Mehr noch als beim Tatort verkörpern die aktuell ermittelnden Polizeiruf-Teams die ganzen Widersprüche der deutschen TV-Krimikultur. Da wechseln sich lebensnahe, vor Energie pulsierende Fälle aus Rostock mit den Rentnerspäßen aus Halle ab, da kommen auf jeden Polizeiruf 110: Cassandras Warnung drei Krimis der Marke Polizeiruf 110: Raubvögel. Letzterer ist der drittletzte Fall von Schmücke (Jaecki Schwarz) und den Kollegen aus Halle. Ein bisschen Wehmut ob der Entdeckung der Langsamkeit in den biederen Hallenser Krimis kam da schon auf.
Lokalkolorit: Präsentieren die Ermittler in Rostock in schöner Regelmäßigkeit norddeutsche Ecken, die so überhaupt nicht einladend wirken, ist Polizeiruf 110: Raubvögel ein einziger Werbeclip für Quedlinburg und Umgebung. Da stört auch der Mord an einem in krumme Geschäfte verwickelten Landhotelbesitzer wenig. Also macht sich der gerade aus dem Krankenhaus entlassene Schmücke auf, um mit dem Elektrofahrrad durch die grüne Idylle zu kurven, am Fuß des Quedlinburger Schlosses eine Apfeltasche zu futtern und die heimeligen Fachwerkhäuser zu bewundern. Gelegentlich ermittelt er auch.
Plot: Zwischen zwei Frauen steht André Wanka. Beiden macht er etwas vor und bezahlt dafür mit seinem Leben. Doch war es seine Lebensgefährtin Jenny Münzer, gelernte Falknerin, oder die eifersüchtige Ex-Frau und Ornithologin Maria Wanka? Und was haben der Umweltschützer Knut Köhler und der Ex-Dealer Dominik Münzer damit zu tun? Im Mittelpunkt des Gezänks steht ein hübsch gelegenes, aber schlecht laufendes Landhotel, in dem Kommissar Schmücke sozusagen Undercover unterkommt, während Schneider und Lindner auf konventionellem Dienstweg ermitteln. Unnötig aufgeblasen wird die Handlung durch eine Cannabis-Plantage auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz und wertvolle Adlereier. Aber wenigstens verdanken wir ersterer das göttliche Bild einer Hetzjagd von Schmücke und Schneider durch ein THC-Paradies.
Unterhaltung: So martialisch der Titel des neuen Polizeirufs auch klingt, mit einer gemütlichen Landpartie ohne Spannung hat das ganze mehr gemein. Trotz der verwurschtelten Beziehungen zwischen der Falknerin, ihrem Bruder, ihrem Lebensgefährten, dessen Ex-Frau und deren Liebhaber/Umweltschützer sowie dem Unternehmer Adamski steht zu jedem Zeitpunkt außer Frage, dass das persönliche Scheitern im Krimiplot nicht halb so interessant ist wie Schmückes kauzige Rückkehr in den Berufsalltag. Das ist ungeheuer träge, altbacken und fast schon wieder sympathisch. Vielleicht hätten sich die angehenden Rentner aus Halle vor langer Zeit zur Inspiration mal eine Folge der Senta Berger-Reihe Unter Verdacht anschauen sollen. Spannende Krimis lassen sich im hohen Alter schließlich auch ohne unglaubwürdige Verfolgungsjagden drehen.
Tiefgang: Vielleicht schießt das Gemäkel an der Harmlosigkeit der Hallenser Fälle aber auch am Ziel vorbei. So ein Ruhestandskrimi, zu dessen Höhepunkten der Moment gehört, in dem der eine Ermittler die neue Wetterjacke des anderen ausleiht, kann auch eine nette Verschnaufpause von all den sonntäglichen Mordfällen bieten, in denen es immer um alles geht. So ein Rostocker oder Münchner Polizeiruf lässt sich in seiner Intensität schließlich auch nicht jeden Sonntag ertragen.
Mord des Sonntags: Am Schneidetisch mit Abblenden notdürftig zerhackt, damit wir, wie hinterher herauskommt, nicht hören, wen der im Dahinscheiden begriffene Andrè im Wald grüßt. Und dann wird er auch schon mit dem Spaten erschlagen, der Arme.
Zitat des Sonntags: Ich bin nicht übergewichtig, ich bin authentisch.
Alles wie immer im Hallenser Tatort, aber wie hat euch der ländliche Krimi gefallen?