Was mir an "Logan" gefallen hat:
Der auf persönliche Konflikte heruntergebrochene Plot,
der ohne Effektbombast und Overkillfinale auskommt und damit im
aktuellen Superheldenkino eine Ausnahme darstellt. Charles, Logan und
Laura reisen wie eine aus drei Generationen bestehende Familie quer
durch die USA. Die X-Men sind tot, Logan hat dank der DoFP-Zeitreise all
seine Freunde zweimal sterben sehen und muss mit seinen schwindenden
Reflexen und Selbstheilungskräften fertigwerden. Wozu lohnt es sich noch
zu kämpfen, wenn am Ende sowieso alles Aufgebaute zerbricht? Charles
hat neben dem natürlichen Alterungsprozess - er ist mittlerweile 90
Jahre alt - mit der Tatsache zu kämpfen, dass ausgerechnet er an einer
neurodegenerativen Krankheit erkrankt ist. Laura, die als
Militärexperiment jahrelang eingesperrt war und deren bisheriges Leben
durch Gewalt und Angst bestimmt wurde, erscheint hier wie ein
zweigeteiltes Wesen. Zum Einen ist sie ein Kind mit kindlichem Spaß und
großem Abenteuergeist für die Welt da draußen, die sie nie kennengelernt
hat. Zum Anderen ist aufgrund des Militärexperiments aber eben auch
Wolverines Tochter, die in Momenten der Wut, Angst oder Trauer ihrem
tierischen Wesen freien Lauf lässt. Wer in seinem Leben zudem nur Gewalt
erfahren hat, wird zur Lösung von Konflikten wahrscheinlich auch selbst
Gewalt anwenden.
Die Radikalität und Brutalität, mit denen James
Mangold hier zu Werke geht. Ich bin niemand, der unbedingt Gewalt in
einem Film fordert und die bisherigen X-Men-Filme als Weichspüler
bezeichnet, aber es ist doch ein erfrischendes und angenehmes Gefühl,
Wolverine mal aus einer blutigeren Herangehensweise heraus zu
betrachten. Zumal dies dem Finale bedeutend mehr Ausdruck und
Endgültigkeit verleiht, als es in einem PG-13-Film möglich gewesen wäre.
Zum Abschluss und nach 17 Jahren hat es Hugh Jackman mehr als verdient,
genau so brutal wie in den Comics auftreten zu dürfen.
Das postapokalyptische und futuristische Westernsetting.
Bisher spielten die X-Men-Filme zum Großteil entweder in der Gegenwart oder der
Vergangenheit, die Zukunft wurde im Franchise abseits des DoFP-Plots noch nicht beleuchtet und
dementsprechend beschreitet "Logan" hier abermals einen neuen und
erfrischenden Weg. Das postapokalyptische Westernsetting korreliert mit
dem Inhalt. Die Welt geht zu Ende und erscheint leer, ebenso wie Charles
und Logans Leben zu Ende gehen und sie darin keinen wirklichen Sinn
mehr sehen. Wenn man dies mit der Farbgebung des Films und den
Autoverfolgungsjagden kombiniert, könnte "Logan" fast schon im "Mad
Max"-Universum angesiedelt sein. Des Weiteren erinnert mich Logans Kampf
gegen die sogenannten Reaver an "The Dark Knight Returns" und Batmans
Kampf gegen die Mutanten. Logan und Batman sind beides gealterte
Veteranen, die im Kampf auf einmal jüngeren und kräftigeren Burschen
gegenüberstehen. Als Alphamännchen herrschten sie bisher über ihr
Revier, nun wird ihnen diese Position streitig gemacht. Und je
abgewrackter Hugh Jackman in dieser postapokalyptischen Westernzukunft
aussieht, desto mehr trauere ich der Vorstellung nach, dass er in der
kommenden "Der dunkle Turm"-Verfilmung einen perfekten Roland Deschain
abgegeben hätte!
