Kristin Scott Thomas über Sexszenen und Amour Fou

27.01.2010 - 08:50 Uhr
Susanne und Ivan
alamode Filmverleih
Susanne und Ivan
R
0
1
Kristin Scott Thomas spielt in Partir – Eine Affäre eine verheiratete gutbürgerlich Frau, die eine Affäre mit einem Arbeiter eingeht und eine Amour Fou sondergleichen erlebt.

Kristin Scott Thomas, die sich zuletzt in So viele Jahre liebe ich dich einen Namen als selten talentierte Charakterdarstellerin machte, spielt in Die Affäre eine verheiratete gutbürgerlich Frau, die eine Affäre mit einem Arbeiter eingeht und eine Amour Fou sondergleichen erlebt. Quasi die klassische Geschichte für Leidenschaftsdramen schlechthin. Nur dass eben Kristin Scott Thomas die Hauptrolle spielt. Im Interview erfahrt ihr mehr über Scotts Motivation, diese Rolle zu spielen.

Was nahm Sie für das Projekt ein, als Catherine Corsini Ihnen von Die Affäre erzählte?

Sie selbst! Ich war auf Anhieb von Catherine begeistert. Sie ist ein sehr eigener, fast schon extremer Mensch. Ich mag ihre Filme sehr. Selbst wenn nicht alles perfekt gelungen ist, strahlen sie Kraft und Poesie aus. Denn sie wagt viel. Eines Tages besuchte sie mich und unterbreitete mir die Idee für einen Film, den sie mit mir drehen wollte. Es war die Geschichte einer Frau meines Alters, die etwas erlebt, was heutzutage vielen Frauen passiert – echt unglaublich, wie viele Paare Schiffbruch erleiden! Man wird 40… und plötzlich fällt alles wie ein Kartenhaus zusammen. Die Geschichte interessierte mich… und das nicht nur, weil sie mir selbst passiert ist. Also sagte ich zu Catherine: „Warum nicht?“ Und sie fing an zu schreiben. Mir gefiel das Team rund um dieses Projekt: Da war Catherine, klar, dann die Co-Produzentin Fabienne Vonier, die ich sehr schätze und die viele schöne Filme gemacht hat, Agnès Godard hinter der Kamera… Ich hatte einfach Lust, zusammen mit diesen Frauen auf Reisen zu gehen, mit ihnen diese Geschichte einer Frau zu erzählen, der man viel zu lange die Luft zum Atmen genommen hat und die überzeugt ist, dass sie in der zweiten Hälfte ihres Lebens nochmal von vorn beginnen kann. Ich kenne solche Ehefrauen, deren Männer glauben, dass sie keine Kreditkarte brauchen und nicht arbeiten müssen, und die dadurch praktisch in der Falle sitzen. Wenn sie in ihren Ehen nicht sogar misshandelt werden! Drei oder vier Monate nach unserem ersten Treffen besuchte mich Catherine erneut, diesmal mit einem Drehbuch unterm Arm, das sich danach allerdings noch sehr verändert hat…

Wie würden Sie Suzanne beschreiben?

Wie ich schon sagte, handelt es sich um eine Frau, die eines Tages eine Art Lebensbilanz zieht und überhaupt nicht mag, was sie da sieht. Sie hat sich viele Jahre um ihre Kinder gekümmert und durfte deshalb nicht arbeiten. Doch die Kinder sind mittlerweile Teenager, und Suzanne möchte wieder als Krankengymnastin anfangen. Samuel, ihr Mann, beschließt gönnerhaft, ihr bei der Eröffnung einer Praxis zu helfen… aber die soll hinten im Garten stehen. Suzanne soll sich bloß nicht allzu weit entfernen! Man merkt, dass ihr Mann ihren Plan für eine Laune hält. Suzanne liebt ihren Mann, er gibt ihr alles, was sie braucht – sie besitzt schöne Kleider, ein tolles Haus, ein großesAuto, sie macht Urlaubsreisen –, und dennoch erniedrigt er sie permanent. Diese Frau ist seine Frau, sie gehört ihm, sie ist Teil seines Status. Suzanne ist sich dessen natürlich bewusst, und plötzlich begegnet sie diesem anderen Mann, der das genaue Gegenteil ihres Mannes ist. Freundlich, aufmerksam, ungekünstelt. Ein Maurer, ein Spanier, vielleicht sogar einbisschen halbseiden. Jemand aus einem ganz anderen Milieu, der in einem schrecklichenViertel wohnt. Trotzdem geht ihr plötzlich ein Licht auf, und das hat auchetwas mit ihrer Begierde zu tun und einer sexuellen Lust, wie sie sie schon lange nicht mehr empfunden hat.

Was finden Sie an dieser Figur besonders anrührend?

