Wir sind alles Voyeure, wir sind alle impotent

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Café Flesh
VCA Pictures
Aktion Lieblingsfilm: Café Flesh
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Let’s talk about Sex. Ein User schildert in seinem Lieblingsfilm-Text zu Café Flesh, dass dieses Werk mehr darstellt, als nur einen billigen Porno.

Während Ridley Scott 1982 seinen Blade Runner in die Kinos brachte, schuf Stephen Sayadian, der, wie in diesem Zusammenhang immer gerne erwähnt wird, unter anderem für das Design des Filmplakats von Brian de Palmas Dressed to Kill verantwortlich war, im selben Jahr seine ganz eigene Dystopie: Sie hieß Café Flesh und stellt bis heute ein absolutes Meisterwerk des Pornofilms dar, das nicht nur auf handwerklicher Ebene und mit der großartigen Musik von Mitchell Froom zu überzeugen weiß, sondern auch intellektuell alle Register zieht und sich, zehn Jahre später erschienen, thematisch als pure Antithese zu Behind the Green Door interpretieren lässt.

Nach der nuklearen Katastrophe teilen sich die überlebenden Menschen in zwei Gruppen: Die einen, der bei weitem kleinere Anteil, sind die „Positiven“, welche, wie auch zuvor, normal Sex haben können. Die anderen, die „Negativen“, werden beim bloßen Versuch krank. Ein Zentrum dieser neuen Welt ist das Café Flesh, welches zur Unterhaltung der negativen Zuschauer Positive präsentiert, welche auf der Bühne das ausleben, was den Negativen verwehrt bleibt. Gierig blicken Letztere auf das sich ihnen bietende Schauspiel, zur selben Zeit leiden sie aber: Sie leiden unter ihrer Krankheit, die sie zu zum Zuschauen verdammt. Es ist ein masochistisches Vergnügen, dem sie sich aussetzen, aber es ist das einzige Vergnügen, das sie haben in dieser trostlos gewordenen Welt. Die neue Welt, das ist Dunkelheit, Perversion: Wo das spärliche Licht hinfällt, nachdem es sich durch die schier undurchdringlichen Rauchschwaden des Café Flesh gepflügt hat, bleibt an maskierten, hässlich grinsenden Fratzen, die sich jeden Tag in diesem Etablissement versammeln, hängen.

Das Café Flesh ist eines der Zentren der neuen Welt, weil sich in ihm aus der Asche der Anarchie die Ordnung der postapokalyptischen Gesellschaft wiederherstellt: Im Café Flesh wird eine neue Weltordnung geschaffen, die mit allem Vorhergewesenen nichts mehr anzufangen weiß. Stars und Stripes und Hammer und Sichel sind belanglos geworden für eine Menschheit, die sich in zwei unüberwindbare Lager spaltet und deren einziges Interesse die sexuelle Erfüllung bildet. Politische Symbole finden sich hier, wenn überhaupt, nur noch auf Damenhöschen, die ausgezogen und weggeworfen und so der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Ideologische Gräben gehören der Vergangenheit an, sie wurden von heute auf morgen mit dem Zement der Bedeutungslosigkeit zugeschüttet; es existiert nur noch eine doppelte Opposition zwischen draußen (auf der verwüsteten Oberfläche unseres blauen Planeten) und drinnen (im bunkerähnlichen Café Flesh) einerseits sowie zwischen positiv und negativ andererseits.

Diese letzte Opposition bildet den Grundpfeiler für die neue Ordnung: Die Rolle der Negativen ist es, zuzusehen, diejenige der Positiven aber, auf der Bühne aufzutreten, und zwar unbedingt. Sogenannte Polizisten führen Razzien im Café Flesh durch und schleppen Positive mit sich, die sich im Zuschauerraum aufhalten. Die Positiven werden so zu den Sklaven der postapokalyptischen Welt: Auf der einen Seite sind sie die Stars, die Potenten, auf der anderen sind sie zu nichts anderem mehr da als den Trieben der Negativen ein Ventil zu sein, durch das doch nie Druck entlassen werden kann.

