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Γνῶθι σεαυτόν (gnóthi seautón - Erkenne dich selbst) – Vom Gandalf-Kostüm zum Heisenberg-T-Shirt

19.10.2016 - 09:00 Uhr
Ein Comedian vor sich selbst
Paramount/moviepilot
Ein Comedian vor sich selbst
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Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Es sei gleich vorweg gesagt, mein Lieblingsmonster ist auf keiner Leinwand auszumachen, vielmehr sitzt es vor dem Screen. Ich bin es selbst!

Diese Erkenntnis ist allmählich gewachsen. Ich brauchte Zeit, um zu erspüren, wer ich überhaupt bin. Und ob diese Entwicklung abgeschlossen ist, bleibt offen. Nun bin ich kein Narziss, der selbst bei der Vorgabe „Monster“ nur an sich denkt und deshalb zu dieser Erkenntnis vordringt. Nein, es hat schon sachlichen Bezug, dass ich mich selbst als Monster, als Lieblingsmonster oute.

Wer Filme gerne sieht, ich will sogar weiter greifen, wer überhaupt Filme schaut, wird sich im Regelfall mit einem der Protagonisten im Handlungsgeschehen identifizieren. Das ist ja das Geheimnis von Kino. Der Betrachter möchte in die Rolle eines der Handlungsträger schlüpfen, mit ihm fiebern, leiden, freuen, weinen, lieben, trauern, eben die komplette Gefühlspalette durchleben. Deshalb ist es im Normalfall so, dass der positiv besetzte Hauptakteur diesen Rollentausch idealerweise erfüllt. So war es bei mir lange Zeit auch. Dann kam der Twist.

Schon als ich Tolkiens „Herr der Ringe“-Zyklus gelesen habe und bei der ersten Sichtung der Jackson-Filme war natürlich unverrückbar Gandalf meine Identifikationsfigur. Der hehre Zauberer Mittelerdes, der selbstlos mit dem Balrog kämpft und letztendlich alles richtet, dieser Charakter wollte ich sein. Ich erinnere mich, als Jugendlicher im rheinischen Karneval sogar mal ein Kostüm mit langem Mantel, grauem Bart und Spitzhut getragen zu haben. Das war mein Ding und sicher nicht nur meins. Dann, mit der Zeit und wiederholtem Anschauen der Mittelerde-Trilogie wechselte mein Interesse. Plötzlich stand Saruman im Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Wie er als Oberster seines Ordens Gandalf in die Schranken wies: „Das Pfeifenkraut der Halblinge hat wohl deine Sinne vernebelt“. Wie er König Theoden mittels Schlangenzunge fernsteuerte und so intrigant seine Nachbarschaft dominierte. Wie er nach dem Untergang Isengarts hoch oben von Orthancs Zinne die Gemeinschaft mit spitzer Zunge und süßer Stimme zu bezirzen suchte. All das und vieles mehr zeigt die Ambivalenz dieses Charakters, die mich plötzlich faszinierte. Ich will jetzt gar nicht das Umkippen hin zur schwarzen Seite der Macht gutheißen aber fasziniert hat mich dann Saruman schon. Das Monster in mir erwacht.

Da darf es nicht verwundern, dass mir von allen Superhelden-Epen „Watchmen“ am besten gefällt. Haben wir es doch hier mit einer Ansammlung von Psychopathen zu tun, von denen keiner, auch nicht einer, dem „Good Guy“-Image entspricht. In der dort reflektierten Postmoderne sind die Helden impotent, alkoholkrank, sarkastisch, selbstsüchtig, kompromisslos oder gar nicht mehr von dieser Welt. Aus all diesen Antihelden kristallisiert sich der Comedian als meine Identifikationsfigur heraus. Er ist brutalst ehrlich und hält den Amerikanern ihr Vietnam-Trauma schonungslos vor Augen, gleichzeitig lebt er einen nicht zu überbietenden schonungslosen Zynismus, wenn er ohne mit der Wimper zu zucken eine hochschwangere Vietnamesin aus persönlichen, niederen Beweggründen eiskalt erschießt. Und ich mag diesen Charakter. Das Monster in mir wächst.

Da überrascht es jetzt keinen mehr, wenn ich im Seriengetümmel „Breaking Bad“ favorisiere. Das Changieren des Walter Whites vom eher zurückhaltenden, mäßig erfolgreichen Familienvater und Chemielehrer hin zu einem mordenden und skrupellosen Drogenkoch, -dealer und –baron, das hat mich identifizieren lassen. Ich wollte zunehmend mehr von Heisenberg als von Mr. White sehen. Dass ich mir dann ein Heisenberg T-Shirt gekauft habe, beschreibt den Kern. Das Monster in mir zeigt seinen Charakter auf stolzgeschwellter Brust.

Ich muss gestehen, wie überrascht ich über meine Sympathien zu den doch eher Antagonisten des Filmgenres bin. Ist das monströs? Ja, ich glaube schon und ich stehe dazu. Ein Psychiater mag mich analysieren und therapieren. Trotzdem bekenne ich mich zu diesen ambivalenten Filmfiguren und meine, dass ich nicht der einzige bin, der so empfindet.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsmonster


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