Vor 17 Jahren machte der Belgier Koen Mortier mit seinem Debütfilm Ex Drummer mit einem Paukenschlag auf sich aufmerksam. Seine zynische Studie kam als Skandalfilm voller Tabu-Brüche daher, verstörte und rüttelte auf. Nun meldet sich Mortier mit einem neuen Film am gesellschaftlichen Abgrund zurück: Skunk.
Skunk stellt mit eindrücklichen Bildern die Frage nach dem "Warum?"
Am Anfang von Skunk steht der Satz "Jedes Kind hat eine Story zu erzählen", am Ende die Information "basierend auf wahren Geschichten". Dazwischen wartet eine eindrückliche Filmerfahrung, die als Sozialdrama und Gesellschaftskommentar unter die Haut geht.
Im Mittelpunkt von Skunk steht Liam (Thibaud Dooms), ein vernachlässigter Teenager aus prekären Verhältnissen. Mit seinen 17 Jahren ist er weder Kind noch erwachsen. Mit seinem kurzgeschorenen Haar wirkt er in manchen Szenen unvorstellbar jung und verloren, während andere Auftritte ihn im nächsten Moment plötzlich reif und gefährlich wirken lassen. Es ist das Alter, in dem Jugendliche noch geprägt werden können, aber zugleich beim Über-die-Stränge-Schlagen leicht eine Grenze überschreiten, ohne an die Folgen zu denken.
Am Ende von Skunk wartet eine Eskalation der Gewalt und wie so oft steht die große Frage nach dem "Warum?" im Raum. Wie konnte es so weit kommen? Schon zu Beginn des Film kündet eine ausgebrannte Ruine von dem Unheil, das später noch passieren wird, bevor Polizisten einen blutverschmierten Liam mitnehmen. Skunk versucht, sich im Folgenden als nüchterne Beobachtung einer Herleitung dessen, was niemand aussprechen kann.
Skunk liefert ein einschneidendes Auf und Ab der Stimmungslagen
Liams Familie lernen wir in Skunk vor allem in Rückblenden und bei unerwarteten Besuchen kennen. Seine drogenabhängige Mutter sabotiert das Elterngespräch in der Schule, sein Vater macht nicht nur auf dem Fußballplatz von seiner Faust Gebrauch. Den Großteil des Films verbringt der Jugendliche allerdings in seinem Heim, in dem ernsthaft bemühte Sozialarbeiter:innen versuchen, "schwierige Teenager:innen" zu retten und auf den rechten Weg zurückzubringen.
Die vorbelasteten Jungen dort haben alle Traumata im Gepäck. Trotzdem scheinen Methoden der mütterlichen Pauline (Natali Broods), des väterlichen Jos (Dirk Roofthooft) und des kumpelhaften David (Boris Van Severen) immer wieder zu fruchten und auch die Pferdetherapie findet bei Liam Anklang. Nach einem gemeinsamen Ausflug ist das Kitzeln und Kichern im Bus wie ein Aufatmen. Nur um in der nächsten Szene mit einem Selbstmordversuch emotional niederschmetternd auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.
Auch wenn das Personal der Besserungseinrichtung ehrlich helfen will, bleibt der Ort ein schwieriges Umfeld. Schließlich sind die jungen Bewohner:innen genauso gebrochene Seelen wie Liam, was dem Teenager nur weitere Herausforderungen auflastet. Sei es nun im wiederholten Aneinanderstoßen mit seinem Rivalen Momo (Soufian Farih), der sich im Heim aufspielt und bald mehr als nur Sitzplätze einfordert. Oder sei es im Umgang mit Johan (Flo Pauwels), der ein loyaler Freund sein könnte, aber mit seinen Fantasien angezündeter Kätzchen verstörende Abgründe eröffnet.
Die Achterbahnfahrt der Stimmungsschwankungen, die das Publikum durch den Wechsel von Hoffnung und Abstürzen durchläuft, spiegelt überzeugend die chaotische Gefühlslage des Protagonisten wider. Dass Skunk in einer Erzählung immer wieder in der Zeit springt, verdeutlicht außerdem, wie seine Erinnerungen und Erfahrungen in die Gegenwart seines Besserungsversuchs eingreifen.
Skunk geht bis an die Schmerzgrenze der filmischen Erfahrung
Wenn Koen Mortier uns in die Extreme von Liams Alltag mitnimmt, schießt er mit daheim bezeugten Sexorgien und emotional durchdrehenden Müttern gelegentlich übers Ziel hinaus. Aber größtenteils hält sich Skunk an das Motto von Realismus statt Überzeichnung und entwickelt dadurch seinen Sog, der mit dem Gezeigten bis an die Schmerzgrenze führt. Und bis zur finalen Eskalation, deren Ankündigung man erst rückblickend kommen sieht.
Am Ende "erklärt" Skunk nicht vollständig, welche Einflüsse Liam zu seiner Tat treiben. Und das ist gut so, denn selbst ein Film kann und sollte nicht vollständig in einen Menschen hineinsehen, um ihn auf Prägungen und Auslöser herunterzubrechen. Viele Faktoren tragen zum Finale bei und nicht alles lässt sich psychologisch herleiten. Das Sozialdrama wählt stattdessen den komplexeren Weg, eher zu erfahren als zu erklären. Mit Erfolg: Als schwer verdauliche und gerade deshalb sehr lohnenswerte Filmerfahrung einer dramatischen Kindheitsgeschichte schneidet Skunk tief.
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Wie und wo ihr Skunk schauen könnt:
Der Vorverkauf hat bereits begonnen: Skunk läuft im September 2024 auf dem Fantasy Filmfest: am heutigen 5. September 2024 zunächst in Berlin; anschließend am 15.9. in München, Nürnberg, Stuttgart und Hamburg sowie am 20.9. in Frankfurt und Köln.
Einen deutschen Start im Kino, Heimkino oder Stream hat Skunk darüber hinaus bislang noch nicht.