Rainbow Six: Siege — Ich bin der Typ, den ihr letztes Wochenende verflucht habt

10.12.2015 - 12:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Rainbow Six: Siege
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Rainbow Six: Siege ist ein Taktik-Shooter, der euch am liebsten als Team sehen möchte, das jeden Schritt gemeinsam bespricht und Hand in Hand zum Missionsziel marschiert. Darauf habe ich keine Lust gehabt und stattdessen die Möglichkeiten des Friendly Fire erkundet.

Vergangenes Wochenende habe ich beschlossen, meinen Mitspielern des Taktik-Shooters Rainbow Six: Siege nicht nur Steine, sondern ganze Bergwerke zwischen die Füße zu werfen: Ich habe zwei Runden lang Mitspielern in den Rücken geschossen. Es war kein politisches Statement, auch kein post-pubertäres Aufbegehren gegen Spielregeln, sondern einfache Neugierde. Was passiert, wann genau das passiert, was die Entwickler verhindern wollten? Während ich mit diesem Text nun meinen Kopf in den Pranger stecke, erzähle ich euch von den Erfahrungen, die ich im Zentrum der Friendly Fire-Hölle machen durfte. So unspannend war das nämlich gar nicht.

"Huch, sorry!": Der Wolf im Schafspelz

Mein Feldzug gegen die befreundete Rückenmuskulatur begann mit einem Versehen. Nachdem ich das Spiel ausführlich durchexerziert hatte und angesichts des unerfüllten Potenzials ein eher enttäuschtes Fazit zog , wollte ich mich für ein paar letzte Runden noch einmal auf die Server begeben, bevor das Spiel endgültig im Regal landete.

Im Chaos des Geschehens kann der Finger schnell einmal ausrutschen. Oder?

Eine neue Lobby war schnell gefunden und nach wenigen Sekunden befand sich mein Soldat mit den virtuellen Vertretern meiner Mitspieler in einer Seitenstraße. Keiner von uns benutzte ein Headset und so standen wir für einen kurzen Moment etwas ratlos herum, nachdem wir den Ladebildschirm verlassen hatten.

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie es dazu kommen konnte, aber plötzlich löste sich ein Schuss aus meiner Schrotflinte und die durchschlagskräftige Munition rang einen meiner Mitspieler sofort zu Boden.

Es war ein Magic Moment — allerdings keiner der guten Sorte, die uns noch jahrelang im Gedächtnis bleiben und von denen wir irgendwann unseren Enkeln erzählen. Es war ein Schockmoment, ein harter Tabu-Bruch mit all den Mechaniken und Implikationen, die das Spiel um die simulierte Geiselnahme aufgebaut hat. Eigentlich war ich einer der "Guten" und im Haus vor uns warteten die "Bösen". Ich hatte mit einem Klick die Regeln gebrochen — und meine Mitspieler reagierten völlig unerwartet.

(K)Ein Team, das zusammenhält.

Fast instinktiv und möglicherweise jahrelang in anderen Shootern trainiert, rissen die drei verbliebenen Spieler ihre Waffen nach oben und eröffneten ebenfalls das Feuer aufeinander. Wir gingen alle zu Boden, die Runde endete, jemand kickte mich aus der Lobby — und ich spürte so viel Adrenalin in mir, wie es Rainbow Six: Siege in all den Runden und all den Alpha- und Beta-Phasen zuvor nicht geschafft hat.

Das wollte ich noch einmal probieren.

"Was soll der Mist!": Die Konfrontation

In der nächsten Runde waren die Bedingungen ein wenig anders: Zwei meiner Mitspieler besaßen ein Headset und tauschten sich bereits im Hauptmenü angeregt über Strategien aus. Ich spürte eine gewisse Hemmschwelle, die sich in mir aufbaute. Die Möglichkeit des Friendly Fire auszunutzen und dann möglicherweise mit einer hefigen und hörbaren Reaktion konfrontiert zu werden, zügelte meine Neugierde etwas.