Ihre Hoffnung und ihre Naivität. Sie glaubt, dass sie ihr Leben ändern kann, dass sie wieder lieben kann, dass sie noch einmal von vorn anfangen kann. Dafür ist sie sogar bereit, als Kassiererin zu arbeiten. Ihre Begierde und ihre Liebe sind größer als ihr Stolz. Die Begegnung mit Ivan verleiht ihr Flügel. Selbstverständlich ist sie zum Scheitern verurteilt. Und das macht die Geschichte so bewegend. Bemerkenswert finde ich auch die Tatsache, dass sie sich von nichts aufhälten lässt, nachdem sie ihren Entschluss zu gehen gefasst hat. Nicht einmal ihre Kinder. Sie leistet sich ein Minimum an Schuldbewusstsein, und dann wendet sie sich anderen Dingen zu. Dann geht sie ihren eigenen Weg. Diese Freiheit bewundere ich sehr…

Verstehen Sie die Reaktion des Ehemanns, seine Versuche, sie wirtschaftlich zu erpressen?

Doch, ja, denn es ist seine einzige Waffe. Es gibt eine Szene, in der er ihr Vorwürfe macht und die ich sehr bewegend finde. Er ist total aufgewühlt, verwirrt, aus dem Gleichgewicht, und sie tröstet ihn: „Ich werde ihn nicht wiedersehen, das verspreche ich dir, ich sehe ihn nie wieder!“ Man glaubt ihr sogar, sie bemuttert ihn, aber natürlich gelingt es ihr nicht, das Versprechen zu halten. Man kann tatsächlich nachvollziehen, dass er so verzweifelt ist und zu allem bereit, um sie zu behalten. Ich habe sogar Verständnis für seine Manipulation, auch wenn ich sie unerträglich finde. Und Yvan Attal spielt das so präzise, dass man sich fast auf seine Seite schlagen möchte, wenn man den Film sieht. Man sagt sich, dass es ihm gelingen wird, sie zu behalten. Andererseits ist es lächerlich zu glauben, dass man Liebe kaufen kann. Ich finde den Einfall klasse, dass Suzanne Krankengymnastin und Samuel Arzt sind: Ausgerechnet die, die eigentlich pflegen sollen, sind diejenigen, die verletzen. Catherines Film zeigt auch, dass Liebe Schmerz ist. Und wie man sich wehtut, obwohl man sich liebt.

Können Sie Suzannes ultimative Tat nachvollziehen?

Klar, ich hätte es genauso gemacht (lacht). Diese Geschichte musste einfach tragisch enden. Zumal Suzanne nur noch davon träumt, reinen Tisch zu machen, und vor Liebe buchstäblich blind ist. Es kommt ein Punkt, an dem sie völlig die Kontrolle verliert, an dem sie wirklich beinahe verrückt wird. Die Gewalt, die sie erlitten hat, ist unerträglich. Zuletzt spürt sie nur noch diese gewaltige Frustration, hat das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Die Bettszene zwischen den Eheleuten – nachdem er es geschafft hat, sie zurückzuholen – ist absolut entsetzlich. Kein Wunder, dass sie ausbrechen will,
ganz egal, wie hoch der Preis ist, den sie zahlen muss.

Spielt es für Sie eine entscheidende Rolle, dass Suzanne und der von Sergi Lopez gespielte Ivan Ausländer sind?

Ja, unbedingt. Sie haben beide das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Wer lange in einem fremden Land gelebt hat, verspürt früher oder später den Wunsch wegzugehen – sei es, um in die Heimat zurückzukehren, sei es, um woanders hinzugehen – selbst wenn dieses Woanders, wie im Film, symbolisch ist. Als Catherine mir Suzanne beschrieb, sagte sie, dass sie aus bescheidenen Verhältnissen stammt und unverhofft in diesem bürgerlichen, wohlhabenden Milieu gelandet ist. Und dass die Beziehung zu diesem Arbeiter letztlich wie eine Art Rückkehr zu ihren Wurzeln ist. Umso verletzter fühlt sie sich, als ihr Mann ihr unterstellt: „So, jetzt lebt die große Dame also ihre Phantasie von Sex mit einem Arbeiter aus…?“

Gab es Szenen, vor denen Sie sich fürchteten?

Für mich sind es immer die gleichen, nämlich sehr körperliche Szenen, egal ob es darin um Gewalt oder Sex geht. Die empfinde ich immer als heikel. Andererseits war es ganz amüsant, weil am Set so viele Frauen arbeiteten. Jede gab bei den Liebesszenen ihren Senf dazu, nach dem Motto: „Also, ich würde das so machen und nicht so!“ Irgendwie herrschte eine große Solidarität, jede versuchte sich in die Figuren einzufühlen. Schon erstaunlich, was für eine Gemeinschaftsarbeit das war! Obwohl ich diese Szenen ungern spiele und sie mir hinterher genauso ungern ansehe, mag ich ihre Stimmung sehr. Die Geschichte ist eher konventionell, aber nicht die Art, wie Catherine sie inszeniert hat. Jedesmal, wenn Suzanne ihren Geliebten trifft – nachdem sie miteinander geschlafen haben – sieht man immer nur Arme, die sich umschlingen, die sich berühren. Das fand ich sehr schön. Es ist ein ungeheuer sinnlicher Film. Man beachte nur, wie sie die Natur filmt, das Land, das Meer. Beeindruckend finde ich auch die Mühe, die man sich mit dem Ton gegeben hat. Auf der einen Seite hört man das Zirpen der Grillen und der Heuschrecken und auf der anderen Seite, in der Vorstadt, in der die von Sergi gespielte Figur wohnt, die Geräusche von Motoren und Kindergeschrei. Zwei Gesichter einer Stadt…

Was für eine Regisseurin ist Catherine Corsini?

