Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.
Mehr als ein
halbes Jahrhundert nach der Premiere des Films, es muss meinen Erinnerungen
nach Mitte der 80er Jahre gewesen sein, sah ich den Frankenstein-Film mit Boris Karloff zum ersten Male, Jahre
bevor ich schließlich den Roman las.
Sowohl das
Original wie auch die zwei Fortsetzungen ("Frankensteins Braut"
(1935) und "Frankensteins Sohn" (1939)) entfachten meine Liebe zum
Genre des Horrorfilms und zu den alten Universal-Klassikern. Zweifellos lag dies zum großen Teil am
Hauptdarsteller, nicht dem titelgebenden Schöpfer des Monsters, sondern dem
Monster selbst, kongenial verkörpert von Boris Karloff, der der Figur
Schrecken, aber auch eine zutiefst tragische Note verlieh. Noch heute, wenn ich
die Augen schließe und an "Frankensteins Monster" denke, sehe ich
unweigerlich Boris Karloff in dieser Rolle vor mir. Selten sind Darsteller und
Figur solch eine Symbiose eingegangen. Fast drei Stunden dauerte es, bis sich
Karloff unter den Händen von Maskenbildner Jack Pierce in jenes Monster
verwandelte, das optisch zwar nicht der Romanvorlage entsprach, aber trotzdem
als Blaupause für spätere Umsetzungen des Stoffs diente. Doch selbst die
maskenbildnerische Meisterleistung wäre nur eine Randerscheinung gewesen, wäre
es Karloff nicht gelungen, mit seiner nuancierten Schauspielkunst meinem
Lieblingsmonster eine Tiefe fernab jeder Schwarz-Weiss-Malerei zu verleihen.
Der künstlich geschaffene Mensch handelt zu Beginn wie ein unschuldiges Kind mit dem Antlitz eines
Monsters, in die Welt hinausgestoßen,
unverstanden, verzweifelt auf der Suche nach Menschen, die es verstehen, die sich
nicht vor Abscheu von ihm wenden. Wie bedauernswert diese Kreatur ist, zeigt sich
im Film beispielsweise in jener Szene, in der der Freiheitsdrang und die
Sehnsucht nach Leben offenkundig werden. Symbolisiert wird dies relativ
schlicht und doch genial durch die einfallenden Sonnenstrahlen, nach denen das
Monster seine Hände ausstreckt. Im nächsten Augenblick schließt sich die Luke zur Freiheit, die
Sonnenstrahlen erlischen, hüllen das Szenario in düsteres Schwarz, die Hände sinken schlaff herunter, der fragende Blick
nach dem Warum bleibt unbeantwortet.
Recht, Ordnung
oder Moral sind keine Maßstäbe innerhalb des Horizonts der Kreatur. Letztlich
ist es ein Geschöpf, zurückgeworfen auf seine Urinstinkte und ein Wesen ohne Wissen
um gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen. Das Monster sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit in einer
ihm feindlich gesinnten, fremden Welt, scheitert aber an einer nicht
stattgefundenen Sozialisation. Die Kreatur hat keinen Namen, keine Identität, erst
aus den gewonnenen, zumeist schlechten Erfahrungen, kristallisiert sich
allmählich ein Individuum heraus. Die äußere Hässlichkeit des Wesens kehrt sich
aufgrund der Ablehnung nach innen, die kindliche Reinheit verwandelt sich in
Wut, Hass und Rachegefühle, da ihm essenzielle Dinge und Bedürfnisse des
menschlichen Lebens verwehrt bleiben. Ursächlich hierfür ist sein Vater, Victor
Frankenstein, ein narzisstisches Genie, von Wissensdurst getrieben, allerdings
mit soziopathischen Zügen ausgestattet. Sein Handeln, das als Versündigung an
der Schöpfung Gottes interpretiert werden kann, gleichzeitig aber auch den
Aufbruch in die Moderne symbolisiert, zeigt, dass er sich der Folgen seines
Experiments zu keinem Zeitpunkt bewusst ist. Frankenstein stellt sich nicht seiner
Verantwortung als Vater und genau dies ist der Ausgangspunkt des Unglücks,
welches über ihn hereinbricht.
Wenn also Dr. Frankenstein im Roman vielleicht
noch kein "menschliches Monster" gewesen sein mag, so war er es
spätestens in den Verfilmungen der englischen Hammer-Studios in den 50er bis
70er Jahren, ein ewig scheiternder Wissenschaftler fernab von Empathie,
moralisch verkommen, nur seinem Ziel, Leben zu erschaffen verpflichtet und
damit erschreckender als jede von ihm geschaffene Kreatur.
Wie schwer die
Trennung von Schöpfer und Schöpfung eigentlich ist, wird daran deutlich, dass der
Name "Frankenstein" oft sowohl für das eine wie das andere stand.
Anknüpfend hieran stellt sich bei genauerer Betrachtung ohnehin die Frage, ob
eine strikte Trennung sinnvoll erscheint. Wer ist das eigentliche Monster? Der
verantwortungslose, von falschem Ehrgeiz getriebene, schlechte Vater oder seine
aus den Fugen geratene Schöpfung? Eine gewisse Faszination geht jedenfalls von
beiden aus und bringt mich zu der Antwort auf die Frage, warum nun Frankenstein respektive seine Schöpfung mein Favorit unter all den Monstern ist.
Nun, die Kreatur ist
im Literaturklassiker zweifellos deutlich komplexer angelegt als in vielen Verfilmungen der Romanvorlage. Sich
vor einem Monster zu fürchten, ist keine große Kunst, Mitleid zu verspüren
schon eher. Dies gelingt dem Roman vorzüglich und den besten Interpretationen des Stoffes auf der Leinwand auch. Nicht genug, sollte die Geschichte auch auf einer Metaebene, als
Teil eines komplexeren Überbaus funktionieren und losgelöst von Ort und Zeit
der Handlung, eine Übertragung in andere Zusammenhänge ermöglichen.
Frankensteins Monster ist somit auch Ausdruck der Suche des Menschen nach der
perfekten Schöpfung, dem Wunsch, besser als die Natur, für Gottgläubige besser
als Gott selbst zu sein. Zur Entstehungszeit des Romans ein frevelhaftes
Vorhaben, heute im Zeitalter der Genforschung längst Realität. Und genau
deshalb ist die 200 Jahre alte Geschichte nach wie vor von beunruhigender
Aktualität. Die Sehnsucht der Wissenschaft nach dem perfekten Menschen, ist sie
Traum oder Alptraum? In "Frankenstein" wird diese Frage eindeutig
beantwortet. Der Idealist scheitert tragisch, weil er ohne Verantwortung nur im
Glauben an das Gute seiner Tat handelt. Und was gibt es Schlimmeres, als unter
solchen Vorzeichen zu scheitern? Frankensteins Monster ist ein Mythos, der
Mythos von der Suche nach Perfektion in einer unperfekten Welt.
Nachdem nun der Herbst angebrochen ist, die Blätter fallen, die Tage kürzer und das Wetter schlechter wird, verspüre ich sie, die wiederkehrende Lust, in die romantisch-gotische, unheilvolle Welt der Mary Shelley zurückzukehren, in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele einzutauchen und ihn wieder zu erleben, den wonnigen Grusel von "Frankenstein" in Literatur und Film. "It`s alive". Was? Meine Leidenschaft für "Frankenstein"!
Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster: