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Marvel, das Fast Food der Filmindustrie

20.07.2015 - 14:45 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Helden, vereint euch! Wir brauchen euch!
Marvel/Disney
Helden, vereint euch! Wir brauchen euch!
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Der Erfolg gibt Disney recht: mit ihrem Universum rund um Captain America und den Hulk haben sie eine Fortsetzungskultur geschaffen, welche die gesamte Kinolandschaft Hollywoods für immer verändern könnte.

Vor drei Jahren, als ich eine überhitzte Nachmittagsvorstellung von Marvel's The Avengers besuchte, fühlte ich die Erschöpfung, die mich bereits zur Pause in der Mitte übermannte, nicht nur aus den hohen Temperaturen resultieren, sondern auch aus dem zuvor Erlebten. Blockbuster wie dieser – und hierbei handelt es sich um ein Musterbeispiel postmoderner Kinounterhaltung – neigen dazu, mich sehr mitzunehmen, aber auf eine eher unangenehme Art und Weise. Wenn ein Film den Rezipienten körperlich auf das höchste Maß beansprucht, bin ich normalerweise immer dabei: so wird die Distanz gebrochen. Doch die Erfahrung, die man mit Blockbustern dieser Art macht, mag mich – ganz entgegengesetzt – überhaupt nicht zufriedenzustellen, mehr noch, es nervt mich gerade zu. So half es auch nicht, dass zuvorkommende Mitarbeiter die Notausgänge öffneten, um den Saal zu lüften. Draußen war es sowieso selbst viel zu warm. Disney fährt mit Marvel seit ein paar Jahren eine ausgetüftelte Strategie, die wohl langfristig (oder schon mittelfristig) das Kino (für immer?) verändern  wird. Denn Disney hört nicht bei den kunterbunten, quietschfidelen Superhelden auf: auch Star Wars und andere Franchises werden bereits in diese Richtung gelenkt. Marvelization  bzw. Marvelisierung wird dieses Phänomen bereits genannt. Als bereits benannter Terminus meint es die „komplexe“ Ausweitung eines Universums (s.u.) auf mehrere Filme, jedoch in einer Art und Weise, die sich von der üblichen Fortsetzungsstruktur unterscheidet. Alles ist verbunden, jederzeit – das Große Ganze ist das übergeordnete Ziel.

Es ist nicht nur auf den ersten Blick eine erstklassige Verkaufsstrategie: der Kassensturz wurde bereits vorgenommen und bescheinigt dem Marvel Cinematic Universe (MCU) den Status des erfolgreichsten aller Zeiten – ob sie in naher Zukunft von Star Wars überholt werden, muss man sehen. Spielt aber letztlich keine Rolle, gehört doch beides zu Disney. Mir kommt bei dem Begriff der Marvelisierung aber auch noch etwas ganz anderes in den Sinn, was an die These der sich allgemein verändernden Kinolandschaft Hollywoods anschließt: eine eher etwas neuere soziologische Theorie von George Ritzer  behandelt den Prozess der Rationalisierung in der (Spät-)Moderne oder bereits Postmoderne, der sich für ihn vor allem am Beispiel eines großen Fast-Food-Konzerns zeigt – McDonald’s. Ritzer geht so weit und sieht den Konzern nicht nur als Paradigma dieses Prozesses, sondern spricht gar von der McDonaldisierung  der Gesellschaft. Diese These basiert auf vier Grundpfeilern: Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Man muss bei der Übertragung auf Marvel und seine filmischen Ergüsse natürlich vorsichtig sein, jedoch würde ich an dieser Stelle vor allem die Berechen- und Vorhersagbarkeit der Filme hervorheben, die sich in den letzten Jahren, vor allem in den letzten Monaten immer mehr aufgetan hat: man bekommt eine große Menge geboten, nichts steht so wirklich für sich und das Gesamtbild bleibt das Wichtigste (deshalb sind manchmal auch die Abspannszenen am wichtigsten – wirklich absurd, wenn man bedenkt, dass sie bloß fadenscheinig einen weiteren Film ankündigen, der dann wiederum mit Abspannszenen aufwartet…); dazu kommt mittlerweile, dass man nahezu vollkommen voraussagen kann, was man letztlich bekommen wird: das ist in der Regel ein selbstironischer Held (wider Willen), der sich über sich selbst und seine Welt amüsieren kann (á la „Dein Name ist aber lächerlich!“ – „Ja, da hast du recht, aber den hab ich mir auch nicht selbst gegeben!“), eine absolut generische Actiondarbietung (s.u.) und blasse Antagonisten ohne jegliches Profil (wie hieß noch gleich der Bösewicht in Guardians of the Galaxy? Ja, genau), sowie die Sicherheit, dass die Helden niemals wirklich zu Schaden kommen werden. Marvel ist also das Fast Food der Filmindustrie. Von vielen Seiten wurde eben genau das bereits angesprochen: es schmeckt doch, man wird gesättigt, aber vielleicht ist man irgendwann überfressen. Vielleicht mag man aber schon gar nicht mehr anfangen, wenn man weiß, dass man sowieso das gleiche bekommen wird wie beim letzten Mal? Nun, die Zahlen sagen etwas anderes aus.

