Kunst oder Kitsch?

11.09.2014 - 16:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bild zu Kunst oder Kitsch?
20th Century Fox
Bild zu Kunst oder Kitsch?
33
24
Es ist eine uralte Frage. Wie definiert man Kunst? Da die Grenzen fließend sind, heißt es oft: Kunst liegt im Auge des Betrachters. Das stimmt zwar, besonders im Detail, aber ganz so beliebig ist das mit der Kunst dann doch nicht. Nein, es gibt konkrete Hinweise, die den Unterschied greifbar machen können, ob ein Werk nun Kunst ist oder beispielsweise Kitsch.

Fragen wir uns zunächst: Ist eine solche Unterscheidung überhaupt sinnvoll? Ich finde: ja! Denn ich liebe Kunst, ich hasse Kitsch. Und ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen ihre Antennen für die Schönheit der Kunst kultivieren - und auf der anderen Seite möglichst wenige den verführerischen Klischees des Kitsches auf den Leim gehen. Denn würde mehr Kunst und weniger Kitsch produziert, die Welt wäre bestimmt ein noch schönerer Ort.

Was so toll ist an der Kunst? Zum Beispiel, dass sie sich auf direkte oder indirekte Art mit der faszinierendsten und komplexesten Kreatur des Universums beschäftigt: dem Menschen. Dass sie dies aber ganz anders tut als die Wissenschaften, sogar in der Lage ist das auszudrücken, was sonst unmessbar und unsichtbar bleibt. Die Kunst findet Bilder für die Seelenwelt, für tiefere Schönheit und auch für alles "Höhere", was im weltlichen Alltag meistens keinen Platz hat.

Hier findet sich auch die Wiege für der Kunst hässlichsten Bruder: den Kitsch. Denn weil der Alltag und das weltliche Leben so viele Wünsche und Sehnsüchte unbefriedigt lassen, haben sich bekanntlich ganze Industrien darauf spezialisiert, dem Menschen genau diese – zumindest virtuell – zu erfüllen. Und weil unsere Sehnsüchte nach Liebe, nach Stärke, nach Kontrolle, nach Gerechtigkeit und vielen anderen Dingen... weil diese Sehnsüchte so groß sind, sind wir oft bereit für ihre Erfüllung Zerrbilder zu schlucken, die leider nur wenig mit unserer tatsächlichen Beschaffenheit gemeinsam haben.

Die Kunst aber ist ihrem Wesen nach unbestechlich. Ihr geht es um die innere Wahrheit der Dinge, ob die nun Sehnsüchte befriedigt oder nicht. Deshalb ist sie oft unbequem, irritierend und fördert mitunter auch Hässlichkeiten zutage, die wir manchmal am liebsten gar nicht wahr haben wollen. Liegt aber in einer aufrichtigen Abbildung von Hässlichkeit nicht viel mehr Würde und sogar Schönheit als in einem auf Sehnsuchtsbefriedigung ausgerichteten Klischee dessen, was alle Welt für schön befindet?

An dieser Stelle mal eine freche These: Würde jeder Mensch sich selbst und andere auch nur ein bisschen besser verstehen – die Welt wäre bestimmt kein schlechterer Ort. Sehnsuchtskitsch verhindert aber genau das. Er liefert schlichte Rollenbilder und einfache Antworten, auch dort wo es gar keine gibt. Das heißt, er bestätigt die bequemen Schubladen, kultiviert die Dummheit, hält das Verständnis des Einzelnen für sich selbst und andere auf niedrigem Niveau. Denn dem Kitsch geht es um schnelle Illusion. Die Illusion von Liebe, die Illusion von Stärke, von Kontrolle und Gerechtigkeit, und nicht darum, wie und wo diese wunderbaren Dinge vielleicht auch in der Wirklichkeit zu finden sind.

Kunst aber richtet sich an unseren Mut. Hier geht es nicht darum, dem Impuls der schnellen Flucht nachzugeben sondern darum die Wirklichkeit in ihrer Ambivalenz besser zu greifen, zu verstehen und zu durchdringen. Das bedeutet auch die Konfrontation mit eigenen Schwächen und Verletzbarkeit, mit Abgründen, mit kaum überschaubarer Vielschichtigkeit. Wer hätte davor keine Angst? Doch ohne die Auseinandersetzung mit Dingen, die auch mal weh tun, bleibt man wahrscheinlich für immer der kleine Junge, der mit seinen Muskeln spielt. Oder das kleine Mädchen im Prinzessinnenkostüm. Ein ewiges "Ich! Ich! Ich!"

Trotz allem sind Kitsch und Kunst oft schwer zu trennen. Nehmen wir mal ein besonders populäres Beispiel, den Community-Megahit FIGHT CLUB. Der allseits bekannte Fincher-Film ist über weite Strecken so etwas wie die Mutter der Sehnsuchtserfüllung, denn wie viele "kleine Jungs" konnten sich nicht sattsehen an Brad Pitt's Tyler Durden, der coolsten Sau aller Zeiten, der mit seiner Männlichkeit, seiner Lässigkeit, seinem Reichtum, seiner gesamten Präsenz all das verkörpert was wir alle uns vielleicht schon immer erträumt haben. Wie wir wissen, sind all diese Schauwerte in der Wirklichkeit aber so selten wie die Perle in der Auster, und Durdens ultrasouveränes Auftreten im Grunde pure Phantasie.

Der schlaue Fincher, oder besser gesagt Autor Palahniuk hat aber eine Volte zu bieten, die das ganze dann doch noch stramm in Richtung Kunst umlenkt. Indem er uns offenbart, dass der gottgleiche Durden tatsächlich nur in der Vorstellung des eher stinknormalen Edward-Norton-Charakters existiert, macht er uns die Sehnsuchtsphantasie als solche bewusst und lädt so erst zur Auseinandersetzung ein.

Ja, über FIGHT CLUB und andere Filme könnte man an dieser Stelle noch sehr viel mehr erörtern, und genau das würde mich freuen! Wer Lust hat, ist hiermit eingeladen, diesen Blog wachsen zu lassen und Beispiele zu bringen zum Thema: Ist ein Film nun Kunst oder Kitsch? Und was heißt das überhaupt?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News