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Zeit der Kannibalen und Gutmenschen

22.02.2017 - 19:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Öllers, Niederländer und Bianca (v. l.)
Farbfilm-Verleih
Öllers, Niederländer und Bianca (v. l.)
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Milliarden versenken, Arbeitsplätze wegrationalisieren, Unternehmen abwickeln: Im Kammerspiel "Zeit der Kannibalen" versucht sich Regisseur Johannes Naber an einer unterhaltsamen Kapitalismuskritik - das gelingt nur bedingt.

Was nach Apokalypse und Zombie-Splatterfilm klingt, entpuppt sich schnell als satirisches Quasi-Kammerspiel über drei durchgeknallte Unternehmensberater - die business consultants Öllers, Niederländer und Bianca. Zeit der Kannibalen, eine deutsche Produktion von 2014, verspricht dem geneigten Zuschauer Erkenntnisgewinne über das globale Wirtschafts- und Finanzsystem und läuft doch Gefahr das große Ganze noch weiter zu vernebeln.

Der 93-minütige Film spielt fast ausschließlich in wechselnden Hotelzimmern und Kofferenzräumen und ist so nur im weitesten Sinne ein Kammerspiel. Der besondere Clou: Während sich klassische Kammerspiele auf einen Handlungsort beschränken, weist ZdK eine Vielzahl von Handlungsorten (China, Indien, Nigeria) auf, die allerdings durch das gleiche Setting - Hotelzimmer eben - nivelliert werden. Wer den Film hastig und unaufmerksam ansieht, dürfte diese Ortswechsel nicht einmal bemerken, denn sie werden lediglich durch Schwarzblenden und den Wechsel des Hotelpersonals kenntlich gemacht.

Die drei Hauptfigur Öllers, Niederländer und Bianca, allesamt global agierende Unternehmensberater, tun währenddessen, was Heuschrecken nun einmal so tun: Milliärden versenken, Arbeitsplätze wegrationalisieren, Unternehmen abwickeln. Dabei unterscheiden sich die Drei vor allem in Hinsicht auf Selbstverständnis und Habitus.

Das Duo Öllers/Niederländer gibt sich kaltherzig und zynisch, tobt, macht Untergebene zur Sau und prügelt Bedienstete. Die jüngere Bianca ist als Vertreterin der neuen Generation (weiblich, gut ausgebildet selbstbewusst) dagegen stets bemüht ein menschliches Anlitz zu bewahren und hält sich für progressiv. Die sexuelle Ausbeutung der weiblichen Angestellten und den offen zur Schau getragenen Rassismus von Öllers und Niederländer prangert sie politisch korrekt an. Man beachte in diesem Zusammenhang das Öllers und Niederländer nur über einen Nachnamen und Bianca analog dazu nur über einen Vornamen verfügt.

Konsequenterweise ist Bianca Mitglied der GRÜNEN und ehemalige Mitarbeiterin einer NGO. Sie steht damit idealtypisch für die emanzipierte Karriefrau und Wellnessfeministin, die sich zwar für die Frauenquote engagiert, am Status quo des Kapitalismus jedoch grundsätzlich nichts ändern möchte. Eine bestimmte Sequenz bringt Biancas Haltung besonders treffend zur Geltung: Während ein junges, nigerianisches Zimmermädchen ihre Toilette schrubbt, versucht die dynamische Mittdreißigerin im akkurat sitzenden Businesskleidchen mit dieser nonchalant ins Gespräch zu kommen, ganz auf Augenhöhe versteht sich. Die geballte Absurdität der Szenerie wird der armen Bianca, man möchte fast Mitleid mit ihr haben, dabei mitnichten bewusst.

Genau diese kleinen, nuancierten Diaologe sind es, die ZdK interessant machen. Das ist Machtausübung heute: Eliten die sich jovial geben und mit Vornamen ansprechen lassen. Damit ist die Figur der Bianca nicht nur aktueller, sondern auch problematischer als die von Öllers und Niederländer, denn sie verschleiert die Herrschaftsbeziehung, die zwischen ihr und der Putzfrau nach wie vor ungebrochen besteht. Eine Thematik die beispielsweise The Boss of It All wesentlich konsequenter zu Ende führt.

Von dieser klugen Aufdeckung der bestehenden Verhältnisse wünscht man ZdK mehr. Zu oft steht das exzentrische und aufbrausende Verhalten des Duos Öllers/Niederländer im Vordergrund - fehlt nur noch, dass diese sich von den farbigen Angestellten im weißen Anzug und mit Strohhut auf einer Sänfte durch die Hotellobby tragen lassen -, welches sich in der Lebenswirklichkeit der meisten Zuschauer wohl kaum noch wiederfinden lässt und seltsam aus der Zeit gehoben anmutet. Über diese überzeichneten Figuren können sogar die Rezensenten des Handelsblatts herzlich lachen.

Damit drängt sich die Frage auf, ob ZdK nicht Gefähr läuft, gründlich missverstanden zu werden. Die Katastrophen, die das globale Wirtschafts- und Finanzsystem laufend produziert, eine Folge von charakterlich verkommenen Egomanen und Soziopathen? Das wäre einerseits angenehm, denn so könnte man die Probleme mit einem Wechsel des Personals lösen und andererseits bequem, denn so hielte sich der Rest der Welt schadlos. In Wahrheit sind aber auch Öllers, Niederländer und Bianca im Endeffekt Rädchen, wenn auch keine kleinen, im System, die eine Funktion zu erfüllen haben. Wie leicht sie im Ernstfall auszutauschen sind, zeigt die ganze Chose um die Teilhaberverträge. Es wartet eine Armee von Reservisten mit master degree und four languages fluent, die bereit sind sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, nur um sie zu ersetzen.

SPOILER***

Zu keinem Zeitpunkt gibt ZdK nur einen Fingerzeig auf eine Lösung hin. Das Drehbuch verharrt konsequent auf der individuellen Ebene und klammert das einzige Mittel, welches dem Kraut gewachsen wäre, konsequent aus - kollektives, politisches Handeln.

Viel zu oft ist ZdK zudem mehr ein mit den ignoranten Hauptfiguren, als ein über diese lachen. Wie zum Ausgleich entschädigt das Ende den Zuschauer mit einer mustergültigen Katharsis: Die Sündenböcke werden für ihr amoralisches und schädigendes Wirken von einer Horde Taliban andeutungsweise dahin gemeuchelt. Dabei weiß doch jeder, dass die Heuschrecken längst weitergezogen sind, wenn die Folgen ihres Handelns sichtbar werden.


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