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JFK - Tatort Dallas - Als ich politisch laufen lernte

29.08.2015 - 09:00 Uhr
JFK - Tatort Dallas
Warner Bros.
JFK - Tatort Dallas
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Es heißt, dass Filme der Unterhaltung dienen sollen. Mit Popcorn und Pappbecher bewaffnet für zwei Stunden den tristen Alltag zu vergessen, ist selbstredend legitim, und ich genieße es durchaus, mich durch krachige Action, Sinne erschlagende Effekte oder durch guten Humor für diese Zeit berieseln zu lassen. Doch gibt es auch die andere Seite in mir, die sich nach Inhalten sehnt. Nach Themen, die bewegen, aufrütteln oder auch bilden. Hier sind Bücher oder Filme noch die besten Medien, das zu bewerkstelligen, und doch gelingt es nicht vielen, weitreichende Konsequenzen nach sich zu ziehen.

Ich war gerade mal 14 Jahre alt, als Oliver Stone 1991 mit „JFK - Tatort Dallas“ eine Mischung aus Drama, Thriller, historischer Aufarbeitung und gar kühnen Eigentheorien ins Kino brachte. In einer Zeit, in der sich die USA gerade mit dem ersten Golfkrieg auseinandersetzen musste und den Fall der Berliner Mauer frisch verdaute, wärmte Stone plötzlich ein paar, eigentlich längst vergessene, Kamellen auf. Ich erahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, welch hohe Wellen dieser Film in amerikanischen Regierungskreisen schlagen und bei mir einen einschneidenden Wendepunkt in meinem Interesse politischer Bildung markieren würde.

Wie wärmt man denn nun solch olle Kamellen wirksam auf? Die Antwort darauf ist nicht leicht zu beschreiben, auch wenn ich es hier mal versuchen will. Denn ist „JFK“ immer noch einer meiner absoluten Highlights im Filmmedium. Es sind mir nicht nur „die Augen aufgegangen“, wie die Garrison-Figur durch seine Recherchen seiner Frau im Streit zuruft, sondern auch noch ganz andere Sinne... habt demnach bitte Verständnis, wenn der Text etwas zu lange ausfallen sollte.

Sanft geweckt

Also stellt Euch einfach vor, Ihr würdet ins Kino gehen. Es ist das Jahr 1991, und da konnte man sich noch kein detailliertes Bild vom Film machen, da das Internet noch nicht für die Allgemeinheit zugänglich war und man sich lediglich über die Fachpresse ein bisschen eingehender darüber informieren konnte. Vielleicht hat man noch einen Spot im TV gesehen. Es klang im Kinomagazin ganz spannend, fast schon ein bisschen harmlos. Da beschreibt der Autor, wie ein Staatsanwalt durch seine Recherchen des Kennedy-Attentats in Gefahr gerät, zumindest kennt man spoilerarme Inhaltsbeschreibungen in dieser Form, zu dieser Zeit, sehr gut – sie waren nicht gerade sehr informativ gewesen. Die Presse zeichnete einen groben Rahmen, der Rest lag an einem selbst. „Klingt ganz nett“, dachte ich damals. Politthriller sind zwar immer so eine Sache, aber vielleicht lohnt es sich alleine wegen Kevin Costner, ins Kino zu gehen.

Da saß ich nun, im Polstersitz, und wusste so gar nicht, was mich erwartete. Man weiß immerhin, was gleich passieren wird, als die ersten Szenen über den Bildschirm flimmern. Ein Flugzeug, eine Limousine, ein Datum: der 22. November 1963, einer der geschichtsträchtigsten Tage in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. John F. Kennedy befindet sich auf Wahlkampfreise in Dallas, Texas. An der Dealey Plaza fallen plötzlich drei Schüsse, und der einstige Präsident sackt mit zerplatzem Schädel auf der Rückbank der Limousine zusammen...

Eine Nation steht unter Schock, eine bedrückende Stille erfüllt das Land, und doch gibt es immer wieder Stimmen, die über den Tod von Kennedy gar nicht so schockiert zu sein scheinen. Ein Gast in einer Bar applaudiert sogar und zieht sich den Unmut der übrigen Besucher zu, ein Betrunkener giftet seinen Saufkumpanen mit dessen Ablehnung gegenüber Kennedy an und wirkt dabei mit seinen aufgerissenen Augen wild entschlossen. Noch weitere Eindrücke werden eingefangen: eine Frau, die aus einem Auto geworfen wird, schreit fast hysterisch auf die Ärzte in einem Krankenhaus ein, ein Epileptiker erleidet in Dallas unweit des Tatortes einen Anfall. Es sind nur kurze Szenen, schnell geschnitten, und sie wirken teils völlig ohne Zusammenhang, und doch ahne ich, dass diese Vorkommnisse im Verlauf des Films an Bedeutung gewinnen werden.

