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Feuchtgebiete vs. Fifty Shades of Grey

25.10.2015 - 19:05 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Majestic, Universal
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Willkommen zu meinem neuen Format, dem Moviepilot-Hundekampf! Keine Sorge, hier zerfleischen sich keine süßen Vierbeiner, sondern nur Filme, Serien und Personen, die irgendetwas mit Kino oder TV zu tun haben.

Hallo und herzlich willkommen zu meinem neuen Format, welches ich schon seit Anbeginn der Moviepilot-Blogfunktion plane, jedoch bislang leider nie realisiert habe: der Moviepilot-Hundekampf. Ach nein, nicht falsch verstehen: hier werden nicht Hunde in den Kampf geschickt, sondern der Spieß wird umgedreht und der Haushund von Moviepilot schickt selbst Filme, Serien oder Menschen in den Kampf. Ich werde mir zwei Filme heraussuchen, die man in irgendeiner Weise vergleichen kann und sie einander gegenüberzustellen. Welcher gewinnt? Das sollst DU entscheiden!

Ich bitte auch gleichzeitig um Feedback, um zu erfahren, wie das Format ankommt und was ich verbessern kann. Jede Meinung ist okay.

Und damit geht es auch schon los mit der ersten Episode!

Darf ich Ihnen hiermit die heutigen Teilnehmer vorstellen?

In der einen Eckeeeeeee...

Feuchtgebiete

Erscheinungsjahr: 2013

Regie: David Wnendt

Länge: ca. 109 Minuten

Kritikerschnitt: 6.0

Communityschnitt: 4.6

IMDB: 5.7

Metacritic: 77

Meine Wertung: 9.0


Und in der andereeeeeeen...

Fifty Shades of Grey

Erscheinungsjahr: 2015

Regie: Sam Taylor-Johnson

Länge: ca. 125 Minuten

Kritikerschnitt: 3.7

Communityschnitt: 4.4

IMDB: 4.2

Metacritic: 46

Meine Wertung: 7.5


Hintergrund:

2008 erschien der Debutroman "Feuchtgebiete" der einst sowohl in popkulturellen wie intellektuellen Kreisen sehr beliebten Moderatorin Charlotte Roche, die durch ihre unkonventionelle und direkte Art die Herzen des Publikums eroberte. Nicht nur hat das laut eigenen Angaben zu 70% autobiografische Buch die Sicht auf die Autorin enorm verändert, und das nicht unbedingt auf positive Weise, sondern es erwies sich mit 1.3 verkauften Exemplare als eines der größten Erfolge des Jahres 2008 und sorgte durch seine explizit beschriebenen und teils äußerst ungewöhnlichen Sexszenen, vor Allem jedoch durch seine detaillierten Schilderungen vom Umgang mit nahezu allen erdenklichen Körperflüssigkeiten und wie diese ganz offen überall verteilt werden, wo der hygienebewusste Zuseher sie nicht wissen will, für einen medialen Aufschrei. Fast noch lauter als der Hype erwies sich jedoch der Gegenhype, der das Buch zerriss. 2013 folgte die Verfilmung des Stoffes mit ähnlichen Reaktionen.

Die Autorin E.L. James begann 2009 mit dem Schreiben von Fan Fictions zur damals sehr populären, aber polarisierenden Fantasyromanze Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen die sie online hochladete. Die Stories beleuchteten, ganz in der Tradition der sich nicht an Erfolgsrezepte und Konventionen halten müssenden Fangeschichten, vor Allem die sexuellen Aspekte der Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Edward und Bella. Man spinnte den Gedanken weiter, wie eine so selbstzerstörerische Figur, die ständig den Drang verspürt, seiner Liebsten zu schaden, und dies zurückhalten will wohl seine Intimität auslebt. 2011 wurde die Geschichte überarbeitet und von der 'Twilight'-Saga getrennt - die Charakternamen wurden umgeändert und die Fantasyaspekte weggelassen - und als Buchreihe veröffentlicht. Die 3 Romane verkauften sich etwa 20 Millionen mal allein in den USA. Dennoch wirkte auch hier dem Hype ein Gegenhype entgegen, der die Romane als Schandfleck der Literatur und durch die stark sadomasochistischen Bezüge aus weiblicher Sicht als "Hausfrauenporno" bezeichnete. Im Jahre 2015 wurde der erster der Romane verfilmt, und erwies sich sowohl als Kassenerfolg, als auch als polarisierenden Werk, welches eine Menge Hass mit sich zog.