Genauso sprechen die Hypes, Einflüsse auf Popkultur und flächendeckende Internetbegeisterung eine andere Sprache – dass es immer wieder Leute gibt, die gezwungenermaßen gegen den Strom schwimmen müssen, ist dabei genauso obligatorisch wie das repetitive Feiern der immer gleichen Repetition. Doch einige sind auch, womöglich ganz ohne rebellischen Unterton, darauf gekommen, dass wir es hier mit einer womöglich grundlegenden Veränderung Hollywoods zu tun haben – denn ein Schema ist hier seit langer, langer Zeit unabänderlich gleich: wenn etwas Erfolg hat, wird es fortgeführt. Und ausgeweitet. Und kopiert, was das Zeug hält. Die Gefahr bei dieser Marvelisierung, dass bestimmte Handlungsmuster sich durch Gewohnheit manifestieren, ist eine mögliche Konsequenz, die aber letztlich auch aus vielen anderen Erzeugnissen resultieren kann und es bereits lange schon tut, weshalb das hier kaum das Hauptthema sein kann (ich aber sicher mal an anderer Stelle thematisieren werde). Die angesprochenen Actionsequenzen, die mir in ihrer generischen Art und Weise etwas sauer aufstoßen, sind letztlich selbst eine ganz allgemeine Krankheit des Mainstreamkinos. Oft und von allen Seiten wird mir die vermeintliche Wahrheit zugetragen, dass Actionfilme doch der Gipfel des Unterhaltungskinos sein müssten (womöglich Hand in Hand mit Komödien). Ich möchte die Möglichkeit dazu auch kaum abstreiten, aber mich langweilen Actionfilme sehr oft, wenn sie allzu unoriginell inszeniert und choreographiert sind. Blockbuster manifestieren aber, so scheint es mir, heutzutage die Vorstellung von der sich immer wiederholenden Art und Weise, wie Konflikte in Geschichten aufgelöst werden. Beispiel: eine Stadt ist in Gefahr und irgendjemand muss (und wird) die dort lebenden Menschen retten, dabei gibt es massiven materiellen Schaden und die gesamte Angelegenheit kann sich schon mal auf über eine halbe Stunde ausbreiten (Transformers 3, Marvel's The Avengers, Marvel's The Avengers 2: Age of Ultron, Man of Steel, …). Somit zeigt sich also: dies ist kein Phänomen, was das MCU allein mit sich gebracht hat.
Ebenso wie die Uniformität von solchen Blockbusterfilmen nichts ungemein Neues ist – der Unterschied, weshalb das Thema auch so relevant ist und heiß diskutiert wird, besteht aber darin, dass Marvel eben diese Eigenschaft auf eine Art und Weise institutionalisiert hat (und es noch weiter tut), dass nicht nur ein paar Filme im Sommer das alljährliche Spektakel liefern und mit dem sich ewig wiederholenden Schema womöglich Kassenrekorde brechen. Die Marvel-Filme treten in einer Anzahl und flächendeckenden Omnipräsenz auf, dass man sich dem nicht entziehen kann. Dazu kommt die bereits erwähnte Ausbreitung dieses Schemas, dieses Mechanismus auf Star Wars – und wer weiß, welche Franchises sich zukünftig noch dazu gesellen können.

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