Ich klicke den Log-out-Button, fahre den PC runter und streife mir meine Tasche über. Zwei Stockwerke tiefer stehe ich im sonnendurchfluteten Hof und spaziere am leckeren britischen Café vorbei hinaus auf den Mehringdamm. Ist die sibirische Kälte erst einmal verflogen, kann Kreuzberg echt schön sein. Ein lautes Poltern schreckt mich hoch - die U-Bahn? Plötzlich versperrt mir ein alter orientalischer Passagierzug mit grellen Farben die Sicht und kommt quietschend zum Halt. Ich werfe dem Jungen am Heck meine Tasche zu und springe auf.
Der Zug ist voll mit alten Männern, herumlaufenden Kindern und gackernden Hühnern, deren wildes Flügelschlagen mich mehrfach zusammenzucken lässt. Ein paar Wagons weiter wird es ruhiger. Ich quetsche mich an einem glatzköpfigen Mann mit Laptop vorbei und erreiche endlich die Einzel-Abteile. Die vierte Tür auf der rechten Seite trägt drei identische Namen. Ich schiebe sie auf und blicke in die überraschte Runde. "Und, wie war's?", fragt mich ein verbeulter Owen Wilson.
Urlaub ist Ansichtssache
Ich schnappe mir ein Glas brühend heißen Tees und setze mich auf eine schwarze Kiste mit weißem Totenkopf, die umgedreht auf dem Boden liegt. "Gut, gut ... ziemlich gut", murmle ich vor mich hin, während mich zweieinhalb Gesichter erwartungsvoll anblicken. Langsam sammeln sich die Gedanken in meinem Kopf, ich blicke mit beherzter Miene auf und korrigiere mich: "Sehr gut sogar! Viel besser als erwartet." "Siehste", entgegnet mir Adrien Brody, "hab ich doch gesagt. Tablette?"
Jason Schwartzman streicht sich über den Schnurrbart, guckt mich plötzlich mit geneigtem Kopf an und fragt: "Sag mal, was machst du überhaupt schon hier? Solltest du nicht drei Monate da bleiben?" "Die Uni geht Montag wieder los", antworte ich und starre betrübt auf den Teppichboden. "Musste meinen ganzen Urlaub draufgehen lassen, um früher gehen zu können. Früher! Könnt ihr euch das vorstellen?" "War doch nur ein Praktikum", mischt sich Owen Wilson ein, "Uni ist doch fast Urlaub. Besser als vierzig Stunden pro Woche arbeiten zu müssen." "Aber besser, als vierzig Stunden pro Woche über Filme zu reden, über Filme zu schreiben, umsonst Filme im Kino zu gucken und dazu in Berlin zu wohnen?" frage ich rhetorisch und leicht genervt. Nun starren die anderen drei auf den Boden.
Leises Gitarren-Geplänkel aus den iPod-Boxen untermalt die leicht angespannte Atmosphäre, welche ich selbstreflexiv zu durchbrechen versuche. "Immerhin keine miesen Kommentare mehr lesen müssen." Adrien Brody lacht auf: "Ha, du hast die gelesen?" Seine Schikane wird von Owen Wilson gestoppt, der wie so üblich mehr Methodik vorschlägt. "Ich möchte, dass du aufzählst, was dir am Praktikum gefallen hat, und was nicht, und dann gegenüberstellend eine Konsequenz ziehst." Es klopft an der Tür. "Erdnüsse?", fragt uns eine junge, gut aussehende Inderin.
Die Owen Wilson-Methodik
"Also, die Kollegen waren schon mal super. the gaffer und sciencefiction haben mir echt viel helfen können, und Ines W. hatte sowieso für jede Kleinigkeit Verständnis. Itchy91 ist ja schon früher gegangen, zum Glück hat er mir vorher noch ein bisschen das Marvel-Universum erklären können. Und wenigstens gibt der Filminspektor nun etwas mehr Ruhe - was seine Flachwitze angeht, wird er mittlerweile beinahe vom Lord C überholt. Mit Moehrensuppe haben wir Itchys leeren Platz ja auch prima füllen können. Der hat auch nicht so anstrengende Meinungen wie Khorosho - ständig muss man mit dem diskutieren."
"Und sonst?", wirft Jason Schwartzman gleich hinterher. "Und sonst, und sonst ... Was ist das für eine Frage? Es war natürlich alles perfekt: das Team, das Büro, die Atmosphäre. Bei den Oscars war ich da, und bei der Berlinale. Durch die Pressevorführung von Fifty Shades of Grey hab ich mich gequält, den Avengers 2-Hype hab ich mitgemacht. Von Berlin will ich gar nicht erst anfangen." "Scheiße", fasst Adrien Brody zusammen. "Was machst du denn jetzt?" "Wenn wir in Hamburg sind, steig ich aus. Zurück an die Uni, Bachelor machen und nebenbei Wirtschaftsnachrichten fürs Stadtmagazin schreiben." "Im Ernst?" Owen Wilson guckt mich verwundert an. "Irgendwie muss der Urlaub ja finanziert werden", entgegne ich.
"Aber ich bin ja immer noch häufig in Berlin, besuche hier ja regelmäßig jemanden." "Die Liebe, man", sagt Jason Schwartzman mehr zu sich selbst als zu sonstwem und sprüht mir prompt ein markantes Damenparfüm ins Gesicht. Ich reibe mir die Augen und blicke in die Runde. "Und wenn ich aus Südamerika zurück bin, dann hat Berlin mich hoffentlich eh wieder. Master, und so. Ganz großes Kino."
Ein Abschied aus der Filmwelt
Der bunt bemalte Bummelzug kommt langsam im Hamburger Hauptbahnhof zum Stehen. "Du bleibst aber noch auf moviepilot, oder?", wundert sich Jason Schwartzmann. "Klar", antworte ich, "Redakteure beleidigen und mich über Klickstrecken aufregen. Darauf hab ich mich schon die ganze Zeit gefreut." "Sag mal, weißt du, ob man hier irgendwo gut beten kann?" Er hält drei Federn in der Hand und schaut hoffnungsvoll aus dem Fenster. "Probiers mal am Gleis der U4, die benutzt kaum jemand." "Hamburg, man", seufzt Adrien Brody. "Du bist echt ein armes Schwein."
Während Jason Schwartzman zum nächsten Münztelefon eilt, versuche ich den anderen beiden zu erklären, dass es am Hamburger Hauptbahnhof keine öffentlichen Toiletten gibt. "Ihr könnt einfach zu McDonalds gehen. Ihr müsst es nur an der alten Frau vorbei schaffen, die euch 30 Cent abknöpfen will." Owen Wilson bedankt sich, drückt mir ohne Erklärung einen Gürtel in die Hand und die beiden verschwinden im nächsten Rossmann. Verdutzt bleibe ich noch einen Moment stehen, während sich eine Frau mittleren Alters zu mir gesellt. "War das da grad Woody Harrelson?", fragt sie mich. Ich will sie korrigieren, denke mir jedoch: Was weiß ich schon. Jetzt bin ich ja auch wieder nur ein Film-Laie.
Adios, liebe moviepiloten. Danke für die schöne Zeit.