Gemeinsamkeiten:

Beide Filme sind Bestselleradaptionen, deren Thematika von der Norm abweichende Sexualpraktika sind. Beide Romanvorlagen stammen von zuvor nicht hauptberuflich als Schreiber tätigen Personen und waren enorm große Überraschungserfolge und Publikumsspalter, wie auch die letztlichen Filmversionen.


Inhalt:

Abgesehen von der Tatsache, dass sich David Wnendts Verfilmung von Charlotte Roches Beststellerromans Pluspunkte durch ein vorzügliches Pizzarezept sichert, ist auch die Geschichte an sich interessant - auch, wenn sie zuerst überaus befremdlich erscheint. Bei der Intimrasur zieht sich Helen Memel eine Analfissur zu und muss zur Operation ins Hospital. In dieser Situation reflektiert die 18-jährige über ihr Leben, und wie sie zu der Frau wurde, die sie heute ist. Es ergibt sich ein Psychogramm der Protagonistin, die eine Überzeichnung der eigenen Persönlichkeit von Charlotte Roche darstellt. Durch ihre konservativen und nahezu steril lebenden, geordneten Eltern, die ihr schon als Kind vermittelten, immer möglichst darauf zu achten, wie man sie ansieht und was man so tun soll. Es wird auch immer klarer, wie kalt das Verhältnis zu eben diesen war, und das Helen zwar Erziehung, nie aber Gefühle erfahren hat. Entwickelt hat sie sich in eine ganz andere Richtung: Helen scheißt auch mal wortwörtlich auf alles, wofür ihre Eltern stehen. Sie provoziert durch Unhygiene, experimentelle Sexualität und Fetische, und hat ein besonderes Verhältnis zu Tod und Religion. Hinter der Fassade von Lebensfreude und Frechheit versteckt sich aber eine Seele (christlicher Schwachsinn, würde die gute Frau Memel jetzt sagen) voller Neurosen und Komplexe, die sich danach sehnt, dass ihre Eltern Liebe empfinden können - zueinander als auch zu ihr, weshalb sie ihren Aufenthalt noch hinauszögert, um ihre Eltern dazu zu bewegen, sich um sie zu sorgen und wieder zusammenfinden.

In "Fifty Shades of Grey" folgen wir der jungen Literaturstudentin Anastasia Steele, die die Möglichkeit bekommt, den Milliardär Christian Grey für die Kampuszeitung interviewen. Während der Befragung agiert der Unternehmer allerdings zum Teil verschlossen, allerdings auch anzüglich und direkt, wenn es um sein Gegenüber geht. Anastasia empfindet das Verhalten zwar als nicht sympathisch, aber als besonders faszinierende Erfahrung. Später treffen sich beide immer wieder und es entsteht eine unerklärliche Anziehung zwischen den Beiden. Grey scheint seine Gefühle vor der Oberfläche zu verstecken und scheint eine eher pessimistische Sicht gegenüber dem Leben zu haben, Ana hingegen ist eine zwar schüchterne, aber dennoch fröhliche und unbeschwerte Person. Er bezeichnet sich als jemand, der nicht zu ihr passt, während sie wissen will, was er denn so lange vor ihr verbirgt. Eines Tages nimmt er sie mit, und weiht sie in seine Fantasien ein: seine Sexualität und romantischen Gefühle beschränken sich auf physische und psychische Schmerzen, er verträgt keine intime zärtliche Bindung, sondern steht unter dem Zwang, seine Partnerin unten zu halten und sie zu züchtigen, sie zu kontrollieren und besitzen zu können. Da Ana Christian liebt, willigt sie ein, leidet aber unter der fehlenden Zärtlichkeit.


