The Man in the High Castle - Unser erster Eindruck im Pilot-Check

25.11.2015 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Juliana Crain (Alexa Davalos) bezeugt das Unglaubliche in The Man in the High CastleAmazon
4
5
Während Netflix am vergangenen Freitag sein Serien-Repertoire um Marvel's Jessica Jones erweitert hat, brachte Amazon Instant Video die Philip K. Dick-Adaption The Man in the High Castle in Stellung. Wir haben uns die Pilot-Folge der düsteren Zukunftsvision angeschaut.

Was wäre, wenn...? Die aufregendsten Geschichten fangen mit dieser Fragestellung an und offenbaren im Anschluss ein Gedankenspiel, das sich in der Regel nicht mit der Realität vereinen lässt. The Man in the High Castle, die bis dato ambitionierteste Serien-Produktion aus dem Hause Amazon, stellt viele dieser "Was wäre, wenn?"-Fragen. Basierend auf der gleichnamigen Literaturvorlage von Philip K. Dick (hierzulande als Das Orakel vom Berge bekannt) hat Frank Spotnitz eine serielle Adaption geschaffen, die sich begeistert in einer alternativen Geschichtsschreibung austobt und direkt in den Schlund einer schreckhaften Dystopie begibt. Die Prämisse gleicht einem Albtraum und bietet unheimlich viel Potential, eine Geschichte zu erzählen, wie sie so in der aktuellen Serien-Landschaft überhaupt nicht existiert. Also was wäre, wenn die Alliierten den Zweiten Weltkrieg verloren hätten?

Die Welt und wie wir sie (nicht) kennen

1947 gewinnen die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg, woraufhin die USA in drei Zonen aufgeteilt werden. Die Ostküste und ein Gros des Inneren Landes gehört fortan zum Greater Nazi Reich, während die Westküste Teil der Japanese Pacific States wird. Dazwischen befindet sich neutrales Gebiet, das wie ein Puffer zwischen den Deutschen und den Japanern fungiert. Die eigentliche Handlung von The Man in the High Castle setzt allerdings erst im Jahr 1962 ein, sprich zu einer Zeit, in der die neue Weltordnung unlängst etabliert worden ist: Den jüngeren Generationen fällt es sichtlich schwer, sich überhaupt an ein Leben zu erinnern, das nicht unter der Besatzung der Achsenmächte stattgefunden hat. Natürlich existieren Erzählungen von Vätern, Müttern und Großeltern, aber die meisten Menschen haben sich dem jeweils herrschenden Regime angepasst.

San Francisco in The Man in the High Castle

Auch Juliana Crain (Alexa Davalos) hat sich an ihr Leben im japanisch besetzen San Francisco gewöhnt, wird jedoch durch ihre Schwester Trudy (Conor Leslie) in die Machenschaften des Widerstands hineingezogen. Im Rahmen einer flüchtigen Begegnung bekommt Juliana von dieser mehrere Filmrollen überreicht. Kurze Zeit später wird Trudy von Handlangern des totalitären Systems ermordet. Daraufhin beschäftigt sich Juliana mit dem Film, der sich auf den einzelnen Filmrollen befindet und den Titel The Grasshopper Lies Heavy trägt. Konkret scheint es sich dabei um ein Newsreel zu handeln, das von Sieg der Alliierten berichtet. Frank (Rupert Evans), Julianas jüdischer Freund, rät ihr, die fragwürdigen Aufnahmen den Behörden zu überreichen, da er Schlimmes befürchtet und das Material auf den ominösen "Man in the High Castle" zurückführt. Juliana nimmt die Sache jedoch selbst in die Hand und tritt in die Fußstapfen ihrer Schwester, damit ihr Tod nicht umsonst gewesen ist. Sie macht sich auf den Weg nach Canon City, wo sie Joe Blake (Luke Kleintank) begegnet.

Freund und Feind in der neutralen Zone der Welt

Besagter Joe Blake wird als junger, aufrichtiger Bursche eingeführt, der sich ebenfalls dem Widerstand verschrieben hat. Ganz so aufrichtig ist er allerdings nicht, wie spätestens im finalen Twist der Pilot-Folge deutlich wird: Joe arbeitet als Doppelagent für die Nazis und nimmt ausschließlich die Befehle von SS-Obergruppenführer Jon Smith (Rufus Sewell) entgegen, der es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht hat, den Widerstand komplett auszumerzen. Dadurch gerät New York City als zweiter großer Schauplatz ins Zentrum der Geschichte, wodurch die Serie gleich in den ersten Minuten eine ihrer offensichtlichen, aber nicht weniger faszinierenden Stärken ausspielt: das Produktionsdesign. The Man in the High Castle entwirft eine detailverliebte Welt (inklusive der amerikanisch gebrochenen Aussprache von Weizenbier), die sehr bewusst mit dem Wissensvorsprung spielt, den wir als Zuschauer des 21. Jahrhunderts gegenüber Philip K. Dick genießen, der seinen Roman vor über fünf Dekaden schrieb.

Hoher Besuch aus dem Greater Nazi Reich in The Man in the High Castle

So spielt sich beispielsweise eine Szene am Times Square ab, der in seinen Grundzügen eindeutig als dieser zu identifizieren ist. Doch dann hängt dort eine gigantische rote Hakenkreuzfahne, illuminiert, als handle es sich um die Ankündigung des jüngsten Broadway-Hits und verzerrt die ikonische New York-Location. Wo auf der Oberfläche das Nazi-Regime die Überhand gewonnen hat, finden sich im Hintergrund unzählige Verweise auf das, was vorher war (wie etwa alte Propagandaplakate aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs). Die Parallelwelt, in der The Man in the High Castle spielt, wird von einer herrlich eigenartigen Retro-Aura der 1960er Jahre dominiert, die futuristischen Errungenschaften einer undefinierten Zukunft integriert und dabei den Bezug zur tatsächlichen Geschichtsschreibung nichts vergisst. Sogar die Vorboten eines Kalten Krieges haben ihren Weg in die Pilot-Folge gefunden: Mit dem absehbaren Ableben von Adolf Hitler kündigt sich am Horizont ein unerbittlicher Machtkampf zwischen Joseph Goebbels und Heinrich Himmler an, der dafür sorgen würde, dass ein Dritter Weltkrieg ausbricht - dieses Mal zwischen dem Greater Nazi Reich und den Japanese Pacific States.

Abenteuer und Drama in The Man in the High Castle

Warum The Man in the High Castle trotz dieser - mitunter nerdigen bis gewöhnungsbedürftigen - Eigenheiten ausgesprochen gut funktioniert, liegt vor allem daran, dass sich die Serie ernst nimmt und somit weniger Satire als Drama und Abenteuer ist. Ein solches Serien-Universum bietet unglaublich viele Möglichkeiten, ein packendes Epos zu erzählen, das in puncto alternative Geschichtsschreibung einen doppelten Boden à la Watchmen - Die Wächter entfalten könnte. Sollte das Worldbuilding so weit passen und die Handlung den roten Faden nicht in überflüssiger Streckung des Ausgangsmaterials verlieren, dürfte einer guten ersten Staffel von The Man in the High Castle nichts mehr im Weg stehen. Lediglich, was die Figuren betrifft, gilt es noch einiges an Arbeit zu leisten, denn hier bewegen sich bisher nur Menschen durchs Bild, die am ehesten aufgrund ihrer Kleidung (verschwitzte Unterhemden und polierte Uniformen) bleibenden Eindruck hinterlassen.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News