Community

Jesse James, Robert Ford, ich, und die große Frage nach Identität und Träumen

25.10.2014 - 13:35 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
»I've been a nobody all my life. I know I won't get but this one opportunity and you can bet your life I'm not going to spoil it.«
Warner Bros. Pictures
»I've been a nobody all my life. I know I won't get but this one opportunity and you can bet your life I'm not going to spoil it.«
41
55
Warum ist ein Lieblingsfilm ein Lieblingsfilm? Ganz einfach: Er berührt unser Innerstes. Manche Filme liebe ich dafür, dass sie mich auf dem Boden der Realität halten und mich mit Unbequemem konfrontieren, andere wiederum liebe ich dafür, dass sie mich bestätigen, mir sagen: Es ist OK, so wie es ist. The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford, der Film mit dem viel zu langen Titel, ist einer von wenigen Kandidaten, die beides vollbringen. Und darum für mich ein unbeschreiblicher Trost.

Die Tragik des Robert Ford

Wir leben in einer paradoxen Zeit. Auf der einen Seite waren die Rufe nach Selbstverwirklichung nie so laut und die Anzahl an Möglichkeiten dahin selten so hoch für junge Menschen - gleichzeitig jedoch gewinnen Ersatzreligionen an Bedeutung; sei es das wahnhafte Unterstützen eines Fußballvereins, das unverhältnismäßige Anhimmeln eines Stars, oder vielleicht sogar des eigenen Partners (wenn nicht der romantischen Liebe an sich) in der Phase des Verliebtseins. Gewissen Freiheitsidealen der Moderne scheint ein ewiger, inniger Wunsch nach Verschmelzung mit etwas oder jemandem geradezu entgegenzustehen - mit anderen Worten: Wir definieren uns, nach wie vor, letztendlich zu einem großen Teil über andere Menschen, über Gruppen und Bewegungen, und kaum etwas, das wir tun, geschieht im luftleeren Raum. Doch sind wir wirklich noch individuell, wenn wir unser Glück damit in die Hände fremder Mächte legen? Oder nicht vielmehr das Gegenteil? Zumindest in Kontinentaleuropa mögen Kirche und Weltreligionen im Rückzug begriffen sein, ich aber behaupte: Wir brauchen weiterhin etwas, woran wir glauben können - lassen wir uns allerdings zu sehr fallen, sind wir vermutlich die unfreiesten Wesen im gesamten Kosmos. Doch selbst das wäre... irgendwie menschlich.

Robert Ford glaubt an Jesse James. Bereits sein ganzes Leben lang. Ein Traum scheint für den 19-jährigen wahr zu werden, als er zu Jesses Bande stößt. Was jedoch folgt, ist eine Desillusionierung, die schmerzt - und zwar proportional zu Roberts Heldenverehrung all der Jahre.

1.) Jesse James ist gar nicht der, für den Robert ihn gehalten hat, denn sein Eindruck gründete auf Groschenromanen. Was Robert antrifft, ist kein Vorbild, sondern im Wesentlichen eine gebrochene Persönlichkeit - sozusagen das radikale Kehrbild zum naiven Idealisten. Begierig hatte Robert förmliche Gemeinsamkeiten zusammengetragen (und sich etwas darauf eingebildet), die sich nun als hohle, bedeutungslose Oberfläche entpuppen. Die Männer teilen Augenfarbe und Körpergröße, doch Äußerlichkeiten begründen keine Seelenverwandtschaft. Die Ironie des Films liegt darin, dass Bob sich später sehr wohl Jesses Gleichgültigkeit und Verbitterung annähert, um schließlich dasselbe Schicksal wie der einstige Held zu akzeptieren - nachdem er ihn erschossen hat.

2.) Robert Ford erhält von seinem Idol nicht den erhofften Respekt. Sowieso war eine Begegnung auf Augenhöhe wahrscheinlich von vorneherein unmöglich. Momente des Lobes werden von einer geheimen, unausgesprochenen Verachtung seitens Jesse konterkariert, deren Auslöser in Bobs Unterwürfigkeit zu finden sein könnte, welche dieser nie ganz zu verbergen imstande ist. Wer schon kann einen Menschen vollständig ernst nehmen, der seine Existenz danach ausrichtet, ihm nachzueifern? Im besten Fall fühlt man sich geschmeichelt, was aber schnell in weitaus negativere Impulse umschlagen kann. Auch Robert Ford scheint dies zu spüren. Warum sonst wäre es ihm unangenehm, wenn sich andere Bandenmitglieder über die Jesse James-Sammlung unter seinem Bett lustig machen?