Die Distanz, die Behind the Green Door noch zu verringern suchte, hier wird sie, Anfang der Achtziger, als unüberbrückbar dargestellt. Mit dem Aufkommen von Video und dem allmählichen Niedergang der Pornorevolution ist es Café Flesh, der sämtliche Vorstellungen einer Nähe zwischen Zuschauern und Akteuren brutal verwirft und damit eine Wahrheit für die Zukunft prognostiziert, die von der Pornobranche bewusst gefördert werden sollte: Während die Videotechnik zwar aus einfachen Menschen selbst Pornodarsteller machen kann, haben solche Videos nichts mit der heraufbeschworenen Aura des Geheimnisvollen zu tun, mit denen die Branche Pornographie als glitzernden Lifestyle verkaufen will und so auf eine psychische Distanz zwischen Produkt und Konsument angewiesen ist.

Was Café Flesh und Behind the Green Door gemein haben, ist dieselbe Ausgangslage eines Publikums, das einem Sexschauspiel beiwohnt, sowie die Gleichstellung des filmischen Publikums mit uns als echten Zuschauern. Zwei ähnliche Faktoren spielen hierbei die Rolle, uns, im Unterschied zu Behind the Green Door, die Distanz so deutlich spüren zu lassen, wie möglich: Einerseits geschieht dies wieder direkt: Die Sexszenen sind weniger erregend als verstörend. Sie sind ins Groteske überhöht: Was da auf der Bühne geschieht, teilweise übertönt von Sirenengeheul und Babygeschrei, situiert zwischen phantastischen Dekorationen in New-Wave-Ästhetik, ist kurzgehalten und von einer mechanischen Kälte, die nur zu gut zur erwähnten neuen Weltordnung passt. Andererseits geschieht dies erneut indirekt über die diegetischen Zuschauer, die wieder uns selbst repräsentieren: Wir selbst sind Negative im verdunkelten Kinosaal, die, versunken in den schwarzen Sitzen, überwältigt werden von der überlebensgroßen Leinwand vor unseren Augen. Wir sind alles Voyeure, wir sind alle impotent.

War Barry in Behind the Green Door unser Eintritt in den Raum hinter der grünen Tür, ist es in Café Flesh Nick (Paul McGibboney), der uns inmitten dieses ganzen Irrsinns als Charakter am nächsten steht. Einst ein Positiver, gehört er nun zu den Negativen, ist nichts mehr wert. Der Bewunderte in dieser Welt ist nicht mehr er, sondern Johnny Rico, eines der Aushängeschilder der Positiven, ein richtiger „Pornostar“, großgewachsen, gecremte Haare, schwarze Sonnenbrille, der das Café Flesh gegen Ende des Films beehrt. Nick hat eine Frau namens Lana, ebenfalls eine Negative. Oder doch nicht? Je länger, je mehr beginnt sich Nick zu fragen, ob sie nicht doch zu „denen“ auf der Bühne gehört – wer ist negativ, wer positiv? Wessen Platz ist wo – wer gehört ins Rampenlicht, wer verschwindet im Schummer des Zuschauerraums vor der Bühne?

Der Schluss des Films beantwortet diese Fragen auf zynischste Weise und macht deutlich, dass es in dieser Dystopie keinen Platz mehr für die Liebe gibt. Alles, was übrigbleibt, sind körperliche Gelüste, die in diesem perversen Schauspiel jeden Tag von neuem bloßgestellt werden, ohne je befriedigt werden zu können. Der Raum hinter der grünen Tür existiert nicht mehr. Der Mensch, er ist ein Tier, und alles, was bleibt, ist das Café Flesh.

Hiermit widme ich meine Lieblingsfilmtexte meinem moviepilot-Freund keddschabb, der „Kompetenz in Sachen Erwachsenenfilme“.


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