Ja, auch reine Multiplayer-Titel dürfen 70 Euro kosten

08.06.2016 - 16:00 Uhr
Soll das schon alles sein?
Blizzard Entertainment
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Overwatch ist bei den Kritikern beliebt und bei Blizzard-Fans ebenso, dennoch scheint der Preis des Shooters für viele Spieler ein Problem zu sein. Darf Overwatch zum Vollpreis angeboten werden, auch wenn es keine Singleplayer-Kampagne gibt? Ja, selbstverständlich.

Videospiele sind ein teures Hobby, diese Floskel kennen die meisten Spieler schon aus dem Effeff und angesichts der Preise für Vollpreistitel ist sie auch nicht unangebracht. Immer wieder kommt dann die Frage auf, ob Spiele ihr Geld denn eigentlich wert sind. Alles, was einen Metacritic-Score unter 80 hat, sei selbstverständlich Geldverschwendung und kompakte Abenteuer wie The Order: 1886, die nur wenige Stunden Spielzeit bieten, werden schnell der üblen Abzocke bezichtigt. In den letzten Jahren kam allerdings ein weiterer Trend zu den angeblichen Vollpreis-Todsünden hinzu: Reine Multiplayer-Titel.

Die Hälfte zum vollen Preis?

Mit Overwatch und dem Sprung in ein neues Genre hat Blizzard einen Erfolg gelandet, der sich auch finanziell auszahlt. Der Team-Shooter begeisterte schon während der Open Beta über 9 Millionen Spieler  und allein in der ersten Woche zählte Blizzard mehr als 7 Millionen Overwatch-Spieler, die das Spiel dann tatsächlich auch gekauft haben. Dennoch lassen sich viele Stimmen finden, die Blizzard vorwerfen, ein Konzept zum Vollpreis anzubieten, das sein Geld nicht wert ist. Die fehlende Singleplayer-Kampagne mache ja schließlich deutlich, dass Overwatch nur "ein halbes Spiel" sei und daher auf den Konsolen auch nicht 69,99 Euro kosten darf.


Dabei ist Overwatch bei Weitem nicht der erste Fall, in dem großangelegte Shooter ohne die klassische Singleplayer-Kampagne angeboten werden. Schon bei Star Wars: Battlefront, Evolve oder Titanfall wurde bemängelt, dass der fehlende Einzelspielermodus zu wenig Content bedeutet, die bei der unverbindlichen Preisempfehlung berücksichtigt werden müsste. Doch wo kommt diese Einstellung gegenüber Multiplayer-Titeln eigentlich her?

Spielspaß einfach selbstgemacht

Der Multiplayer-Modus war über Jahre hinweg nur die Ergänzung zum eigentlichen Spiel, der uns noch einmal mit den Spielmechaniken herumalbern lässt, wenn die Credits über den Bildschirm geflimmert sind. Selbst beim Platzhirsch Call of Duty hat sich der Multiplayer erst nach und nach zum Kernaspekt der Reihe entwickelt. Was dabei vergessen wird, ist die Tatsache, dass der Multiplayer von 2002 nicht mit dem Multiplayer von 2016 zu vergleichen ist. Er hat andere Ansprüche und längst einen Selbstzweck entwickelt, der mehr als genug Spieltiefe bietet. Sofern wir bereit sind, uns darauf einzulassen.

Erst mit Call of Duty 4: Modern Warfare gewann der Multiplayer an Bedeutung

Der ehemals nette Zeitvertreib ist heute meist vollkommen vom Einzelspieler abgekoppelt, legt viel Wert auf Balance, ermöglicht mehrere Spielstile sowie Strategien und ist darauf ausgelegt, über Wochen und Monate hinweg an den eigenen Fertigkeiten zu schrauben. Und offenbar scheiden sich hier die Geister, denn "Inhalt" ist nicht für jeden Spieler gleich definiert. Wo Singleplayer-Kampagnen einen vordefinierten Spannungsbogen bieten und uns durch zahllose Level führen, die mit dem passenden Pacing ausgestattet sind, müssen wir unseren Spaß in Multiplayer-Spielen selbst erwirtschaften.

Spiele wie Overwatch erfordern die aktive Auseinandersetzung mit den Fähigkeiten der unterschiedlichen Helden und der Architektur der Maps. Das dient aber nicht nur dazu, um unseren Favoriten unter den 21 Charakteren ausfindig zu machen, sondern auch, um zu lernen, wie wir auf die Fertigkeiten der restlichen Helden reagieren können. Die Wechselwirkungen zwischen den Helden sind komplex und bieten ausreichend Möglichkeiten, neue Herangehensweisen an die immergleichen Spielmodi zu finden. Wer diesen Aufwand aber scheut und nicht erkennt, welches Potenzial im eigenen Können versteckt ist, sieht nur sich ähnelnde Spielverläufe, die sich schon nach wenigen Matches erschöpfen.

Das Problem an Star Wars: Battlefront war nicht die fehlende Kampagne

Das Argument, dass der Aufwand für Entwickler geringer ist, wenn sie an reinen Multiplayer-Titeln arbeiten, fußt auf der Annahme, dass Balance leicht zu meistern ist. Was Blizzard bei Overwatch möglicherweise an Zeit und Ressourcen gespart hat, indem sie auf eine Singleplayer-Kampagne verzichten, fließt direkt in die Ausdifferenzierung der einzelnen Charaktere. Damit jeder Spieler dieselben Möglichkeiten geboten bekommt, muss auch jeder Charakter die Möglichkeiten haben, auf den Spielverlauf einzuwirken. Die nötige Infrastruktur, die für einen weltweiten Multiplayer-Titel essenziell ist, ist ebenfalls kostspielig.

Die Zeiten ändern sich

Die Abwehrhaltung gegenüber Multiplayer-Spielen und das Festhalten an der klassischen Singleplayer-Erfahrung erwachsen aus dem Vorurteil, dass Mehrspieler-Modi nur eine liebgemeinte Ergänzung sind, die das eigentliche Spiel aber verwässern. Im Zuge der Free to Play-Welle, die Multiplayer-Hits wie League of Legends und zahllose MMORPGs hervorgebracht hat, wurde vielen außenstehenden Spielern suggeriert, reine Multiplayer-Titel könnten sich auch mit kostenlosem Zugang finanzieren, solange die Möglichkeit für Mikrotransaktionen besteht.

Vorbehalte gegen Multiplayer-Titel weil sie angeblich leer und oberflächlich sind, sind antiquiert und schon seit Jahren nicht mehr zeitgemäß. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass Overwatch etwas mehr mit den Hintergrundgeschichten der einzelnen Helden anfangen würde, ist der Preis für den Shooter absolut gerechtfertigt und steht in Sachen Inhalt und Spieltiefe der klassischen Konkurrenz á la Uncharted 4: A Thief's End in Nichts nach.

Es ist eben doch alles nur eine Frage der Perspektive.

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