In ihm bildet sich eine Traurigkeit, die zunächst neben jene Trugbilder tritt, an denen Bob vorerst weiterhin festhält. So wirkt er an Jesses Überführung mit, während er in dessen Anwesen untergebracht ist. Es winkt Ruhm, oder wenigstens Bekanntheit - zu welchem Preis?

Die Tragik des Jesse James

Ein Verbrecher wird glorifiziert wie Robin Hood - nicht die einzige Groteske um Jesse James. Seine eigenen Kinder kennen nicht einmal seinen Namen, er gilt als unberechenbar, fürchtet permanent, verraten zu werden, hat keine Heimat - im einfachen wie im übertragenen Sinne. Für Reue in Bezug auf seine Taten wäre es ohnehin längst zu spät.

Was kann er sich kaufen vom Kniefall derer, die zu ihm aufschauen? Verehrt wird ein Mythos, eine Lüge, nicht der Charakter Jesse James. Ein Name ist reine Projektion geworden, und Robert Ford die Fleischwerdung dieser Illusion. Wer liebt Jesse James für das, was er wirklich ist? Womöglich niemand.

Der Filmtitel - ein Spoiler?

Wenn Robert Ford nun Jesse James tötet... ist es tatsächlich eine Ermordung, oder vielleicht ein Suizid durch fremde Hand, oder ein metaphorischer Schusswechsel mit nur einer Kugel?

Fakt ist: Jesse James hat Robert Ford für seine Zwecke ausgenutzt, weil er es konnte. Er wusste von Anfang an um Enttäuschung, Wut und Ohnmacht, die folgen würden. Der andere Teil in ihm ist des Lebens so sehr müde, dass er nicht die Kraft besitzt, sich umzubringen. Dies bewerkstelligt Robert Ford.

Fakt ist auch: Mit Jesse James stirbt ebenfalls Robert Ford, obgleich dessen Herz weiterschlägt.


Was bleibt?

Viele Western mögen mit coolen Cowboys, dreckigen Stiefeln und Zigarren in Mundwinkeln vorrangig der Unterhaltung dienen und sich nicht sonderlich um Komplexitäten des menschlichen Miteinanders scheren. Hier jedoch geht es, zwischen sinnlichem Theater und der Epik eines Barry Lyndon, um vielschichtige Vorgänge, die mir aus meinem persönlichen Erleben bestens vertraut sind.

Ich achte nicht immer darauf, bin aber der festen Überzeugung, dass ich sehr viele Dinge tue, um Menschen zu beeindrucken, deren Meinung und Wertschätzung mir viel bedeuten. Wohl nicht selten entfremde ich mich dabei von mir selbst, verstelle mich, und wundere mich letztlich, warum diese Personen, die ich - was es nicht besser macht - obendrein idealisiere, auf einmal Abstand von mir nehmen, je verzweifelter ich um ihre Gunst kämpfe. Obwohl ich doch einfach nur im selben Maße geliebt und geschätzt werden möchte, wie ich meinerseits Zuneigung verteile. Im Gegenzug fürchte ich, dass ich mir schwer damit tue, mich denen zu öffnen, die es gut mit mir meinen bzw. ihnen dann vorwerfe, sowieso nicht zu verstehen - weil ich andauernd beschäftigt damit bin, besagte Enttäuschungen zu verkraften, die ich mir eigens zuzuschreiben habe. Und weil da die Angst ist, dass irgendwann eine Enttäuschung folgt, die ich - wie Robert Ford - nicht mehr händeln kann. Bevor ich zu viel (von allem) erwarte, erwarte ich mittlerweile - was mich in die Einsamkeit treibt - lieber gar nichts mehr... und sehne mich, da ich an Idole offenbar einfacher glauben kann als an mich selbst, ganz insgeheim danach, jemand anderes zu sein.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News