Game of Thrones hat ein Vergewaltigungsproblem – und House of the Dragon macht den gleichen Denkfehler

29.07.2022 - 10:30 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Emilia Clarke in der ersten Staffel von Game of ThronesHBO
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House of the Dragon will laut einem aktuellen Interview weniger Sex, dafür aber sexuelle Gewalt zeigen. Aus Realismusgründen. Doch das war schon in Game of Thrones falsch.

Am 22. August 2022 startet endlich die erste Staffel von House of the Dragon bei WOW. Das Spin-Off von Game of Thrones spielt Jahrhunderte vor den Geschehnissen der Hauptserie und taucht tiefer in die Geschichte der Targaryens ein. Mehr Westeros, mehr Drachen, mehr blonde Perücken – was kann das Fanherz noch verlangen?

Nun, offenbar nicht weniger Vergewaltigungsszenen. Wie Showrunner Miguel Sapochnik gegenüber dem Hollywood Reporter  verkündete, wird das Thrones-Prequel zwar weniger Sex zeigen, dafür aber weiterhin sexuelle Gewalt abbilden, denn: "Man kann die Gewalt, die von Männern in dieser Zeit gegen Frauen ausgeübt wurde, nicht ignorieren."

Seht hier den ersten Trailer zu House of the Dragon:

House of the Dragon - S01 Trailer (Deutsche UT) HD
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Das ist keine gute Nachricht. Sapochnik spricht zwar davon, das Thema "weder herunterspielen, noch glorifizieren" zu wollen. Das dachten sich aber wahrscheinlich auch die Verantwortlichen der Hauptserie – und wir wissen alle, wie das ausgesehen hat.

Die "Realismus"-Debatte um Fantasy-Serien ist absoluter Schwachsinn

Vor Jahren argumentierte bereits George R.R. Martin , trotz der Fantasy-Aspekte ein möglichst realistisches Abbild dieser bestimmten Zeit der Menschheitsgeschichte zeichnen zu wollen. Sapochniks Aussage klingt ähnlich. Aber, was genau meint er mit "dieser Zeit"? Den historischen Zeitraum, in dem platinblonde Inzest-Familien auf Drachen den Teil der Welt beherrscht haben, der nicht von Eiszombies bevölkert ist? Ah, Entschuldigung, den gab es natürlich gar nicht. Das Mittelalter, vielleicht?

Dann habe ich leider schlechte Neuigkeiten: Sexuelle Gewalt gab es schon lange vor der Zeit der Ritter und komplizierten Thronfolgen. Und danach auch. Tatsächlich passieren Vergewaltigungen auch heute noch, sowohl Männern als auch Frauen, obwohl sie (wie damals im Mittelalter) eine Straftat sind. Wenn uns eine Serie also ein realistisches Abbild einer vergangenen, sehr patriarchal geprägten Zeit Europas zeigen möchte, warum konzentriert sie sich dann nicht Aspekte, die spezifisch auf diese Zeit zugeschnitten sind?

Stattdessen bekommen wir eine zeitlose Form der Gewalt gegen Frauen mit sehr modernen Vorstellungen von Rasur und Mundhygiene. Was eine Entscheidung ist, die man für eine Fantasy-Erzählung treffen kann. Game of Thrones und House of the Dragon spielen in einer fiktiven Welt und sind keine Historienserien. Deswegen kann es mystische Kreaturen geben, Menschen mit feuerfester Haut und Geisterbabys. Nicht einmal die Zeit, die Figuren von A nach B brauchen, ist in Westeros realistisch!

Aber wenn es bei der ständigen Darstellung sexueller Gewalt nicht wirklich um "Realismus" gehen kann, worum geht es dann?

Schon Game of Thrones versagte beim Thema sexuelle Gewalt komplett

Sophie Turner als Sansa Stark in Game of Thrones

Die einfache Antwort ist: Faulheit der Verantwortlichen. Vergewaltigungen sind der ultimative Storytelling-Kniff für Menschen, denen ansonsten keine Möglichkeit einfällt, weibliches Leid darzustellen. "Person X tut Y, weil sie vergewaltigt wurde" gehört zu den ausgelutschtesten Handlungsauslösern überhaupt. "Person X konnte erst Y tun, weil sie durch ihre Vergewaltigung stärker/wütender/erfahrener geworden ist" ist in den meisten Fällen hingegen eine Beleidigung unserer Intelligenz und ein schockierendes Missverstehen der tatsächlichen psychologischen Auswirkungen eines solchen Traumas.

Schon in der Buchvorlage zu Game of Thrones gibt es mehrere Szenen, in denen Frauen vergewaltigt oder erst im allerletzten Moment davor bewahrt werden. Die Serie hat kein Problem damit, sie zu zeigen – und erfindet sogar Neue dazu, die weder Handlung noch Charaktere voranbringen. Spätestens die Szene, in der Jaime Lannister (Nikolaj Coster-Waldau) seine Schwester Cersei (Lena Headey) neben der Leiche des gemeinsamen Sohns Joffrey vergewaltigt, beweist, dass es hier vor allem darum geht, Schockreaktionen beim Publikum zu provozieren.

Oder überhaupt irgendeine Reaktion. Sei sie auch noch so abgefuckt. Denn das Vergewaltigungen nicht nur suggeriert, sondern oft auch von Anfang bis Ende im Bild gezeigt werden, hat noch einen anderen Effekt. Auf Pornoseiten finden sich unzählige Compilations zu Game of Thrones, die einvernehmliche Sexszenen an sexuelle Gewalt schneiden. Ist das wirklich noch "Gewalt nicht herunterspielen" oder schon "glorifizieren"?

House of the Dragon sollte die Fehler von Game of Thrones nicht wiederholen

Auch House of the Dragon rückt ambitionierte Frauen in den Mittelpunkt

Natürlich können Serienverantwortliche im ersten Schritt nichts dafür, wenn in komplett anderem Kontext gedrehte Szenen als Masturbationsmaterial zweckentfremdet werden. Aber wenn das, was angeblich als Gesellschaftskritik wahrgenommen werden soll, bei Pornhub landet – sollte man die Inszenierung sexueller Gewalt dann nicht zumindest hinterfragen?

Natürlich wissen wir noch nicht, wie House of The Dragon Vergewaltigungen thematisieren wird. "Shows sind ein Produkt ihrer Zeit und es gibt jetzt viel mehr Bewusstsein darüber, was wir zeigen und warum", sagt HBO-Content-Chef Casey Bloys im gleichen Artikel des Hollywood Reporters. Trotzdem sind die Aussagen von Showrunner Miguel Sapochnik ein beunruhigendes Zeichen.

Wer die Möglichkeit hat, die Emanzipierungsgeschichte einer Frau mit Ambitionen auf den Thron einer männerbeherrschten Welt zu erzählen, und automatisch bei Vergewaltigungsszenen landet, macht nämlich den gleichen Denkfehler wie schon so viele zuvor. Sexuelle Gewalt trifft historisch gesehen zwar oft Frauen, ist aber nicht das, was sie definiert. Cersei, Sansa oder Danenerys waren nicht wegen, sondern trotz ihrer Vergewaltigungsszenen faszinierende und starke weibliche Charaktere. Ich hoffe, House of the Dragon lernt aus den Fehlern von Game of Thrones. Und begeht nicht die gleichen.

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Welche Fehler aus Game of Thrones sollte House of the Dragon nicht wiederholen?

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