Im Level angekommen verhielt ich mich zunächst unauffällig und folgte einem der beiden Headset-Besitzer, nachdem sich die Gruppe gemäß den Anweisungen des Duos aufgeteilt hatte. In einem Moment der Zweisamkeit zückte ich schließlich meinen schallgedämpften Revolver und schickte den Mitspieler mit zwei Schüssen vom Spielfeld.

Sobald es zur verbalen Konfrontation kam, wurde es sehr unangenehm.

Fast unmittelbar ergoß sich ein Schwall an Beschimpfungen über mich, die das Opfer wütend ins Mikrofon bellte. Kurz darauf ging er dazu über, den zweiten Headset-Besitzer zu überreden, das eigentliche Ziel des Spiels zu vergessen und ihn zu rächen. Unter der Androhung, selbst das Spiel zu verlassen, konnte er seinen Partner schließlich überzeugen und dieser suchte den Level nach mir ab, während die beiden übrigen Mitspieler bereits im Sturmfeuer der eigentlichen Gegner unseres Teams gefallen waren. Mein erstes Opfer beschrieb ihm dank des Beobachter-Modus meine Position mit wütender, sich überschlagender Stimme und quittierte schließlich mein unvermeidliches Ableben mit einem lauten Lachen.

Noch in diesem Moment und ohne lange nachzudenken beendete ich das komplette Spiel instinktiv und starrte im Dashboard der PS4 angelangt für einige Minuten auf den beruhigend wabernden Hintergrund. Die heftige Reaktion meines Mitspielers, der zuerst unter dem unerwarteten Feuer gefallen war, trommelte immer noch in meinen Ohren und spürte eine Mischung aus Scham und schlechtem Gewissen. Die Konfrontation hatte ausgereicht, mir jegliches Interesse an diesem Experiment zu nehmen, das nach außen hin wie gedankenloses Herumtrollen wirken musste.

Und die Moral der Geschichte?

Ich spiele regelmäßig kompetitive Titel online und im Multiplayer: Auch wenn es in Spielen wie League of Legends oder Call of Duty: Black Ops 3 kein Friendly Fire im klassischen Sinne gibt, existieren zahllose Möglichkeiten, den eigenen Teamkameraden auf die Nerven zu gehen und auch ganz ohne ein sozialpsychologisches Experiment im Hinterkopf — deutlich gesagt — ein Arschloch zu sein. Und ihr könnt es euch wohl denken: Diese Möglichkeiten werden gerne und häufig genutzt.

Auf Youtube gibt es zahllose Beispiele für das gezielte Trollen in League of Legends.

Ein Mitarbeiter von Riot Games, dem Entwickler hinter dem höchst erfolgreichen MOBA League of Legends, verriet mir einmal, dass die Community täglich zwischen 17 Uhr und 20 Uhr am meisten zum Herumtrollen neige. Das sei die klassische Feierabend-Zeit, in der sich der Frust des Tages entlädt — häufig eben auf virtuellen Schlachtfeldern und auch begünstigt durch den Umstand, dass hier eine Konfrontation abseits eines abschaltbaren Chats nicht stattfindet.

Basierend auf meinen Erfahrungen an jenem Wochenende mit Rainbow Six: Siege glaube ich mittlerweile, dass dieses toxische Verhalten durchaus eingedämmt werden kann, etwa durch eingebaute Sprachchats im Spiel, die nicht über Third-Party-Anbieter wie Teamspeak oder Skype laufen. Ja, auch diese Feedback-Kanäle können stummgeschaltet werden, doch existiert damit theoretisch die Möglichkeit, unüberlegt spielende Teamkameraden oder Trolle direkt anzusprechen. In Spielen mit starkem kooperativen Aspekt ist zudem die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Mute-Finger deutlich seltener zum Einsatz kommt als in anderen Genres.

Versteht mich nicht falsch, es geht hierbei nicht darum, möglichst schnell eine Beleidigung an Köpfe werfen zu können, sondern als Opfer eine Reaktion zu übermitteln, die dem Täter das Gefühl gibt: Das war gerade nicht richtig. Das ist kein Spaß mehr. Du versaust uns allen das Spiel.

Zumindest bei mir hat das geklappt.

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