Flug in die Nacht - Regisseur Till Endemann steht Rede und Antwort

29.07.2009 - 14:46 Uhr
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Der Nachwuchsfilmer Till Endemann erzählt von seinem Fernsehfilm Flug in die Nacht, der das Unglück von Überlingen und den Todschlag am verantwortlichen Fluglotsen zum Thema hat

Till Endemann ist der Regisseur des ARD-Dramas Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen, das heute Abend um 20.15 Uhr im Ersten läuft. Im Interview erklärt der Nachwuchsfilmer die Motive seiner unaufgeregten Inszenierung und die Motivation, einen Film über ein solch tragisches, doppeltes Unglück zu drehen.

Was hat Sie an dem Thema des Flugzeugabsturzes von Überlingen so interessiert, dass Sie es verfilmen wollten?

Das “Unglück von Überlingen” war ja damals zweimal in den Medien sehr präsent. Zunächst nachdem die erste Katastrophe, die Kollision der beiden Flugzeuge, passiert war und dann anderthalb Jahre später noch einmal bei der zweiten Katastrophe, als es erneut zu einer Kollision kam, dem Mord am zuständigen Fluglotsen. Als es zu dieser zweiten Katastrophe gekommen war, schienen mir die Ereignisse so schicksalhaft miteinander verbunden, dass ich da genau hinsehen wollte, selbst erfahren wollte, wie es zu dieser schicksalhaften Verkettung der Ereignisse kommen konnte. Deshalb habe ich angefangen zu recherchieren.

Wie fand die Geschichte dann zu ihrer Dramaturgie?

Der tatsächliche Verlauf der Ereignisse gab die Dramaturgie ja gewissermaßen schon vor. Und Authentizität war uns, meinem Ko-Autor Don Bohlinger und mir, von Anfang an sehr wichtig. Da wir die Geschichte so nah an den Fakten wie möglich entwerfen wollten, schien es uns richtig, die Haupthandlung des Films zwischen den beiden Katastrophen anzusiedeln. Unser Anspruch war und ist es, den Opfern und ihren Familien, eigentlich allen, die direkt mit diesen Katastrophen zu tun hatten, mit Respekt zu begegnen. Und mehr als das, ihrer zu gedenken.

Ist das eine Frage der Verantwortung?

Ja. Denn auch im Film geht es neben dem Thema von Schuld und Sühne letztendlich um Verantwortung. Um Verantwortung, die Menschen füreinander übernehmen müssen.

Sie entschieden sich für eine eher ruhige Erzählweise?

Ja. Es ging uns von Anfang an darum, einen sehr anderen Katastrophenfilm zu erzählen. Einen Film, in dem wir ruhig und ehrlich mit der menschlichen Tragödie umgehen. Es ging überhaupt nicht um Effekthascherei, sondern um eine wahrhaftige und emotionale Darstellung der beteiligten Menschen und der Ereignisse. Diese Tragödie lässt niemanden unberührt. Und je mehr man über den genauen Verlauf dieser Tragödie erfährt, desto weniger. So erging es auch mir. In dieser Geschichte geht es im Kern um zwei Menschen, die verzweifelt umeinander herumkreisen, die eigentlich aufeinander zugehen wollen, es aber nicht dürfen. Zwei Menschen, die verzweifelt nach einer Möglichkeit suchen, mit ihrer Traumatisierung umzugehen, dem Trauma zu entkommen. Und die sich dann irgendwann im leider falschesten Moment gegenüberstehen. Als es bereits zu spät ist. Das ist die Haupttragik der Geschichte zwischen den beiden Katastrophen. Diese Unausweichlichkeit. Es war uns ganz wichtig, diesen beiden Figuren im Film denselben Raum zu geben, sie in
ihrem Dilemma fühlbar zu machen, und ihnen mit demselben Anstand und Respekt zu begegnen. Bis kurz vor dem Ende, wenn der schreckliche und zu verurteilende Mord am Fluglotsen passiert.

Es ist eine Schicksalhaftigkeit in dem Geschehen, die geradezu erfunden anmutet.

