Warum im Sci-Fi-Film immer die bösen Konzerne Schuld sind

01.07.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Mirando Corporation in Netflix' Okja
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Mirando Corporation in Netflix' Okja
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Als die "bösen Konzerne" vor einigen Dekaden den Sci-Fi-Film eroberten, war das Motiv Ausdruck eines Verlangens nach sozialer Verantwortung der Mächtigen. Ihr mittlerweile inflationärer Gebrauch beschönigt jedoch unsere eigene Mitverantwortlichkeit.

Facebook ist böse, heißt es oft am Stammtisch. Kaum jemand widerspricht und fast alle benutzen es, wenn sie sich zwischen den Bieren am Klo kurz die Zeit vertreiben wollen. Dieses "es", das größte und gewinnorientierte soziale Netzwerk zählt knapp zwei Milliarden Mitglieder  und steht seit einigen Jahren dauerhaft in der Kritik, seinen ironischerweise sozialen Verpflichtungen nicht nachzukommen. Das Unternehmen ist im Zeitalter von uns Digital Natives eine der populärsten Versinnbildlichungen des "bösen Konzerns", der "evil corporation", wie sie im Science-Ficion-Film und allgemein in der Popkultur bereits seit Jahrzehnten vom Weyland-Yutani-Konzern in Ridley Scotts Alien-Franchise bis hin zur brandneuen Mirando Corporation in Netflix' Okja zu einem allgegenwärtigen Motiv heranreifen durfte.

Böse Unternehmen als Tropen sind selbstredend ein Symptom der kapitalistischen Kehrseite, wenn die Mächtigen ihre Macht zum eigenen Vorteil und zum Nachteil von Individuen ausnutzen. Sogar der Streaming-Gigant Netflix selbst wurde zuletzt im Zuge der Cannes-Premiere von Okja stark kritisiert, mit VoD-only-Angeboten die Kinokultur an den Abgrund zu drängen - im Sinne der eigenen (Profit-)Interessen. Die Science-Fiction hat es sich durch ihre einmalige Chance zur bemüht authentischen Überhöhung dieser Zustände als Dystopie zur Aufgabe gemacht, uns zur Obacht zu ermahnen. Doch seit, Achtung, Spoiler, Soylent Green Menschenfleisch war, ist viel passiert. In Zeiten des Web 2.0 sind wir nicht bloß ausgelieferte Konsumenten, die die Skrupellosigkeit von Mega-Konzernen erst erraten müssten. Wir sind Produzenten und Konsumenten zugleich, wofür das hübsche Kofferwort "Prosumer" gezimmert wurde. Wir schieben Facebook und Google mit einem Lächeln unsere Daten zu. Die viel spannendere Frage ist also, warum im Sci-Fi-Film immer noch die bösen Konzerne Schuld sind; und nicht die Gesellschaft?

Logo der Weyland-Yutani Corp aus dem Alien-Franchise

Es sind auch in der Zukunft immer die anderen Schuld

Angela Allen erklärt in ihrem Artikel How the "Evil Corporation" Became a Pop-Culture Trope , dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50ern die popkulturelle Skepsis noch weitestgehend auf den Staat als Feind des Bürgers fixierte. Die Dystopie des totalitären Staates florierte und hielt im Kalten Krieg Einzug in Filme wie François Truffauts Fahrenheit 451, George Lucas' Regiedebüt THX 1138, Stanley Kubricks Uhrwerk Orange und die beiden Verfilmungen des Romans 1984. Die Wahrnehmung des Sündenbocks verschob sich jedoch mit den Jahren vom Staat zu Privatpersonen mit Riesenkonzernen im Rücken. Diese schürten Zweifel am technischen Fortschritt - Steckenpferd der Science-Fiction - und Kapitalismus-Kritik - Steckenpferd der späten Generation X. Die unerbittlichen Rädchen der Globalisierung drehten immer weiter am Perspektivenwechsel.

Vor 44 Jahren war es dann so weit und der Sci-Fi-Klassiker Jahr 2022 - die überleben wollen (Soylent Green) mampfte für die Trope der profitgeilen Unternehmensdystopien eine Schneise in die Popkultur. Der vielzitierte Twist, dass die Menschheit auf der überbevölkerten Erde unwissentlich Menschenfleisch verzehrt, ist weit bekannter (und relevanter) als der Film von Richard Fleischer an sich. Hinter dem unethischen Produktvertrieb steht die Soylent Corporation. Diesem perfekten Sinnbild, dass die Firma wortwörtlich ihre Kunden verbrät, um Profit herauszuschlagen, wurde in vielen Sci-Fi-Klassikern eine neue Facette hinzugefügt, doch im konzernkritischen Herzen blieben sie ihrer Tropen-Mutter meist treu: Der Produzent sei Schuld, nicht der Konsument.