Nach der szenischen Aufarbeitung des Attentats wird sodann die Figur Jim Garrisons vorgestellt. Der Bezirksstaatsanwalt von New Orleans sitzt gerade vor dem heimischen Fernseher und verfolgt Berichte über die Verhaftung des potenziellen Attentäters Lee Harvey Oswald und wundert sich über dessen stoische Ruhe, die er in einem TV-Interview an den Tag legt. Es baut sich langsam ein roter Faden auf, der Garrison auf seinem Weg begleiten wird, denn abseits der Darstellung eines Einzeltäters überkommen ihn erste Zweifel, die im Verlauf zu einer waschechten Verschwörungstheorie anwachsen werden.

Schnitzeljagd extrem

Nun hätte Stone seinen Film als eine reine dokumentarische Fakten- und Theoriensammlung aufziehen können, doch bedient sich der Regisseur hier ganz anderen Mitteln. Anstatt sich stur auf nüchterne Macharten zu beschränken, macht er sich die filmischen Mittel der Inszenierung zunutze, um daraus ein Mammutprojekt der Spannungserzeugung zu realisieren. Moderne Schnitttechniken, Bilderkompositionen, Farbenspiele und Filtereinsätze wirken vielleicht erschlagend, machen aber neugierig, weil Bildfetzen immerwährende Déja-Vu-Erlebnisse assoziieren und klammheimlich ein komplexes Bild der Thematik zeichnen.

An einem Szenenteil möchte ich versuchen, Euch die Intensität der Inszenierung zu verdeutlichen: Gerade wurde Zeuge David Ferrie (Joe Pesci) tot in seiner Wohnung aufgefunden, und das Anwaltsteam rätselt über dessen Motive für den vermeintlichen Selbstmord. Da taucht dessen Assistentin auf und bringt weitere schlechte Neuigkeiten. Die Steadicam, die vorher schon durch die Zimmer wanderte, bleibt ohne Schnitt dabei. Als Susan von der Tat an einem kubanischen Informanten grauenhafte Einzelheiten aufzählt, wohnt ein Zwischenschnitt der eigentlichen Tat in einem Miniflashback bei. Es zeigt einen Mann, der in seinem Wagen von gesichtslosen Tätern erstochen wird – zuerst halbnah, nur 1-2 Sekunden, dann in der Halbtotalen, Blickwinkel von weit oben, als würde der Zuschauer vom 3. Stock eines Wohnhauses als Zeuge fungieren. Fast so, als wollte man am Wohnzimmerfenster frische Luft schnappen und würde mit solch einer Tat konfrontiert. Zack, Schnitt, zack, Gegenschnitt, zurück in die Wohnung Ferries und dem entsetzten Gesicht einer nach Fassung ringenden Assistentin. Diese Szene dauert nur etwa 30 Sekunden, aber es ist inszenatorisch so viel passiert wie anderswo in 10 Minuten. Und nun wird diese Art der Filmgestaltung zur Hälfte genau so verwendet, bei 180 Minuten Spielfilmlänge (in der Kinoversion) – mindblowing.

Lange hält sich „JFK“ nicht mit der allgemeinen Annahme der Darstellung eines Einzeltäters auf, sondern torpediert uns mit allen möglichen Indizien, die diese Annahme anzweifeln. Wie so oft bei solch komplexen Sachverhalten spinnt das Drehbuch basierend auf Garrisons Ermittlungen die Gedanken sehr viel weiter als angedacht, bis wir später bei einem vertraulichen Gespräch zwischen Garrison und „Mr. X“ angekommen sind, wo der Austausch von Geheimdienstinformationen und Indiskretionen zu einer massiven Verschwörungstheorie anschwillt. Regierungsbeteiligung, Ablenkungsmanöver, Unwahrheiten – selbst 3-4 Filmstunden können die Vielzahl an Indizien nicht bis ins Detail aufarbeiten. Dass Verständnislücken auftreten mögen, sorgen hier noch nicht einmal für Demotivation, sondern stacheln geradezu zum Denken und Nachforschen an, auch wenn diese Szene zwischen Kevin Costner und Donald Sutherland als eine Schlüsselszene zu nennen ist und vielleicht als Gradmesser für die Auswüchse der Tragödie dient.

Es kann nicht genug sein

Dabei deckt der Film alle möglichen Szenarien ab, die seit des Aufkommens der Zweifel an der offiziellen Version des Attentats diskutiert worden sind. Fakten wie Spekulationen werden gleichermaßen behandelt, unterscheiden sich lediglich in der Farbgebung. Oftmals werden spekulative Elemente in Schwarz/Weiß-Optik gezeigt, was in der Vielzahl von Informationen nicht mal unglaubwürdig erscheint.

