das kann ich auch einem total irren Mindfuck-Thriller nicht durchgehen lassen. Schon gar nicht, wenn er so extrem erfolgreich war.

Ich habe das Internet nach Meinungen zu diesem Ende durchforstet, aber die WTF-Aufschreie, Wutausbrüche und Verrisse blieben komplett aus. Im Jahr 2023 sollten wir doch so weit sensibilisiert sein, dass wir diese Verharmlosung für ein paar billige Thrills nicht in Kauf zu nehmen. Auch dann nicht, wenn Die Therapie versucht, jedes negative Gefühl am Ende in Säusel-Pop zu ertränken.

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