Sein oder Nichtsein oder: Schon 1942 waren Nazis Witzfiguren

15.06.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Sein oder NichtseinArthaus
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Spätestens seit Das Leben ist schön wissen wir, dass sich auch der Zweite Weltkrieg für Parodie und Witz eignet. Sein oder Nichtsein glänzt bereits 1942 mit Humor und charmanten Charakteren. Mein Herz für Klassiker geht heute an Lubitschs Meisterwerk.

Adolf Hitler gibt Autogramme, die Deutsche Wehrmacht fällt in Polen ein und Josef Tura möchte viel lieber den Hamlet spielen. Dann ist da noch dieser Runninggag über "Concentration Camp Ehrhardt". Darf ein Film das? Und noch viel wichtiger: Darf er das bereits 1942? Dem damaligen Publikum nach darf er es nicht. Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein wurde nur wenige Wochen nach dem Eintritt der Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht und konnte seiner Zeit weder Besucher noch Kritiker überzeugen. An der Qualität des Films hat dies sicher nicht gelegen. Das Werk hat alles, was es zu einem großartigen Hollywood-Film braucht: einen ironischen Blick auf die damalige Zeit, eine moralische Botschaft, eine starke Frauenrolle und Helden, die sich selbst nicht zu ernst nehmen.

Der Lubitsch-Touch

Zu Beginn sehen wir Hitler in voller Montur mit Uniform, Hut, Reichsadler und Hakenkreuz. Ein Schauer läuft uns über den Rücken, bis wir merken, dass es sich um eine polnische Theater-Gruppe handelt, die gerade eine Satire über den deutschen Führer probt. Als Zuschauer werden wir nicht die einzigen sein, die im Verlaufe der haarsträubenden Handlung von Josef Tura (Jack Benny) und seinen Mitstreitern getäuscht werden. Um zu beweisen, dass er seinem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sieht, geht Hauptdarsteller Bronski (Tom Dugan) unter die Warschauer Bevölkerung, wo er um ein Autogramm gebeten wird. Doch während Regisseur (Charles Halton) und Darsteller noch - ähnlich dem Durchbrechen der berühmten vierten Wand - darüber diskutieren, wie viel Witz in der Figur Hitler liegen darf, erreicht die Gruppe die traurige Nachricht: Das Stück wurde von der polnischen Regierung abgesetzt, aus Angst, den deutschen Nachbarn zu erzürnen. Stattdessen muss sich das Ensemble an Shakespeares Hamlet versuchen.

Schon die Anfangssequenz hat, was John Farr von der Huffington Post  als "Lubitsch Touch" bezeichnet: Hier vermischen sich "Handlung, geistreiche Dialoge und aufwendiges Set-Design", es verbinden sich "inhaltliche Kultiviertheit und reiner Unterhaltungswert zu einer Komposition, die sich der breiten Öffentlichkeit erschießt." Das Erfolgskonzept des Films ist die Leichtigkeit, mit der er an die Thematik herangeht. Wenige Jahre später wäre ihm dies vielleicht nicht mehr auf diese Weise gelungen. Über das Ausmaß des durch den Nationalsozialmus entstandenen Grauens wird sich die Welt erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs bewusst.

"Was er mit Shakespeare getan hat, machen wir jetzt mit Polen."

Doch Lubitsch ist kein Thema zu ernst, um sich nicht darüber zu amüsieren. Auch für die Protagonisten scheinen die Schrecken des Krieges eher zweitrangig zu sein. Josef Tura ist hin- und her gerissen zwischen der Eifersucht auf den Liebhaber seiner Frau Maria (Carole Lombard) und der stolzen Aufgeblasenheit eines Schauspielers, der für seine Darstellung gewürdigt werden möchte. Die Helden der Geschichte sind nicht im klassischen Sinne heldenhaft. Nachdem die Nazis in Polen einmarschiert sind, haben auch die Turas und ihre Theater-Kollegen Sorge um Vaterland, Freiheit und das eigene Leben. Dem polnischen Widerstand schließen sie sich eher durch Zufall an und alles, was sie haben, um sich gegen das feindliche Regime zur Wehr zu setzten, ist ihr schauspielerisches Talent.

Im Verlauf der Geschichte muss Tura vor dem polnischen Professor Siletsky (Stanley Ridges), der heimlich für die Gestapo arbeitet, den Gestapo-Gruppenführer Ehrhardt spielen und umkehrt Ehrhardt (Sig Ruman) davon überzeugen, Professor Siletsky zu sein. Wirklich verquer wird die Situation jedoch, als Bronski Adolf Hitler mimen muss - und das, als der echte Führer gerade in Warschau zu Besuch ist. In Lubitschs Film treffen Verwechslungs-Slapstick und Eifersuchts-Komik auf ernste Tragik und derben Humor. Mit unserem zeitlichen und inhaltlichen Abstand ist der Film daher wunderbar anzusehen.

Wenn Ensemble-Mitglied Greenberg (Felix Bressart) die anwesenden SS-Offiziere mit der berühmten "Hat nicht ein Jude Augen"-Rede aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig ablenkt, dann ist dies eine wunderbar gewählte Metapher, rührend und erheiternd zugleich. Josef Tura ist hingegen eher an der vermeintlichen Affäre seiner Frau interessiert, als daran, Professor Siletsky als Gefahr für den polnischen Widerstand auszuschalten. Wenn umgekehrt Gruppenführer Ehrhardt an dem Glauben zugrunde geht, Maria Tura sei die Geliebte des Führers persönlich, stellt sich diese kleinliche Eifersucht auf den Kopf.

Unwiderstehliche Leichtigkeit

Diese Mühelosigkeit, mit der Lubitsch sich einer so todernsten Thematik nähert, grenzt an Unverfrorenheit. Was Sein oder Nichtsein so empfehlens- und sehenswert macht, ist genau diese perfekte Gradwanderung. Zu keinem Zeitpunkt gleitet der Film in die Pietätlosigkeit ab. Wunderbar verbindet er nationalsozialistisches Unterdrückungsregime mit lausbubenhaftem Klamauk. Hellmuth Karasek  bringt dies in seiner Rezension zum gleichnamige Remake aus dem Jahr 1983 von Regisseur Alan Johnson und mit Mel Brooks in der Hauptrolle auf den Punkt:

Aus diesem Stoff, der halb Hahnrei-Farce, halb Widerstandsdrama ist und halb (falls es eine dritte Hälfte gäbe) Theaterklamotte, hat der europäische Emigrant die perfekteste Hollywood-Komödie überhaupt geschaffen, eine Mischung aus Frivolität und Moral, aus politischem Witz und Dekadenz. Einen Film, der alle seine Situationen so oft umkehrt und spiegelt, bis das Unterste zuoberst ist; einen Film, der mit einem falschen Hitler den echten so treffend einfing, wie der nie sein konnte - vielleicht von Chaplins "Großem Diktator" abgesehen.

Über Sein oder Nichtsein können nicht nur die Deutschen herzlich lachen.

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