Aha-Effekt in der Fabrik: Soylent Green is people!

Viele böse Firmen kamen und gingen. Paul Verhoevens RoboCop stellt 1987 die Verbindung zwischen kontrollierter Gesellschaft und Ausbeutung von Individuen her, die von OCP, Omni Consumer Products, zu Robotern umfunktioniert werden. Ridley Scott findet für sein Alien-Franchise auch im neusten Teil Alien: Covenant wieder eine neue Facette des den Weyland-Yutani-Konzerns, der wegen der Träume Einzelner die ganze Menschheit aufs Spiel setzt. In Robert Zemeckis' Zurück in die Zukunft wirtschaftet das Firmenimperium Biffco mit Abfallwirtschaft eine ganze Stadt herunter, während der Gründer ein Vermögen macht. Mittlerweile ist die Allgegenwärtigkeit diabolischer Profitmacher so selbstverständlich, dass sie sogar in Kinderfilmen wie Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf in Form der korrupten Buy n Large Corporation Einzug gefunden haben.

Mit jeder neuen Verwendung der altbekannten Tropen tätscheln wir uns selbst auf die Schulter. Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft und sind uns der allgegenwärtigen Ausbeutung unserer Daten, Tiere, Mitmenschen bewusst. Das neuste Beispiel ist die Mirando Corporation in Bong Joon-hos Okja mit Tilda Swinton, die der Profitgier hier ein Gesicht verleiht. Das idealistische Abenteuer kommt jedoch sehr viel selbstreflektierter daher als viele seiner Artgenossen und hält ein paar Spitzen auf dümmliche und bequeme Verbraucher bereit. Es mag die böse Firma sein, die süße Schweinchen schlachtet, doch es wird klipp und klar darauf hingewiesen, dass beschönigendes Marketing noch schlimmer sei als die harten Fakten und dass es ohne Nachfrage nicht nötig wäre, mit den Lebewesen unwürdige Massentierhaltung zu betreiben.

Ex Machina

Was lange währt, währt noch viel länger

Einen spannenden Ansatz findet der eingesessenen Trope gegenüber Alex Garlands Ex Machina, das Regiedebüt des Drehbuchautors von 28 Days Later und Dredd im Jahr 2015. Der Science-Fiction-Thriller dreht sich neben den Gefahren von künstlicher Intelligenz auch um einen Konzern, der befreit von jeglicher sozialer Verpflichtung 94 Prozent aller Daten sammelt, die weltweit in Suchmaschinen eingetippt werden. Bluebook heißt dieser an Google angelehnte Konzern. Er ist zwar wieder nicht daran interessiert, unseren Humanismus zu stärken, sondern daran, niedere Instinkte zu bedienen, indem er aufspürt, was der Benutzer am meisten begehrt. In Ex Machina verschiebt sich die Schuldfrage von bösen Konzernen jedoch zu einer Frage nach Mitverantwortung von Individuen, die sich bewusst nicht wehren. Garland wollte in den Film einweben , dass es ungemütlich sei, weniger über solche Firmen zu wissen, als sie über uns wissen. Doch auch Ex Machina streift die Eigenverantwortlichkeit von Konsumenten nur.

Böse Filmfirmen sind klassische Hollywood-Bösewichte. Wie ein James Bond-Antagonist gehen sie ihren sinistren Weg über Leichen und können nur von einem Helden gestoppt werden. Aber dieser Held sind nicht wir. Letzten Endes bleiben Science-Fiction-Filme eine Widerspiegelung der Tatsachen und zeigen uns, dass wir noch nicht bereit sind, uns zu wehren. Vielleicht nehmen wir ab und an sogar ein Häkchen weg in den Facebook-Profileinstellungen und schmunzeln, wenn der Most Evil Corporation of the Year -Award vergeben wird. So viel Selbstbewusstsein darf sein. In ein paar Jahren gucken wir Science-Fiction-Filme über destruktive Streaming-Giganten, die unsere Kinolandschaft zerstört haben. Aber wir gucken sie zuhause, nicht im Kino, denn im Sci-Fi-Film sind immer die bösen Konzerne Schuld.

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