Sie hat eine instinktive und zugleich sehr autoritäre Art… die ziemlich brutal sein kann (lacht). Sie ist unverblümt, direkt, leidenschaftlich. Trotzdem würde ich gleich morgen wieder mit ihr arbeiten. Sie hat überhaupt keine Angst, sie verlangt einem eine Menge ab und ist sehr streng. Wenn man ihr nicht das gibt, was sie will, beschreibt sie es einem sehr genau… und dann sollte man es besser genau so umsetzten! Letztlich haben wir bestens zusammengepasst, denn ich will hinterm Ofen hervorgelockt werden und erwarte, dass man mich provoziert. So jemand ist mir lieber als einer, der sich immer mit dem ersten Take zufrieden gibt.

In welcher Hinsicht ergänzen sich Catherine Corsini und Agnès Godard?

Agnès ist eine echte Intellektuelle, jedenfalls jemand, der sehr viel nachdenkt, der bevorstehende Aufnahmen ganz genau beschreiben kann. Ich habe sehr gern mit ihr gearbeitet. Sie am Set zu erleben war faszinierend. Denn sie ist wie ein wandelndes Lexikon. Gleichzeitig hat ihr Blick etwas Kindliches, was ich sehr anrührend finde. Sie ist ein begeisterungsfähiger, sanfter Mensch. Sie ist klein und sehr stark… das muss man auch sein, wenn man eine Kamera schultern will! Die beiden ergänzen sich perfekt. Agnès ist ein besonnener Mensch, sie geht methodisch und sehr überlegt vor, Catherine hingegen sucht, zweifelt, prescht nach vorn, sprudelt über… Es war amüsant, sie zusammen zu beobachten. Ohnehin herrschte eine gute Stimmung am Set. Es war Sommer, wir drehten in Nîmes, das Wetter war schön, fast schon zu heiß, es war echt betörend. Wir waren ein eingeschworenes Team und mit Spaß bei der Sache. Es war wirklich ein ganz besonderer Dreh! Wir haben sehr viel in diesem fabelhaften Haus gedreht, wir haben im Morgengrauen gedreht, wir haben in diesem verfallenen Häuschen gedreht – der Aufstieg dauerte eine Stunde… Es war unbeschreiblich schön. Es waren fröhliche, aber auch sehr intensive Dreharbeiten. Jeden Tag gab es Nervenzusammenbrüche und Zank… aber abends wurde wieder ausgelassen gefeiert!

Mit Yvan Attal drehten Sie vor fast 20 Jahren Eric Rochants Entführung aus Liebe. Haben Sie sich seitdem wiedergesehen?

Wir sind uns ab und zu begegnet, haben aber nicht mehr zusammen gearbeitet. Ich hoffe, dass bis zum nächsten Dreh nicht mehr so viel Zeit vergeht, denn ich mag ihn als Schauspieler. Ich würde auch gern unter seiner Regie spielen. Er hat sich nicht verändert, ist nur reifer geworden und hat sich obendrein den Blick eines Filmemachers angeeignet. Sein Spiel ist immer noch genauso feinnervig, lebendig, konzentriert, empfindsam, sensibel…

Wie haben Sie die Dreharbeiten mit Sergi López empfunden?

Ich arbeite sehr gern mit ihm, weil er als Schauspieler seinen Körper einsetzt. Was er tut, was er ausdrückt, alles hat bei ihm eine körperliche Dimension. Das ist selten… Ich weiß nicht, ob es mit seiner Ausbildung in Paris unter Jacques Lecoq zusammenhängt. Jedenfalls verwandelt er sich unter Zuhilfenahme seines Körpers in seine Figur. Ich spiele gern mit Kollegen, die nicht ständig die Beweggründe ihrer Figur analysieren, sondern einfach sind! Vielleicht liegt es daran, dass ich Engländerin bin. Denn wir

Briten schlüpfen viel lieber in Rollen, die möglichst weit weg sind von unserer eigenen Person. In Frankreich hingegen zählt vor allem, dass der, den man auf der Leinwand sieht, sich ins Innerste blicken lässt. Nicht, dass es uninteressant wäre, manchmal dort nachzuforschen…

Wie schon in Philippe Claudels So viele Jahre liebe ich dich spielen Sie auch
diesmal eine Frau, die ihr Leben total umkrempeln will. Haben Sie den Eindruck, dass französische Regisseure Sie so sehen?

Nein, ich glaube, es handelt sich bloß um zwei Figuren, mit denen man meine Generation beleuchtet. Die beide auf ihre – und zwar sehr unterschiedliche – Weise die berühmte Midlife-Krise illustrieren…

Die Affäre läuft am 28. Januar 2010 in unseren Kinos an.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News