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Ulrich Seidl und die bösen Buben - Ein Blick hinter die Kulissen

04.03.2016 - 00:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Im Keller
Stadtkino Filmverleih
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In Konstantin Wulffs TV-Dokumentation "Ulrich Seidl und die bösen Buben" bekommt der Zuschauer einen tiefen Einblick in die befremdliche Arbeitsweise eines mehr als ungewöhnlichen Filmemachers.

Unbestritten ist Ulrich Seidl eine der Glanzfiguren des Österreichischen Films. Sei es Hundstage mit der unbarmherzigen Darstellung eines Wiener Vororts in all seiner Tristesse, sei es die Paradies-Trilogie mit ihren verirrten Individuen oder sei es sein aktuellstes Werk Im Keller, Ulrich Seidl nähert sich stets dem tiefen Kern alltäglicher Wirklichkeit. So umjubelt seine Filme sind, so heftig umstritten ist seine Methode. Wie weit darf ein Filmemacher mit seinen Protagonisten gehen, die sich zuweilen im Dokumentarfilm selbst zur Schau stellen und dabei ihre Grenzen des Zumutbaren übersteigen? Und wie schafft Ulrich Seidl es, Menschen, wie sie in seinen Filmen zu sehen sind, vor die Kamera zu holen?

Constantin Wulff versucht sich diesen Fragen und dem Menschen Ulrich Seidl in seiner TV-Dokumentation Ulrich Seidl und die bösen Buben zu nähern. Der Zuschauer beobachtet Seidl während seiner Arbeit und bekommt dabei einen intimen Blick in seine Art des Arbeitens und Denkens. Dabei offenbart der Film nicht nur Seidls Wesen, sondern auch die Fähigkeit des Dokumentarfilms, über sich selbst nachzudenken. Die Konzentration auf das Handwerk des Dokumentaristen lässt Schlüsse über das Nicht-Sichtbare zu, über die Art der Dokumentation des Dokumentarischen. Es eröffnen sich den Zuschauern Einblicke in einen Bereich, der sonst verwehrt bleibt. Blicke werden offenbart, Getanes und Gesagtes wird sichtbar. Alles, was sich sonst unter dem Gewand des eigentlichen Films verbirgt. Wulff zeigt Seidl in seiner Werkstatt. Ist es Seidls Anziehungskraft oder Wulffs Art Filme zu machen, die dafür sorgt, dass die Machart von Ulrich Seidl und die bösen Buben im Verborgenen und außerhalb des Blickwinkels bleibt? Wulff macht das, was vielen als Inbegriff des Dokumentarfilms gilt. Er möchte nicht wahrgenommen werden. Er möchte unsichtbar sein und bleiben.

So befindet er sich immer in der Beobachterposition, wenn Seidl seine Protagonisten zügelt, als sie in ihrer Exzentrizität zu weit gehen oder wenn er sie auf umstrittene Weise zu mehr Engagement vor der Kamera bewegt. Wulff schafft mit seinem Film insofern eine Zurschaustellung des Spannungsverhältnisses von Ästhetik und Dokumentation der Wirklichkeit. Dort wo der Zuschauer Seidl bei seiner Arbeit sieht, wie er penibel das Setting in den intimsten Bereichen der Protagonisten arrangiert und Regieanweisungen erteilt, bleibt Wulff als regelrechte „Fly On The Wall“ unsichtbar und still im Hintergrund. Inszenierung und unbeteiligte Beobachtung stehen sich hier diametral gegenüber. Es findet eine Reflexion des eigenen Kunsthandwerks in Höchstform statt. Während Seidl mit inszenatorischen Mitteln versucht, zum Kern seiner identifizierten Wahrheit vorzustoßen - Im Keller scheinen es die Abgründe österreichischer Durchschnittsbürger zu sein - bleibt Wulff distanziert und versucht dadurch die Essenz der beobachteten Lebenswelt zu erfassen. Am stärksten zeigt sich dies im Moment der absoluten Konzentration. In einer über eine Minute dauernden Einstellung beobachten wir Seidl, wie er hoch konzentriert durch den Sucher einer Kamera blickt und Anweisungen gibt. Die Zufälligkeit und Vielfalt der Wirklichkeit wird in dieser Szene in Seidls Wahrnehmung auf einen vollkommenen Moment der Kontrolle reduziert. Filtert Wulff das ihn umgebende Material der Wirklichkeit durch Limitationen in seiner Wahrnehmung und durch das spezifische Blicken der Kamera, so erleben wir bei Seidl eine Modifikation der Wirklichkeit. Er möchte das, was er gefunden hat, unter seine Kontrolle bringen und so zum Kern der Dinge vorstoßen, die er unter der Oberfläche vermutet.

Es liegt der Schluss nahe, dass Seidls Dokumentarfilme wie seine Spielfilme vielmehr seine eigenen Projektionen der Umwelt zeigen, als die Annäherung an die Realität selbst. Das Eindringen und Offenbaren von Lebenswelten stellt für Seidl im Gegensatz zu Wulff nicht das Ziel des Dokumentarischen dar. Für ihn ist es ein Instrument für die Zurschaustellung seiner eigenen Visionen.




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