Toto der Held - Das meisterhafte Debüt des Mr. Nobody-Regisseurs

03.05.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Toto der Heldabsolut MEDIEN
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Mit dem kunstvollen Verwirrspiel Toto der Held wirft Mr. Nobody-Regisseur Jaco van Dormael einen originellen Blick auf die Frage, was es bedeutet, zu leben oder vielmehr darauf, was uns zu den Menschen macht, die wir sind. Dafür wird der Debütfilm des Belgiers heute mit meinem Herz für Klassiker gewürdigt.

Das fantasievoll verworrene Drama Toto der Held stammt aus der Feder des renommierten belgischen Filmemachers Jaco van Dormael und erzählt die philosophisch verschachtelte Lebensgeschichte des kleinen Jungen Totos, der felsenfest daran glaubt, ein falsches Leben zu leben. Dabei deutet das Langfilm-Debüt von Jaco van Dormael in vielen Momenten bereits das spätere Opus Magnum des ambitionierten Filmemachers voraus, und zwar Mr. Nobody mit Jared Leto. Toto der Held gewann derweil 1991 unter anderem die Caméra d’Or (Goldene Kamera ) für den besten Debütfilm bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes sowie den Europäischen Filmpreis als bester junger Film . Ich möchte euch diesen völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Klassiker des europäischen Autorenfilms nun einmal genauer vorstellen.

Der Traum von einem anderen Leben

Von klein auf ist Thomas (Thomas Godet), liebevoll Toto genannt, davon überzeugt, dass er um sein eigentliches Leben betrogen wurde. Vehement redet er sich ein, nach seiner Geburt mit dem reichen Nachbarskind Alfred (Hugo Harold-Harrison) vertauscht worden zu sein. Erblickten die beiden Sprösslinge doch am selben Tag das Licht der Welt, im selben Krankenhaus. Und wie es das Schicksal so wollte, kam es an jenem Abend zu einem verheerenden Brand im Hospital. Ein dramatisches Ereignis, das Toto später als Beweis dafür umdeutet, in der falschen Familie gelandet und aufgewachsen zu sein. Für ihn basiert sein ganzes Leben auf einer Verwechslung. Es verläuft von Grund auf falsch. Der verträumte Junge malt sich aus, wie sein Leben wohl wäre, wenn er es in seinen rechtmäßigen Schuhen, in den Schuhen Alfreds bestreiten würde. Der privilegierte Nachbarsjunge ist nämlich so viel größer und stärker als Thomas, allseits beliebt und respektiert, rundum glücklich und zufrieden. Dem liebenswürdigen Alfred scheinen all die guten Dinge des Lebens nur so zuzufliegen, er ist ein wahres Sonnenkind. Thomas dagegen hat es niemals leicht gehabt. Immer wieder geht daher seine Fantasie mit ihm durch. Er erträumt sich ein glücklicheres, ein bedeutsameres Leben. Im Reich seiner Fantasie wird er zum Helden. Bis ins hohe Alter klammert er sich hoffnungsvoll an den Gedanken, dass das Schicksal ihm einen bösen Streich gespielt hat. Eine frühkindliche Idee wird somit zum zwanghaften Gedanken, der hintergründig Totos gesamtes Leben bestimmt.

Thomas Godet als Toto der Held

So fest verwurzelt ist sein Wunsch nach einem anderen Leben, dass der kleine Toto letztlich zu einem pathologisch unglücklichen, stets suchenden und getriebenen Mann heranwächst. All das Schlechte, das ihm derweil widerfahren ist, schiebt er vehement auf seine Annahme, er lebe grundsätzlich ein falsches Leben. Das eigens erdachte Verwechslungsszenario wird für Thomas zum zentralen Schlüsselmoment und Katalysator eines tragischen Lebenswandels. Denn nur so werden seine traumatischen Kindheitserlebnisse für ihn erträglich.