Geradezu bieder wirkt dagegen der Dramenanteil des Films, in dem die Entfremdung Garrisons gegenüber seiner Familie geschieht. Doch kann man nicht behaupten, dass dieser Teil wie angeflanscht anmutet, es ist als Nebenschauplatz ein wichtiger Aspekt und Metapher für den Konflikt zwischen denjenigen, die wissen und die nicht wissen wollen. So prallen zwei Welten zwischen Garrison und seiner Ehefrau aufeinander, zwischen denen, die sich verantworlich fühlen und denen, die „nur“ ein glückliches Leben führen möchten. Das kleine Happy End als Abschluss des zweiten Aktes leitet schließlich noch den längsten Monolog der Filmgeschichte ein, der noch mal alles an Intensität ausspuckt, was die zwei Stunden zuvor so spannend und aussagekräftig gemacht hatte.

Und... herrje, ich möchte gar nicht vergessen, den imposanten Cast zu erwähnen, den Stone für den Film an Land ziehen konnte. Was hier kreucht und fleucht, spottet fast jeder Beschreibung. Sei es Kevin Bacon in einer bedauernswerten Schwulenrolle, Jack Lemmon in paranoider Perfektion, Joe Pesci in einer Art hyperaktiver Paraderolle, Tommy Lee Jones in ausgezeichneter Form und last but not least Kevin Costner in seiner für mich anspruchsvollsten und gelungensten Performance – auch schauspielerisch glänzt die mehrseitige Liste an Hochkarätern in jeder Sekunde des anspruchsvollen Stoffes.

Die Folgen

Als ich schließlich nach drei verdammt intensiven Stunden den Kinosaal verließ, konnte ich nicht reden. Viel zu lange flackerten Bildfetzen in meinem Kopf herum – Oswald, Johnson, Garrison, Shaw, Schulbuchlagerhaus, Holzzaun, Kuba, Mafia... Man hat das Gefühl, jedes noch so scheinbar unwichtige Detail des Falles gehört zu haben und war nun dabei, dies langsam im Kopf zu ordnen.

Die Sinneskanonade hatte ihre Dauersalven auf mich eingeschossen. Klassische Cuts, Flashcuts, Steadicam, originales Filmmaterial, unheilvolle Musik, eingepasste Soundeffekte, und, und, und – das und noch viel mehr hatte mich vollends in seinen Bann gezogen. Und nicht nur das: ich wollte mehr wissen. Wissen, was damals geschehen war, die Wahrheit suchen, Indizien verfolgen. Kurz gesagt: Oliver Stone hatte mich überzeugt, und sei es nur, nicht alles zu glauben, was die Medien einem vorsetzen.

Und nicht nur mich als vorher nur rudimentär politisch Interessierten, selbst die betroffenen Bundesbehörden sahen sich danach zu einer Nachuntersuchung gezwungen. Das ist gut, das war wichtig, ja schlichtweg unbeschreiblich ob der Wirkung eines biografischen Filmes, der nicht nur Fakten nachspielte. Leider zog das einen schlechten Nebeneffekt nach sich. Die Kontrollinstitutionen sichten nun Werke vor, um reale Nachwehen zu vermeiden – also in gewisser Weise eine neue Art der Zensur. Für mich ist dies das beste Argument, solche Filme überhaupt auf den Markt zu bringen, um Unwahrheiten aufzudecken oder manifestierte Aussagen zumindest zu hinterfragen. Und wie bedeutsam solches Denken sein kann, wissen wir alle heute nur zu gut.

Hooray for „JFK“

Wie schon eingangs erwähnt, mag ich leichte Unterhaltung. Da ich jedoch auch die schweren Themen nicht missen möchte, sehe ich vielleicht Kino und Filme im Allgemeinen als Botschafter von Stoffen, die mir im Alltag vielleicht so gar nicht bewusst gewesen wären. So paradox es klingen mag, doch ist „JFK – Tatort Dallas“ beides (oder sogar mehr?). Ein Thriller lebt von seiner Inszenierung, ein historisches Drama von Fakten und Emotionalität. Stones Beitrag geht noch viel weiter als das. Man kann sagen, dass er so manches auf die Spitze getrieben hat, seien es nun Schnittanzahl und Bildverfremdung oder die Sammlung von Thesen und Tatsachen.

Genau das macht den Film so unvorhersehbar und motivierend. Hat man bei Erstsichtung nicht alles erfassen oder verstehen können und konnte sich darüber hinaus noch für das Thema erwärmen, steht einem zweiten, dritten und weiterem Mal Ansehen nichts im Wege. Mich selbst hat der Film dermaßen gepackt, dass ich ihn mir immer noch regelmäßig anschaue. Nicht nur, um mir das emotionale Gefühl bei bestimmten Szenen wieder zu holen, sondern auch wegen der Thematik. Wer für mindestens ein Element davon etwas übrig hat, sollte zumindest einen Blick riskieren, und sei es nur zu erleben, wie ein Film durch seine Technik unterhalten kann.

Für Popcorn und Pappbecher wäre es jedoch fast zu schade...

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Dieser Community-Blog ist im Rahmen der Aktion Lieblingsfilm 2015 entstanden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Medienpartnern und Sponsoren für diese Preise:



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