Regisseur versetzt Darsteller für 5 Jahre in Sowjetzeit

02.11.2011 - 10:00 Uhr
Sowjetisches Propagandaposter
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Unbeachtet vom Rest der Welt findet in der Ukraine ein unglaubliches Experiment statt. Seit fünf Jahren wird dort ein Film mit tausenden Statisten gedreht, die ein Leben wie in der Sowjetunion der 50er Jahre führen.

Es gibt Geschichten von Dreharbeiten, die selbst einen Film wert sind. Jene von Apocalypse Now gehören dazu, aber auch die 15-monatigen Therapiesitzungen zwischen Stanley Kubrick, Nicole Kidman und Tom Cruise für Eyes Wide Shut. Der eher unbekannte russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky scheint sie alle toppen zu wollen. Für seinen Film Dau hat er in der Ukraine eine Stadt errichten lassen, in der die Darsteller seit fünf Jahren unter sowjetischen Verhältnisse leben. Dort herrscht der Regisseur wie ein kleiner Diktator auf einem riesigen Filmset.

In einer umfangreichen Reportage der GQ können wir die Details des Großprojekts nachlesen. Seit fünf Jahren dreht Ilya Khrzhanovsky das Biopic über den sowjetischen Physiker und Nobelpreisträger Lew Landau und ließ dafür eine ganze Stadt im 50er Jahre-Stil errichten, inklusive falschen Rubel-Scheinen und funktionstüchtigen Toiletten. Jeder Besucher muss sich bei Ankunft in dem von Sicherheitsleuten bewachten Set ein zeitgemäßes Kostüm überwerfen und sobald die Stadt betreten wird, sind Wörter wie Facebook, Google oder C.G.I. verboten. In den 50ern waren diese schließlich nicht geläufig. Dafür lagern in den Wohnungen frische Lebensmittel, die alle mit dem Verfallsdatum 1952 versehen sind. 210.000 Statisten hat der Film bisher “verbraucht”, 300 Leute arbeiten am Set, 50 davon leben tagtäglich und im Kostüm in den simulierten 50er Jahren. Denn nur so können die Darsteller authentische Leistungen erbringen. Das zumindest meint der Regisseur.

Die schöne neue Sowjetwelt in Dau ist dabei in jeder Wohnung mit Mikrophonen ausgestattet, so dass Ilya Khrzhanovsky von überall in das nicht private Leben seiner Schauspieler mit der Kamera hineinlinsen kann. Für die Hauptrolle des russischen Wissenschaftlers wählte Khrzhanovsky einen griechischen Dirigenten, der kaum russisch spricht und begründet dies mit der schönen Aussage: “Alle Genies sind Ausländer”. Es lohnt sich nicht nur wegen solcher Zitate, alle glorreichen Details des gigantischen Projekts nachzulesen.

Ob der Film tatsächlich fertiggestellt wird, steht nämlich in den Sternen. Zwar sollen die Dreharbeiten seit Monaten beendet sein. Doch Ilya Khrzhanovsky gefällt sich in der Rolle des Regie-Diktatoren im Stile der 50er Jahre anscheinend so gut, dass er das Filmset bei Kharkov nicht verlassen will. Sofern er weitere Investoren für das mittlerweile 15 Millionen Dollar teure Projekt findet, könnte er seinen Größenwahn noch ein paar weitere Jahre ausleben.

Ilya Khrzhanovsky hat zuvor übrigens mit seinem Film 4 den Tiger Award beim renommierten Filmfestival in Rotterdam gewonnen. Schon allein wegen der skurrilen Hintergründe wäre es zu wünschen, dass sein dritter Film Dau tatsächlich irgendwann das Licht der Welt erblickt.

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