Geschwisterliebe und andere Katastrophen

Toto mit seiner großen Schwester Alice (Sandrine Blancke)

Totos Familie scheint nahezu perfekt zu sein, bietet sie dem verträumten Helden doch ein liebevolles und behütetes Umfeld, in dem er sich völlig frei entfalten und unbekümmert aufwachsen kann. Jaco van Dormael zeichnet hier zu Beginn seines Films das utopische Ideal eines allzeit glücklichen, harmonischen und sorglosen Familienlebens. Doch all das scheint dem kleinen Helden ja noch nicht genug zu sein und so muss er auf die harte Tour lernen, dass das Leben nicht nur aus sonnigen Momenten besteht. Schon bald ziehen dunkle Wolken für ihn auf: Totos liebevoller und fröhlicher Vater, ein Pilot, kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ein Verantwortlicher für das Unglück ist für den kleinen Thomas schnell gefunden, hat sein Vater doch als Luft-Kurier für den mächtigen und wohlhabenden Vater Alfreds gearbeitet. Auch sonst scheint all das Übel, das Toto noch widerfahren wird, eng mit seinem Lebensrivalen und Nachbarn Alfred verknüpft zu sein. Nach dem Tod seines geliebten Vaters klammert sich Toto stark an Alice, seine große Schwester. Staunend blickt er zu ihr auf und findet in seiner abgöttischen Liebe zu ihr emotionalen Halt und Trost. Doch plötzlich tritt Alfred als Nebenbuhler der selbstbewussten Schwester auf. Und schlimmer noch: Alice scheint dessen romantische Gefühle zu erwidern. Der verletzte Toto gerät in einen Strudel voller Neid, Angst und Wut. Zum Epizentrum allen Unglücks wird Alfred schließlich, als Alice bei dem Versuch, Alfreds Elternhaus abzufackeln - ein letzter verzweifelter Liebesbeweis für ihren Bruder - den Flammen zum Opfer fällt. Toto wird zum gefallenen Helden, der alles verloren hat. Seitdem sehnt er verzweifelt sein familiäres Glück zurück, das Alfred ihm genommen hat.

Jo De Backer als unglücklicher Toto

Identitätslos treibt der verträumte Held dahin und verliert sich in fantasievollen Was-wäre-wenn-Szenarien. Er flüchtet sich in die eigene Gedankenwelt, um seinem großen Verlust- und Weltschmerz zu entkommen. Traum und Realität fließen dabei immer mehr ineinander, Raum und Zeit werden zu einem unlösbaren Puzzle verwoben. Jaco van Dormael versteht es schon in seinem Debütfilm wie kein anderer, verschiedene Zeit- und Realitätsebenen kunstvoll miteinander zu verknüpfen und ineinander übergehen zu lassen. Märchenhaft bewegen wir uns durch Totos undurchsichtiges, verworrenes Leben, niemals mit der Gewissheit, ob es sich dabei gerade um sein echtes Leben oder um eine seiner Traumvisionen handelt. Die verschachtelte Erzählung zieht uns hinein in einen Sog voller Zeit- und Realitätssprünge, ohne enträtselnden Rettungsanker. Ob das hohe Erzählkunst oder schlichtweg Irrsinn ist, das muss wohl jeder selbst entscheiden.

Am Ende des Weges

Michel Bouquet als verbitterter Toto

Am Ende von Jaco van Dormaels erster narrativer sowie filmästhetischer Meisterleistung steht die so simple wie lebenswichtige Erkenntnis, dass nichts und niemand perfekt ist. Es geht darum, das Leben sowie sich selbst so zu akzeptieren, wie es nun mal ist. Es geht darum, die Liebe zum Leben und zu sich selbst trotz allem, was passiert, nicht zu verlieren. Dabei vermag es der Film, mithilfe seiner atmosphärisch dichten Erzählung zwischen Gefühlen der Hoffnung, kindlicher Sorglosigkeit, und resignativer Aussichtslosigkeit zu schwanken, ohne dass eines dieser Gefühle dabei letztlich die Oberhand gewinnt. Toto der Held ist eine zeitlose Ode an das gute Leben mit all seinen Schattenseiten. Deshalb schenke ich diesem feinsinnigen Langfilm-Debüt mein heutiges Herz für Klassiker.

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