Umsetzung:

"Feuchtgebiete" ist als Popartkunstwerk inszeniert, welches sich in der Tradition von Filmen wie Lola rennt oder Die fabelhafte Welt der Amélie mit unzähligen Stilmitteln spielt, welche im Mainstreamkino selten bis garnicht zur Anwendung kommen. Szenen werden geloopt, Texteinblendungen, Sequenzen werden als Diashow gezeigt, Closeups bis in den mikroskopischen Bereich, Tagtraumsequenzen, Split Screen, skurril platzierte Kameras, metaphorische Szenen, Nonstop-Voice Over, etc. Anstatt eine dramaturgische Ausarbeitung zu liefern, setzt David Wnendt auf eine episodische Erzählweise, die aus von Helens Gedankenstimne im Stile eines Hörbuchs dauerhaft kommentierten Flashbacks besteht, während die Rahmenhandlung nur einen kleinen Teil des Geschehens ausmacht. Der Film ist in leuchtenden Farben gehalten und besitzt eine Art Graffitiästhetik, die das Rebellische und Freche der Hauptfigur zelebriert. Oft entsteht aus der Mischung der Komplexe und des ungewöhnlichen Sozialverhaltens, das extremst offene und detaillierte Schilderungen von experimentierfreudiger Sexualität und Ekelhumor mischt, eine Art schwarze Komik, die ganz oft aber einen todernsten Hintergrund hat, sodass einem besagtes Lachen bald im Halse stecken bleibt. "Feuchtgebiete" wirkt dahingehend sehr verspielt, künstlerisch, frech und punkig - teilweise sogar überaus witzig, ab und an jedoch auf sehr makabere Weise.

"Fifty Shades of Grey" hingegen nimmt sich als Film, vor Allem als Romanze, sehr ernst und bietet kaum humoristische Brechungen. Weiters ist sein Tempo eher langsam und behandelt die Psyche des männlichen Protagonisten auf sehr sterile und kühle Art und Weise. Der Look setzt auf Hochglanz, die Geschichte hält sich an eine klassische, geradlinige Erzählung, und der Schnitt weist keine experimentellen Griffe auf. Anders als die farbenfrohe Welt der Helen Memel ist jene der Christian Grey seinem Namen entsprechend dunkel und gräulich-schwarz gehalten. Der Film verzichtet auf Leidenschaft, Pathos oder Kitsch und versucht stattdessen, die sexuellen Neigungen des Protagonisten und dessen Person generell bedrohlich, mysteriös und hypnotisch zu gestalten. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Ich-Erzähler seine Sicht auf die zentrale Figur schildert, anstatt sie selbst zu sein, sowie der Tatsache, dass die Handlung in erster Linie von Dialogen und weniger von Bildern getragen wird. Nicht Spontanität, Lust und Weltoffenheit dominieren die Welt von "50 Shades of Grey", sondern Verträge, Kontrolle und (Selbst-)Geißelung.


Kritiken:

Im deutschsprachigen Raum waren beiden Filmen vor Allem von Seiten des Publikums eher bescheidene Kritiken zugedacht. So wirklich gefallen scheinen beide Filme vor Allem den filminteressierten Leuten nicht zu haben. Ob dies nun als Protest des Medienrummels um sowohl Vorlage als auch Leinwandadaption anzusehen, oder gerechtfertigt ist, ist wohl nur schwer beantwortbar.