Die schauspielerischen Leistungen. Hugh Jackman und
Patrick Stewart spielen so gut wie immer und dank Boyd Holbrook dürfen
wir einen fiesen Schurken erleben. Die größte Überraschung und für mich
das Highlight des Films: Dafne Keen als Laura Kinney bzw. X-23! Nicht
nur die Action beherrscht sie, teilweise lässt sie sogar Jackman und
Stewart im wahrsten Sinnes des Wortes alt aussehen.
Was mir an "Logan" nicht gefallen hat:
Der Handlungaufbau und die Laufzeit. Das klingt
vielleicht etwas merkwürdig, aber trotz der oben erläuterten
Ausnahmestellung im aktuellen Superheldenkino folgt "Logan" meiner
Empfindung nach in früheren Filmen komplett ausgetretenen Pfaden. Die
Handlung verläuft größtenteils überraschungsarm und vorhersehbar, was
mir dementsprechend leider etwas die Begeisterung nahm. Zudem steht die
Laufzeit von 140 Minuten in krassem Kontrast zur eigentlich sehr
persönlichen und kleinen Geschichte. Auch auf kleiner, ruhigen Ebene
kann ein Film aufgeblasen wirken, "Logan" hätte eine Kürzung von 20
Minuten denke ich sehr gut getan, Längen hätten so vermieden werden
können.
Der Abschiedsgedanke und mangelnde Emotionalität.
Vorab wurde ja bereits angekündigt, dass mit "Logan" Hugh Jacksam als
Wolverine und Patrick Stewart als Charles Xavier aus dem Franchise
verabschiedet werden. Ich hätte aber nicht damit gerechnet, dass es
Mangold mit diesem Abschiedsgedanken dermaßen übertreiben kann. In jeder
Szene wird man daran erinnert und wie ein Witz, den man ständig erzählt
bekommt, läuft sich dies irgendwann tot und der Effekt verfehlt sein
Ziel. Als es dann schließlich zu den beiden Abschiedsszenen kam, war ich
schon so abgehärtet, dass mir die eigentlich sehr emotionalen Momente
nicht mehr viel bedeuteten. Nicht nur das, des Weiteren werden die
beiden Abschiede mehr oder weniger nebenbei eingefügt. Charles Abschied
ist Teil einer Actionszene, in der allerdings Logan im Fokus steht. Und
bevor man Logans Abschied wirklich begreifen kann, endet der Film und es
folgt ein 08/15-Abspann mit fröhlicher Musik. 17 Jahre Hugh Jackman als
Wolverine und dann so ein stinknormaler Abspann? Das hat schon "Harry
Potter"-Kaliber!
Der Bruch mit der neuen X-Men-Trilogie (First Class, DoFP, Apocalypse).
"Days of Future Past" endet 2023, "Logan" setzt 2029 ein. Sechs Jahre,
in denen die Welt vor die Hunde geht, nahezu sämtliche Mutanten sterben
und Logan und Charles sich zu körperlichen und geistigen Wracks
entwickeln. "Logan" macht dies keineswegs zu einem schlechteren Film,
auf das DoFP-Ende wirft diese Entwicklung jedoch ein Licht, welches mir
nicht wirklich zusagt. Es fühlt sich einfach falsch an, dass sich
bereits sechs Jahre nach dem Happy End alles so zum Negativen entwickelt
haben soll. Meiner Meinung nach hätte "Logan" in dieser Hinsicht 20-30
Jahre nach dem DoFP-Ende spielen müssen. Die neue Trilogie gibt mir mit
seinen evolutionswissenschaftlichen und politischen Kommentaren
bedeutend mehr als "Logan", der sich "nur" bzw. primär auf persönlicher
Ebene abspielt. Aufgrunddessen merke ich, wie ich mich innerlich
automatisch etwas von diesem Wolverine-Solofilm distanziere.
Alles in allem überwiegen zwar die positiven Aspekte, aber aufgrund
der negativen Punkte kann ich nicht komplett in die Lobeshymnen
einstimmen. 6-7/10 Punkten.