Eine Verbeugung zum Abschied - Wie der Wind sich hebt

09.08.2014 - 08:20 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Miyazakis Verbeugung zum Abschied: Wie der Wind sich hebt
moviepilot/Ghibli/Universum
Miyazakis Verbeugung zum Abschied: Wie der Wind sich hebt
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Diese Woche feiert der Kommentar der Woche das letzte Meisterwerk Hayao Miyazakis und der Ghibli-Studios: Wie der Wind sich hebt!

Jeden Samstag spielen wir Prospero und zaubern euch im Kommentar der Woche große Worte eines eurer Mit-moviepiloten in die News. Dabei kann jeder Kommentar die Drosophila sein, die einen Hurrikan entfacht, ob er zu einem groß angekündigten Film geschrieben wurde, der sich als laues Lüftchen entpuppte, zu einer Serie, die sich als aufziehender Sturm erwies, einem Genre, das eine frische Brise vertragen könnte oder zu Schauspielern, die noch nie mehr als einen Hauch von Nerz getragen haben. Eine kurze Nachricht, um uns auf den Kommentar hinzuweisen, reicht schon aus, und vielleicht weht er schon nächsten Samstag durch den Kommentar der Woche.

Der Kommentar der Woche
Keine Kontroverse: Ben Kenobi sieht im neuesten und letzten Ghibli-Film Wie der Wind sich hebt, den schönsten, vielleicht besten und definiv würdigsten Abschluss für Lebenswerk von Hayao Miyazaki.

“Le vent se lève! Il faut tenter de vivre!” / “The wind is rising! We must try to live!” – Paul Valéry

Nicht nur der Titel von Hayao Miyazakis letztem Film ist ein Zitat – der ganze Film steckt voller Zitate. Neben den vermutlich zahlreichen, für den unkundigen Europäer aber nicht erkennbaren Verneigungen vor der eigenen, der japanischen, Kultur, finden sich in “The Wind Rises” Anspielungen und Fragmente aus den verschiedensten anderen, vornehmlich europäischen, Kulturen. So spielt der italienische Luftfahrt-Pionier G.B. Caproni eine bedeutende Rolle als Inspiration für den Protagonisten, den Mitsubishi-Ingenieur Jiro Horikoshi (basierend auf der realen Person). Daneben spielen so diverse Kuriositäten, wie britische Fliegerheftchen, ein Beethoven-Porträt, Musik von Schubert und Thomas Manns “Zauberberg” in die semi-reale Welt Miyazakis hinein. Aus Manns Werk wurde sogar ein kompletter Charakter entlehnt. Passend dazu ist “The Wind Rises” im Vergleich zu anderen Ghibli-Filmen erstaunlich multilingual: Neben Japanisch wird im Film auch Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch gesprochen.

All dies deutet zweierlei an: Auf der einen Seite steht diese internationale Anreicherung im steten Wechsel mit der eigentlichen Erzählung, in der es unter anderem um das Bestreben der Japaner kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geht, technisch mit den Europäern aufzuschließen. Auf der anderen Seite verdeutlicht dies: “The Wind Rises” ist in seiner Anlage der wohl größte, allumfassendste Film, den Miyazaki je geschaffen hat. Nicht nur, indem er die Welt außerhalb Japans anerkennt und einbezieht, sondern besonders auch in seiner Erzählstruktur: Auf Basis einer wahren Biografie entwickelt Miyazaki ein ernstes Drama, das grundsätzlich nicht unähnlich zu “Die letzten Glühwürmchen” konstruiert ist, verwebt dies aber immer wieder mit Traum- und traumartigen Sequenzen, die eher an den fantastischen Surrealismus eines “Totoro” oder einer “Kiki” erinnern. Im Prinzip vereint er hier also das Beste beider Welten. Darüber hinaus scheut er nicht davor zurück, sich in seiner Charakterisierung Horikoshis nicht auf den Lebenstraum vom Flugzeug-Design zu beschränken, sondern auch die alte Frage nach der Moral hinter militärischer Forschung und Erfindung neu anzusprechen, die Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg zu hinterfragen, eine Reihe interessanter Nebencharaktere einzuführen und ganz en passant eine der schönsten und traurigsten Liebesgeschichten aller Zeiten zu erzählen. Wie er das alles in zwei Stunden Laufzeit unterbringt? Ich weiß es nicht, aber es funktioniert erstaunlich gut.

Die optische und akustische Gestaltung des Films sind weiterhin selbst für Ghibli-Verhältnisse auf äußerst hohem Niveau. Wer zum Beispiel einmal eine bestürzend real und bedrohlich wirkende Darstellung eines schweren Erdbebens sehen will, sollte sich lieber “The Wind Rises” anschauen als eine Dokumentation. Und nicht nur in ‘großen’ Szenen wie dieser zeigt sich die unglaubliche Detailtreue der Zeichner und Grafiker. Jedes, wirklich jedes Bild in diesem Film ist eine für sich stehende Studie voller liebevoller und glaubwürdiger Nuancen. Untermalt von einem wundervollen Score von Joe Hisaishi (auf den ich erst vor kurzem durch die gute Zimtmond aufmerksam gemacht wurde), wird der Zuschauer so über die Laufzeit wahrlich in eine andere Welt gesogen, in der Weltgeschichte, persönliches Schicksal und lebendige Träume sich zu einem stimmungs- und hoffnungsvollen Ganzen fügen, dessen Grundtenor eine angenehm existentialistische Note trägt. Denn: “Le vent se lève! Il faut tenter de vivre!”

Miyazaki soll zu “The Wind Rises” inspiriert worden sein durch ein Zitat Horikoshis: Alles was er in seinem Leben tun wolle, sei etwas Schönes zu erschaffen. Dem Horikoshi im Film gelingt dies, auch wenn seine Flugzeuge schließlich als Kriegsmaschinen Verwendung finden. Ganz sicher ist dies aber auch Miyazaki gelungen, der mit “The Wind Rises” nicht nur seinen letzten, sondern vielleicht auch seinen ästhetischsten und rundum schönsten Film geschaffen hat, einen alles Große und Kleine im Leben umfassenden und lauthals “Carpe Diem!” rufenden Film. Ein Film, der im Übrigen auch voller Anspielungen auf das Altern steckt, und darauf, dass die aktive Zeit eines Menschen sehr begrenzt ist. Miyazaki jedenfalls hat seine Zeit beneidenswert gut genutzt – und mit “The Wind Rises” einen meisterhaften und würdevollen Abschluss für ein beeindruckendes Lebenswerk kreiert.


Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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