Professionelle Kritiker können dem deutschen Film generell mehr abgewinnen als dem amerikanischen Kassenschlager und -peitscher. So befanden auch in Deutschland einige Journalisten den Film als gekonnt inszeniert und lobten vor Allem Carla Juris schauspielerische Leistung. Die Verfilmung wurde generell als besser als der Roman gewertet. International, vor Allem in den USA, wurde der Hemorrhoidenepos sogar sehr positiv aufgenommen. Auf Metacritic, ergibt sich ein Schnitt von 77, und auf rogerebert.com bekam er 3 von 4 mögliche Sternen (allerdings nicht von Roger Ebert selbst, da dieser zum Veröffentlichungszeitpunkt bereits verstorben war). Ein Blick auf die Bewertungsstatistiken zeigt, dass auf IMDB die meisten Leute zumeist differenziert auf die 7 oder 6 gedrückt haben.

Die Analyse der Wertungen auf derselben Website sieht bei "Fifty Shades of Grey" ganz anders aus: am Dominantesten ist eindeutig die 1, das niedrigstmögliche Rating, gefolgt von der 10, jedoch mit doch recht viel Abstand. Auch die meisten anderen Reviews, egal, ob professionell oder nicht, sind zumeist negativ. Kritisiert wird weltweit vor Allem die unrealistische Sadomasobeziehung, die kitschige Lovestory und die seichten darstellerischen Leistungen. Anders als bei "Feuchtgebiete" wird hier auch das geringe Tempo kritisiert. Dennoch sahen Kritiker auch hier eine Verbesserung dem Buch gegenüber.


Meine Meinung:

"Feuchtgebiete" ist für mich einfach der bessere Film, da er authentischer, unkonventioneller, frecher und vielschichtiger herüberkommt. Es ist freilich ein Film, auf welchen man sich einlassen muss, dem man aber, wenn man vollkommen wertefrei an ihn herantritt, doch einiges abgewinnen kann. Er ist überaus künstlerisch gestaltet, überzeugt durch eine peppige und wilde Inszenierung, erscheint aber teilweise auch wie eine Katharsis der Autorin der Romanvorlage. Helen ist die voll jugendlichem Übermut strotzende Charlotte Roche-Variante, die alles einmal ausprobieren will, egal, wie abstoßend es die Umwelt auch finden mag, ist im Grunde jedoch eine verletzliche und verletzte Person, der es in der entscheidenden Phase an Liebe und Freude gefehlt hat. Es ist ein einzigartiger Film, der es versteht, den schmalen Grad zwischen Arthaus und Pipikaka-Humor gekonnt zu gehen und eine Kollage einer höchstinteressanten Figur zu erstellen (9 Punkte).

"Fifty Shades of Grey" ist ein Hollywoodfilm durch und durch, der es schafft, einen interessanten Protagonisten zu zeichnen, jedoch selten in die Tiefe geht und sehr konventionell agiert. E.L. James brachte wenig Persönliches in die Geschichte hinein, und der Film geht denselben Weg. Charismatische Darsteller können hier zwar nicht punkten, aber sie spielen auch nicht so schlecht, wie sie gemacht werden, sondern den Rollen entsprechend. Allgemein ist eher die Tatsache nervig, dass ein solcher Film (und ein solches Buch) nachwievor für Skandale sorgt, als das Werk an sich. Es ist eine solide Geschichte, die gegenüber einer Vielzahl anderer Hollywoodfilme der Gegenwart sogar einen großen Pluspunkt besitzt: sie interessiert sich für die Psyche und Gefühle seines Protagonisten in intimen Situationen. Eigenheiten in Liebe, Sex und ähnlichem zu beleuchten ist interessant, da dieser Aspekt der Persönlichkeit so individuell wie nur möglich ist, und das will der Film zeigen - wenngleich er es zugegeben etwas unrealistisch macht. Aber ich mochte "Fifty Shades of Grey", und ziehe ihn der xten Comicverfilmung vor. Und er weckt Hoffnung, ab und an mal eine Fan Fiction auf der Leinwand zu sehen - da gibt es nämlich einige unheimlich gute, die sich mit den Emotionen der Figuren mehr beschäftigen als das Originalwerk (7.5 Punkte).


Was sagt Ihr?

Welcher Film ist der Bessere?

Welcher Film gewinnt den Moviepilot-Hundekampf?

IHR entscheidet!

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