Das ist richtig. Jedoch wäre es zu einfach, diese Schicksalhaftigkeit als tatsächlich unausweichliche Begebenheit zu begreifen. Der Film stellt vielmehr die Frage, ob man die tragischen Geschehnisse vielleicht hätte verhindern können. Und die Antwort ist eindeutig „Ja“.

Der Film ist also eher Mahnung als Klärung von Schuldfragen?

Es geht für mich in dem Film nicht um ultimative Schuldzuweisungen. Auch das wäre zu einfach. Gerade bei diesem Fall ist die Frage nach der Schuld wirklich schwer zu klären, weil menschliche und technische Fehler sich zu einem komplexen Gerüst verdichtet haben. Es gibt jedoch Fehlverhalten, das benannt und verurteilt werden muss, das tut der Film auch. Der Film ist dennoch nicht als Anklage an irgendjemanden zu verstehen, sondern als Appell, aus diesen Fehlern zu lernen.

Wollten Sie auch darstellen, wie sehr das zweite Unglück auf einem Unverständnis zwischen unterschiedlichen Kulturen beruht?

Das extreme Aufeinanderprallen der beiden Kulturen, das hier stattgefunden hat, deckt Schwächen im Zustand unserer derzeitigen westlichen Kultur auf, die doch eigentlich so lange und erfolgreich ein gutes und zu verteidigendes Wertesystem errungen hat. Die Tat des Russen ist ohne Zweifel zu verurteilen, aber sie wurde auch deshalb in ihrer Konsequenz erst möglich, weil zwischen Paragraphen die Wahrhaftigkeit und zwischenmenschliche Direktheit ein Stück weit verloren gegangen ist bzw. oftmals einfach nicht mehr spürbar ist.

Flug in die Nacht bemüht sich um Faktentreue, ist aber ja ein Spielfilm. So ist die Figur der Anwältin z.B. nicht einer bestimmten realen Person nachgebildet?

Bei allem Ziel der weitestmöglichen Authentizität ist und bleibt Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen ein Spielfilm, der die realen Geschehnisse dramatisch aufarbeitet, kondensiert, zuspitzt. Auch die Figur der Anwältin orientiert sich an realen Personen und Funktionsträgern, ist jedoch gleichsam ein Kunstgriff, um die Flugüberwachungsfirma für den Film sehr konkret zu personalisieren. Ein Spielfilm ist schlussendlich immer eine künstlerische Interpretation der Ereignisse.

Die Anwältin gehorcht einerseits der Logik der Institution, von der sie abhängig ist, einschließlich der dazugehörigen Sprechblasen, andererseits hat sie immer wieder Gewissensbisse.

Die Figur der Anwältin repräsentiert für mich, wenn man so will, das dramaturgische Gewissen der Geschichte. Im Verlauf der Handlung muss sie ihre Haltung überprüfen und gegebenenfalls korrigieren.

Die Geschichte des Feuerwehrmannes könnte man für einen weiteren Kunstgriff halten, um den Film für die Zuschauer nicht zu niederdrückend werden zu lassen. Aber diese Geschichte ist real?

Das ist so ähnlich wirklich passiert. Don Bohlinger und ich wollten diesen Hoffnungsschimmer von Anfang an unbedingt in den Film implementieren. Denn bei aller Tragödie, bei allem Drama, das dem Film zugrunde liegt, bei allem, was im zwischenmenschlichen und interkulturellen Dialog schief gelaufen ist, gibt es ja auch immer wieder Geschichten wie diese. Geschichten, die Mut machen, die von der Kraft der Menschlichkeit erzählen.

Wenn der Film jetzt von der Öffentlichkeit gesehen wird, welche Reaktionen wünschen Sie sich? Wie reagieren Beteiligte?

Unser Ziel ist es, den Film in seiner Herangehensweise eher als Andacht, oder Elegie auf die Geschehnisse verstanden zu wissen. Wenn der Film jetzt gesendet wird, wünsche ich mir, dass er verstanden wird als Appell dafür, dass die Wahrhaftigkeit, dass wahre und ehrliche Anteilnahme über allem stehen sollte.

Mit Material des SWR

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